England bei der Fußball-EM:Die Bühne wird immer größer

England bei der Fußball-EM: Ellen White wird auf die Kreidefelsen von Dover projiziert. Das Land macht Werbung für das Turnier - und die eigenen Spielerinnen.

Ellen White wird auf die Kreidefelsen von Dover projiziert. Das Land macht Werbung für das Turnier - und die eigenen Spielerinnen.

(Foto: Gareth Fuller/dpa)

71 000 beim Eröffnungsspiel, 500 000 Tickets insgesamt: England wartet gespannt auf die Fußball-EM, der Druck aufs eigene Nationalteam ist groß. Für die Mission hat sich der Verband aber die vielleicht bestmögliche Trainerin geholt.

Von Anna Dreher, London

Als Mitte Juni der Kader des englischen Fußballnationalteams der Frauen für diese Europameisterschaft bekanntgegeben wurde, reiste Prinz William an. "Ihr werdet viele Zuschauer haben - es wird wirklich ein fantastischer Sommer werden", sagte der Duke of Cambridge im St. George's Park, dem Nationalen Fußballzentrum in Staffordshire. "Ich werde ein Auge auf euch haben. Das ist der Höhepunkt und ich weiß, dass ihr uns alle stolz machen werdet." Die Erwartungen aus dem Königshaus sind also ausgesprochen, groß war der Druck vorher schon: Keine Veranstaltung eignet sich schließlich besser für den ersten Titelgewinn als ein Heim-Turnier.

Für das Eröffnungsspiel gegen Österreich diesen Mittwoch (21 Uhr, ARD) sind 71 300 Tickets verkauft worden, Manchesters Old Trafford ist voll - wie auch das Londoner Wembley-Stadion mit 87 200 beim Finale am 31. Juli. Insgesamt sind für Preise zwischen fünf und 50 Pfund bereits mehr als 500 000 von 725 000 Karten für die Partien in zehn verschiedenen Stadien abgesetzt worden. Alles Rekordzahlen. 2017 bei der EM in den Niederlanden waren es 243 400 Zuschauer. Die frühere Wolfsburgerin und Weltfußballerin Nadine Kessler, inzwischen bei der Uefa Abteilungsleiterin Frauenfußball, sprach die Tage von der "größten Bühne, die wir bisher bei einem solchen Turnier hatten".

Eingeschüchtert von der Dimension haben sich die Engländerinnen bisher nicht gezeigt. Die vergangenen sechs Spiele gewannen sie, darunter ein 5:1 gegen Titelverteidiger Niederlande, seit 14 Partien sind sie ungeschlagen und zählen eindeutig zu den Favoriten. Der Verband FA hat viel für die Entwicklung des Nationalteams in den vergangenen Jahren getan. Ein Puzzleteil war die Professionalisierung der Women's Super League (WSL), die Maßstäbe setzt. Fast alle Nationalfußballerinnen spielen in der nationalen Liga.

Ein anderes Puzzleteil war die Verpflichtung von Sarina Wiegman als Nationalcoach ab September 2021 nach der Trennung vom früheren ManUnited-Profi Phil Neville. Die zweimal zur Welttrainerin gewählte Niederländerin wird geschätzt für ihre ruhige, klare, stringente Führung und ihre Offenheit für Veränderungen. Vor der EM scheute sie nicht davor zurück, die langjährige Kapitänin Steph Houghton nicht zu nominieren. Wiegman fand, Houghton sei nach einer Achillessehnenverletzung noch nicht weit genug - und ernannte Leah Williamson, 25, zur neuen Spielführerin.

England bei der Fußball-EM: Sarina Wiegman wurde zweimal zur Welttrainerin gewählt.

Sarina Wiegman wurde zweimal zur Welttrainerin gewählt.

(Foto: Adam Pretty/Getty Images)

Wiegman gilt als Pragmatikerin mit Hang zum Perfektionismus. Der englische Verband dürfte sich aber vor allem deshalb für die 52-Jährige entschieden haben, weil sie bewiesen hat, bestens mit dem auf einem gastgebenden Team lastenden Druck umgehen zu können. Die Niederlande war bei der EM 2017 erstmals Ausrichter eines Frauenfußball-Turniers und holte direkt den Titel, getragen von der Begeisterung im Land, gelenkt vom kühlen Kopf Wiegmans. Mit ihr gelang es gar, diese Energie ins nächste Turnier mitzunehmen: Bei der WM 2019 war erst im Finale gegen die USA Schluss. Was Wiegman mit den "Orangenen Löwinnen" vollbrachte, soll ihr nun auch mit den "Lionesses", den englischen Löwinnen, gelingen, die es bei der EM 1984 und 2009 ins Endspiel schafften und bei den vergangenen drei großen Turnieren stets das Halbfinale erreichten.

"Es gibt viele Favoriten bei der EM, wir sind einer davon", sagt Wiegman. Stark war der Kader in den vergangenen Jahren immer und berüchtigt für sein schnelles, physisches, flexibles Spiel - mit Wiegman sollen nun auch die Erfolge kommen. Das Team tritt taktisch variabler und disziplinierter in der Defensive auf. Zudem verfügt es rund um Rekordtorschützin Ellen White und die aufstrebende Lauren Hemp über eine verlässlich treffende Offensive. Verändert hat sich unter Wiegman außerdem der Fokus: "Unsere Mentalität dreht sich nur noch darum, dass das Team gewinnt, statt um Einzelne. Keine schmollt mehr, wenn sie ausgewechselt wird", erzählte Mittelfeldspielerin Keira Walsh dem Telegraph. "Ich weiß nicht, wie sie das macht. Die Atmosphäre bei ihr ist weniger angespannt."

In der Gruppenphase geht es nach der Partie gegen Österreich noch gegen Nordirland und Norwegen, im Viertelfinale könnte es ein Duell mit Deutschland geben. Zu den Favoritinnen, das wissen die Engländerinnen genau, zählten sie auch schon bei der letzten EM, bis sie 0:3 im Halbfinale gegen die Niederlande verloren. Aber den Trumpf der herausragenden Trainerin halten nun ja sie in der Hand.

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