England:Running Gags und Lachnummern

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Am Boden: Gary Cahill, Joe Hart und Dele Alli nach dem Schlusspfiff gegen Island. (Foto: AFP)

Nach dem Aus gegen Island tritt Englands Trainer Roy Hodgson auf Comedy-Art ab. Der Nachfolger soll das junge Team in vier Jahren daheim ins EM-Finale führen.

Von Ulrich Hartmann, Nizza

Als Roy Hodgson am Montag um 23.10 Uhr den Pressesaal im "Stade de Nice" betrat, winkten englische Reporter in der ersten Reihe sofort aufgeregt nach dem Mikrofon. Ihnen brannten Fragen auf der Seele. Sie brauchten dringend Erklärungen für die größte Blamage des englischen Fußballs überhaupt. Sie konnten es kaum aushalten, jeder wollte das Mikro zuerst. Der Nationaltrainer Hodgson setzte sich auf das Podium, er lächelte die Reporter an und mahnte sie zur Gelassenheit. "Ihr werdet das Mikro nicht brauchen", sagte er, holte einen Zettel aus der Tasche, entfaltete ihn und begann, eine zweieinhalbminütige Erklärung zu verlesen. Diese bedeutete nach dem Ende der Europameisterschaft für England auch das Ende für Hodgson als englischer Nationaltrainer.

Ein Land verlässt die Europäische Union, seine Fußballmannschaft verlässt die EM und der Trainer verlässt die Mannschaft - in England gedeihen gerade Variationen von Vereinsamung. Von guten Geistern verlassen, kauerten die englischen Fußballer Montagnacht auf dem Rasen und konnten nicht glauben, dass sie soeben gegen den Fußballzwerg Island verloren hatten. Als "schwer zu ertragen" und "peinlich" bezeichnete der Kapitän Wayne Rooney in den Katakomben des Stadions die 1:2-Niederlage.

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Er sprach so leise und ausdruckslos, als wünschte er sich, dass die Töne unterwegs verhallen und dass die Reporter sie nicht hören, damit sie seine Eingeständnisse nicht in ihre Zeitungen hineinschreiben können. Doch so hellhörig wie in dieser Woche war die englische Fußballpresse lange nicht mehr. Zwischen Wut, Spott und Mitleid changieren die Analysen. "Gegen ein Land von 330 000 Einwohnern, trainiert von einem Zahnarzt, hat England aufgehört, ein Fußball-Team zu sein und ist nur noch eine Lachnummer", wütete die Times. Ihr war egal, dass sie damit das großartige Spiel der Isländer auf schäbige Weise diskreditierte.

Doch im Augenblick einer historischen Enttäuschung nahmen es die zermürbten Engländer mit Wahrhaftigkeit ohnehin nicht zu genau. "Es ist Zeit, dass jemand anderes für die Entwicklung einer hungrigen und extrem talentierten Gruppe von Spielern die Verantwortung übernimmt - sie haben Fantastisches geleistet und alles getan, was von ihnen verlangt wurde", las Hodgson in seiner Erklärung vor, dabei stimmte vor allem im zweiten Teil dieses Satzes überhaupt nichts mehr.

Jung schon, talentiert auch und über weite Strecken durchaus bemüht, haben die Branchenstars Rooney, Raheem Sterling, Harry Kane oder Daniel Sturridge sich von isländischer Leidenschaft entzaubern lassen. Sie haben nichts Fantastisches geleistet und auch nicht das, was man sich von ihnen erhofft hatte. Siegeswillen zu verkörpern, ist etwas anderes, als einstudierte Spielzüge zu reproduzieren. Dies hatten die Isländer den Engländern voraus.

Doch die blamable Niederlage im Achtelfinale war nur der Tiefpunkt einer insgesamt schwachen EM der Engländer. Nicht beim 1:1 gegen Russland, beim 2:1 gegen Wales und beim 0:0 gegen die Slowakei hatte man jene Mannschaft gesehen, die mancher für einen Titelkandidaten gehalten hatte. Eric Dier, ein 22-jähriger defensiver Mittelfeldspieler von Tottenham Hotspur, war noch der solideste, weder Rooney noch die zuvorderst angreifenden Sterling, Kane und Sturridge spielten konstant auf erforderlichem Niveau.

Nun sind Europameisterschaften für den Weltmeister von 1966 ohnehin keine Wohlfühlorte. Das Halbfinale 1996 (5:6 im Elfmeterschießen gegen Deutschland) ist bis heute das Größte, was den Engländern bei kontinentalen Meisterschaften gelungen ist. Sie schrieben in Frankreich eine Serie fort, die die Fans durch den Anschein der Unendlichkeit zunehmend schmerzt.

19 Minuten hätte Hodgson nach dem Abpfiff nur gehabt, um seine 155-sekündige, vorgelesene Erklärung zu verfassen. Dies nährte den Verdacht, der 68-Jährige könnte seine Worte schon vor dem Spiel vorbereitet haben. Dass der Verband seinen auslaufenden Vertrag nicht verlängern würde, falls die Mannschaft nicht wenigstens ins Halbfinale einzieht, hatte sich als Running Gag durch die Berichterstattung gezogen.

Nach dem Schweden Sven-Göran Eriksson (2001 bis 2006) und dem Italiener Fabio Capello (2007 bis 2012) hatte man mit Hodgson erstmals wieder auf einen Engländer als Nationalcoach gesetzt. Trotz des Misserfolgs soll diese Linie offenbar beibehalten werden. Gareth Southgate, Trainer der Junioren-Nationalmannschaft U21, gilt als Favorit auf die Nachfolge. Auch Glenn Hoddle, von 1996 bis 1999 schon Nationaltrainer, ist dem Vernehmen nach ein Kandidat.

Nächstes EM-Finale im Wembley-Stadion

In der Mannschaft wird es indes keinen Umbruch geben. England war hinter Deutschland schon die zweitjüngste Mannschaft des Turniers. Rooney und Gary Cahill sind mit 30 die Ältesten, Dier ist 22, Sterling 21, Marcus Rashford 18. Es ist bereits die Zukunft des englischen Fußballs, die Hodgson in seine Nationalmannschaft berufen hatte, bloß hat er diese Mannschaft nicht in die ihr bestimmte bessere Zukunft hineinführen können. Dies bleibt seinem Nachfolger vorbehalten.

Nächste Gelegenheiten ergeben sich für England bei der WM 2018 in Russland und 2020 bei der paneuropäischen EM, verteilt über den ganzen Kontinent. Die Halbfinals und das Endspiel werden dann im Londoner Wembley-Stadion stattfinden. Es wäre der perfekte Moment für den englischen Fußball, mit seiner EM-Historie voller Misserfolge endlich abzuschließen.

© SZ vom 29.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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