Kokain-Missbrauch im Fußball:Premier League - Liga der Verschnupften

Kokain

Das Netzwerk soll Kokain im Wert von Hunderten Millionen Euro nach Europa geschleust haben.

(Foto: Christian Charisius/dpa)

In England sollen Fußballer auf Weihnachtsfeiern Kokain genommen haben. Der englische Verband verzichtet auf ernsthafte Tests, dabei weiß man aus Studien: Das Problem ist groß.

Kommentar von Thomas Kistner

Kein Sport hat eine größere Erregungskultur als der Profifußball. Ein falscher Ton, ein gerissener Zehennagel bewegt Millionen, auf den Konten und in den Netzen. Rund um die Uhr observieren Presse und andere am Dauerboom Beteiligte das Geschäfts- und Innenleben; alles wird transportiert und thematisiert, bis zur banalsten Stichelei.

Stopp: Alles?

Wirklich alles? Ein Kernthema gibt es, das im globalen Profisport eine Schlüsselrolle spielt, ein Thema, das die gesamte Muskelindustrie wie eine Übersäuerung durchdringt, das aber im Fußball, und nur hier, keine Rolle spielt: Doping. Drogenmissbrauch. Der Fußball hat das unschöne Thema abgeschafft. Einfach so? Ja, einfach so. Es gibt ja keine höhere Instanz, die über dem Milliardenbetrieb steht. Niemand kann ihn zu seriösen Kontrollen zwingen.

Das zeigt der jüngste Aufreger in der englischen Premier League (der gemessen am üblichen Branchenlärm nur ein kleiner Aufreger ist). In der teuersten Liga der Welt sollen bei diversen Weihnachtsfeiern Spieler Kokain geschnupft haben. Die Medien gehen auf die Jagd: Wer in dem Nachtklub war, wo ein Profi seine Linien gezogen haben soll, darf sich melden. Vielleicht gibt es ja Bilder? Der Fußballverband FA appelliert eher vage, wer was wisse, soll sich melden.

Auch die britische Anti-Doping-Agentur Ukad hält sich zurück. Sie spielte 2016 ja schon einmal eine bizarre Rolle in einer Fußballaffäre, die keine sein durfte. Damals gestand ein Arzt vor versteckter Kamera, dass er Topsportler dope, auch Profis aus der Premier League. Und ein Physio in Barcelona räumte ein, Kicker zu exakt diesem Londoner Doc geschickt zu haben. Losgetreten hatte die Sache ein Pharmakunde des Arztes, er lieferte als Kronzeuge der Ukad Dutzende Sportlernamen. Die Agentur blieb untätig, der Zeuge ging an die Medien. Ukad wurde selbst Ziel einer staatlichen Untersuchung; aber am Ende wurde die Sache ausgesessen.

Die neue Affäre zeigt, dass sich der Umgang mit dem Thema auf das Wörtchen "tabu" reduziert. Es herrscht Stillschweigen. Dabei ist die Luxus-Droge Kokain gerade in der Premier League ein Problem. Das zeigen die wenigen Studien zum Thema. Das liegt aber auch stark auf der Hand in einer Branche, in der jugendliche Bankdrücker mehr verdienen als Spitzenkräfte der Bundesliga, weshalb sogar die FA selbst damit ihr striktes Drogenverbot begründet. "Die Erfahrung zeigt", heißt es im Regelwerk, "dass Spieler aufgrund ihres Alters, ihrer Freizeit, des verfügbaren Einkommens etc. den Risiken sozialer Drogen außerhalb des Wettkampfs ausgesetzt sind." Bei Parties, Promifeten, Weihnachtsfeiern. Um dumpfe Einwände wie den zu entkräften, es sei Privatsache, ob einer in der Freizeit kokse, listet die FA Nebenwirkungen auf; Suchtgefahren, psychische und körperliche Störungen. Defizite in Motorik, im Konzentrations-, Reaktions- und Urteilsvermögen können auch im Training Folgen haben.

Ivan Waddington untersucht an der Uni Chester den Drogenkonsum im Fußball. In seinen Studien nennen viele Spieler Freizeitdrogen als "alltägliche" Begleiter. Jetzt erneuert der Sportwissenschaftler den Vorwurf, die FA und die Klubs verharmlosten das Problem und kontrollierten zu wenig. Keine kühne Behauptung: Koks nachzuweisen ist kinderleicht. Und man wisse ja, sagt Waddington, dass sehr viele Spieler diese Drogen konsumieren, weil sie es selbst bestätigt hätten. "Warum also werden sie nicht gefunden?"

Die Antwort einer Milliardenbranche, die sich selbst kontrolliert und auf ein radikal drogenfreies Image setzt, könnte gut so lauten: Weil solche Funde das einzige sind, was wir uns nicht leisten können.

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