Süddeutsche Zeitung

England:Schlussakt im phänomenalen Duell

Am letzten Spieltag der Premier League können sowohl Guardiolas Manchester City als auch Klopps FC Liverpool noch Meister werden. Die Klubs stehen für markante Gegensätze.

Von Thomas Schifferle

Die Premier League ist die Liga der Dynamik und Unterhaltung. Sie ist die Liga Englands, aber nicht der Engländer. Denn in der Premier League geben die Ausländer den Ton an. Die Kader sind nur gut zu einem Viertel mit einheimischen Spielern besetzt, von den sechs besten Mannschaften aus Liverpool, Manchester und London sind fünf in fremder Hand und alle haben einen ausländischen Trainer.

Pep Guardiola und Jürgen Klopp sind dabei die beiden Coaches, die den Fußball prägen wie seit den Anfängen von Arsène Wenger bei Arsenal keiner mehr. Der Spanier, seit drei Jahren bei Manchester City, ist wie schon beim FC Bayern zuvor der Weise des Fußballs, der sich gerne am Kopf kratzt, wenn er redet. Der Deutsche fletscht wie zu seinen besten Dortmunder Zeiten mit den Zähnen, trommelt mit den Fäusten auf die breite Brust und schart nun eine ganze Gemeinde in Rot (damals Schwarz-Gelb) hinter sich, weil er begeistern kann.

Es ist kein Zufall, dass eben jene beiden Trainer mit ihren Teams die nationale Liga so dominieren wie zuvor in der Bundesliga. Bevor am Sonntag der letzte Spieltag gespielt wird, liegt Guardiola mit City einen Punkt vor Liverpool. Dass Liverpool am Ende selbst 97 Punkte nicht zum Titel reichen könnten, sagt alles über das phänomenale Duell an der Spitze der Premier League aus. Manchester tritt ab 16 Uhr in Brighton an, Liverpool zeitgleich daheim gegen Wolverhampton. Für die beiden Gegner geht es jeweils um nichts mehr - Wolverhampton wird als Siebter ins Ziel kommen, das bereits gerettete Brighton vermutlich als 17.

Das Stadion an der Anfield Road wird jedenfalls beben, falls es Liverpool doch noch schafft und Meister wird. Es wird vielleicht noch mehr beben als am Dienstag, als Klopps Team gegen Barcelona das Finale in der Champions League erreichte. Denn den Premier-League-Titel sehnen die Menschen in der Stadt seit 29 Jahren herbei wie nichts sonst.

Die Briten huldigen Klopp

City ist der Klub der Scheichs aus Abu Dhabi. Liverpool steht für die verklärte Seite des Fußballs. Dass es beim LFC genauso um den Kommerz geht wie bei allen Großklubs, gerät wegen der Folklore gerne in den Hintergrund. Wegen der Stadionhymne "You'll never walk alone", der Fantribüne Kop, dem früheren Trainer Bill Shankly - und wegen dieses bärtigen Deutschen in seinen grauen Trainingskleidern. Shankly sagte übrigens einmal: "Einige Leute halten Fußball für einen Kampf um Leben und Tod. Ich versichere Ihnen, es ist viel ernster."

Solche Weisheiten trugen vor 50 Jahren dazu bei, den Mythos Liverpool zu begründen. Am Dienstag sagte Klopp seinen Spielern vor dem Match gegen den FC Barcelona: "Es ist nicht möglich, das 0:3 (aus dem Hinspiel, Anm. d. Red.) aufzuholen. Aber weil ihr es seid, denke ich, dass wir eine Chance haben." Divock Origi und Georginio Wijnaldum gelangen beim 4:0 je zwei Tore. Und hinterher redete Klopp, als wäre er Shankly: "Der Club ist wie ein großes Herz, und heute Abend schlug es wie verrückt." Seine Spieler nannte er etwas überdreht "fucking mentality giants", verdammte Mentalitätsgiganten.

Nach dem Finaleinzug huldigen die Briten dem früheren BVB-Trainer. Doch Liverpool ist ja nicht das einzige englische Team, das in einem europäischen Finale steht. Die Liga hat ihre stärksten Teams so sehr gestählt, dass erstmals alle vier Finalisten aus einem Land stammen. Liverpool wird am 1. Juni im Endspiel auf Tottenham Hotspur treffen. Dazu kommen in der Europa League Arsenal und Chelsea (29. Mai). Es gibt ein Lied, das viel über die englische Seele aussagt. Es ist alt, fast 300 Jahre. "Rule, Britannia!" heißt es, und die englischen Fans singen es immer, wenn ihre Nationalmannschaft im Einsatz ist. "Herrsche, Britannien! Britannien beherrsche die Wellen / Briten werden niemals Sklaven sein." Der Text ist also gerade auch wie gemacht für den Klubfußball.

Wirklich überraschend ist übrigens nur der europäische Finaleinzug vom Meisterschafts-Vierten Tottenham. Was wiederum viel mit der Arbeit eines Argentiniers zu tun hat: des Trainers Mauricio Pochettino. Er hat sein ganzes Team um den Ausnahmestürmer Harry Kane und dem früheren Hamburger Heung-Min Son in den vergangenen Jahren Stück für Stück weiterentwickelt statt auf große Stars zu setzen. Es wird im Champions-League-Finale also spannend sein, ob Pochettino daher nicht sogar noch ein Stück mehr Mentalität aus seiner verschworenen Truppe herauszukitzeln vermag als Klopp, der jedoch erst einmal alles auf das spannende Meisterschaftsfinale ausrichtet.

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Quelle:
SZ vom 12.05.2019
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