England:Großer Sam lacht

England - Sam Allardyce Press Conference

Moderiert gut gelaunt den Neustart der englischen Nationalmannschaft nach dem peinlichen EM-Aus gegen Island: Sam Allardyce.

(Foto: Carl Recine/Reuters)

Als wäre Peter Neururer Bundestrainer: Die englische Nationalmannschaft soll in Sam Allardyce ein erprobter Abstiegskämpfer aus der Krise holen. Zu seinem Einstand hat er vor allem Pragmatismus zu bieten.

Von Sven Haist, London

Weil die Pressekonferenzen mit Sam Allardyce oft ereignisreicher ausfallen als die Fußballspiele seiner Mannschaften, porträtierten ihn englische Medien nach der Ernennung zum Nationaltrainer Ende Juli nicht mit Fakten, sondern mit Zitaten. In mittlerweile 25 Jahren an den Seitenlinien der britischen Fußballstadien hat Allardyce einige Stilblüten hinterlassen. Einmal erklärte er zum Beispiel, dass es am Klang seines Namens liege, dass er bislang stets Mannschaften im Kampf gegen den Abstieg und keine Top-Klubs betreuen durfte: "Ich werde es nie zu einem Top-vier-Klub schaffen, weil ich Allardyce heiße - und nicht 'Allardici'."

Die Witzelei, die gar nicht so witzig gemeint war, richtete sich an die Vereinsbosse, die vorzugsweise ausländischen Trainern die begehrten Stellen anvertrauen und ihn verschmähten. Allardyce, 61, kam deshalb nie über acht Europapokalspiele mit den Bolton Wanderers und Platz sechs in der Premier League hinaus. Ausgerechnet seine Herkunft, Allardyce kommt aus der Nähe von Birmingham, verhalf ihm aber jetzt zu seinem bislang größten Job.

Im Sommer, nach dem peinlichen Aus gegen Island bei der EM in Frankreich, wurden Übungsleiter aus nahezu allen Ländern der Erde als nächste englische Nationaltrainer gehandelt: Jürgen Klinsmann war ein Kandidat, der Franzose Arsène Wenger auch. Doch letztendlich sehnte sich das Mutterland des Fußballs nach etwas Heimischem. Allardyce war eine der letzten Optionen, nachdem sich die meisten für den Job ausgebildeten Engländer bereits versuchen durften: Glenn Hoddle, Kevin Keegan, Steve McLaren und zuletzt Roy Hodgson. Deswegen darf "Big Sam" nun regelmäßig im St. Georges Park einkehren, wo sich die englische Nationalmannschaft auf ihre Spiele vorbereitet. Er darf im nach dem früheren Nationaltrainer benannten Ron-Greenwood-Room, wo die Pressekonferenzen stattfinden, weiter seine Stilblüten verbreiten. Und er schläft in der Sir-Bobby-Charlton-Suite.

Die Karriere des früheren Zweitligaspielers basiert auf Pragmatismus

"Die Namen der Räumlichkeiten hier inspirieren mich", hat er nun, bei seinem ersten Aufenthalt im Anwesen in den Midlands, gesagt. Erstmals hat er die Spieler um sich versammelt, die die Schmach von Frankreich vergessen machen sollen. Am Sonntagabend startet England in der Slowakei in die WM-Qualifikation. Allardyce ist vor seinem Einstand ziemlich gut gelaunt. Er lachte und fragte: "Meint ihr, es wird eines Tages auch mal eine Sam-Allardyce-Suite geben?" Die Antwort darauf gab er gleich selbst: "Das hängt davon ab, wie gut ich in den nächsten zwei Jahren arbeiten werde." An Selbstvertrauen mangelt es Allardyce nicht.

Die Karriere des 1,91 Meter großen, früheren Zweitligaverteidigers basiert auf Pragmatismus, er ähnelt von seiner Herangehensweise einem englischen Pater Neureurer. Allardyce eilt der Ruf voraus, dass sich seine Teams über die Physis definieren, eine strukturierte Abwehr besitzen und es bevorzugen, den Ball nicht zu haben. Der Vorwurf einer unattraktiven Spielweise ist nicht neu für Allardyce. Schon in Newcastle und West Ham murrten die Fans solange, bis er gehen musste. Das verspricht wenig Positives für einen Verband, der sich dringend darum kümmern müsste, das Verhältnis der Menschen zur Nationalmannschaft zu stärken und wieder mehr Zuschauer zu den Heimspielen zu locken.

Den jugendlichen Drang, den Vorgänger Hodgson ins Team brachte (einer seiner Verdienste neben einigen Verfehlungen), hat Allardyce umgehend eingedämpft. Die umtriebigen Emporkömmlinge Marcus Rushford (Manchester United) und Ross Barkley (FC Everton) sortierte er bei erster Gelegenheit aus. Einen der frei gewordenen Plätze bekam Phil Jagielka übertragen, ein Abwehrspieler, der beim nächsten Großereignis in Russland 2018 fast 36 Jahre alt sein wird.

Anstatt auf eigene Talente zu setzen, will Allardyce Spieler einbürgern

Überhaupt ist Englands Aufgebot vor dem Start in der allenfalls mittelschweren Gruppe F mit Schottland, Slowenien, Litauen und Malta mit insgesamt 367 Länderspieleinsätzen so ziemlich das erfahrenste, das Allardyce hätte zusammenstellen können. Die Vorgehensweise geht auf Kosten des unbekümmerten, hochqualifizierten Offensivsammelsuriums, bestückt mit den besten Torjägern der Liga Harry Kane (Tottenham) und Jamie Vardy (Leicester City). Der Kader hat, das war in Ansätzen selbst in Frankreich zu sehen, großes Entwicklungspotenzial, das man gegen mittel- und unterklassige Mannschaften durchaus entfalten könnte. Stattdessen fällt Allardyce mit rückwärtsgewandten Entscheidungen auf.

Dazu gehören die Umkehr zu zwei defensiven Mittelfeldspielern in der Grundordnung und die Bestätigung des alternden Wayne Rooneys in seinem Amt als Kapitän. Selbst eine Wiedereingliederung des im Streit mit dem Verband abgetretenen John Terry sei denkbar; ebenso wie ausländische Spieler bei Bedarf einbürgern zu lassen. "Im Cricket tun sie das, im Rugby, in der Leichtathletik. Es passiert in allen Ländern und wir wissen um die Knappheit von englischen Spielern in der Premier League", sagt Allardyce. Dass er es ernst meint, zeigt der fehlgeschlagene Versuch, mit dem Franzosen Steven N'Zonzi das eigentlich recht gut bestückt Mittelfeld weiter zu stärken.

Angesichts solcher Maßnahmen stellt sich die Frage, ob Sam Allardyce, den englischen Fußball eher zurückentwickelt, anstatt ihn zu reformieren. Vielleicht ja 50 Jahre zurück, solange liegt der einzige englische WM-Titel zurück. Nichts weniger als die Wiederholung eines solchen Triumphs ist gefordert, wenn Allardyce tatsächlich einmal in einer Sam Allardyce Suite übernachten möchte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: