England:Ein bisschen Trauma-Bewältigung

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Marcus Rashford (li.) und Luka Modric trafen schon beim WM-Halbfinale im Juli aufeinander - damals verloren die Engländer, diesmal gelingt ihnen immerhin ein Unentschieden. (Foto: Darko Bandic/dpa)

In der Neuauflage des WM-Halbfinals erreicht England in Kroatien ein 0:0. Trainer Gareth Southgate reagiert auf Kritik an seiner Aufstellung - und der eingewechselte Dortmunder Jordan Sancho lässt hoffen.

Von Sven Haist, London

Das Spiel konnte den Erwartungen nicht standhalten. In England hatten sich die Fans ja insgeheim erhofft, die heimische Nationalmannschaft könnte beim Wiedersehen mit Kroatien das verloren gegangene Halbfinale der Weltmeisterschaft in Russland noch einmal nachstellen. Aber das ist natürlich nicht möglich. Das Duell um den Einzug ins Endspiel des wichtigsten Wettbewerbs im Fußball zog seinen Reiz schließlich daraus, dass es sich eben nicht nach ein paar Monaten einfach neu spielen lässt. Sondern frühestens erst bei der nächsten Auflage des Turniers in vier Jahren. Um sich mit der Niederlage trotzdem zu versöhnen, zeigten die Three Lions beim 0:0 in Rijeka, was sie schon in Moskau gegen Kroatien in der Schlussphase hätten tun sollen.

Am Spieltag des erneuten Aufeinandertreffens in der Nations League hatte die Zeitung Times an die englischen Verfehlungen in den finalen Minuten im Sommer erinnert. Nach der eigenen Führung hatte ja bloß eine knappe halbe Stunde zum Weiterkommen gefehlt. Der Vorwurf ging indirekt an Nationaltrainer Gareth Southgate, der damals davon absah, die Formation seines zunehmend in die Defensive geratenen Teams zu verändern. Die taktische Fehlkalkulation stellte Southgate am Freitagabend nun richtig, indem er erstmals seit dem Feststehen der WM-Qualifikation im Herbst 2017 wieder mit einer Viererkette verteidigen ließ, statt mit fünf Abwehrspielern. Für den eingesparten Innenverteidiger stellte er einen zusätzlichen Stürmer auf. Das hielt Kroatien vom eigenen Tor fern, der Vizeweltmeister kam zu keiner richtigen Torchance im Spiel. Bloß schien das keinen so wirklich zu beunruhigen, nicht mal Zlatko Dalic, den Verantwortlichen des Nationalteams. Die Kroaten zeigten, dass ihnen in diesen Tagen Esprit fehlt - und ihnen der neue Nationenwettbewerb herzlich egal zu sein scheint. Was für sie nach wie vor wichtig ist: Im WM-Halbfinale glich Ivan Perisic den Rückstand in der regulären Spielzeit aus, ehe Mario Mandzukic in der Verlängerung das Land zum ersten Mal überhaupt ins Endspiel schoss.

Zu diesem Trauma hat England nun zumindest weiter an Abstand gewonnen. Die Entscheidung über den Abstieg aus der Liga A in die Liga B der Nations League fällt im Rückspiel im Wembley in fünf Wochen. Mit sechs Punkten führt Spanien souverän die Gruppe 4 an, am Montag empfangen die Iberer die Three Lions in Sevilla. Über die Tabellenkonstellation hinaus lieferte das Duell im kroatischen Rijeka wenige Erkenntnisse, die nicht schon vor der Partie bekannt gewesen wären. In der aufregendsten Szene ging nach einem Abseitstreffer des englischen Kapitäns Harry Kane das Tornetz kaputt. Die beiden besten englischen Chancen vergaben nach Standards zuvor Kane mit einem Kopfball an die Latte (51.) und Eric Dier mit einem Kopfball an den Pfosten (43.).

Kane will nicht noch mal die Hymne ins Nichts singen

Das Unentschieden fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, nachdem sich kroatische Fans vor drei Jahren einen Totalausfall geleistet hatten. Im EM-Qualifikationsspiel gegen Italien wurde das Spielfeld im Stadion Poljud in Split mit Chemikalien präpariert, wodurch sich ein metergroßes Hakenkreuz abzeichnete. Der europäische Fußballverband strafte die Schandtat mit Punktabzug, einer Geldstrafe und zwei Heimspielen ohne Zuschauer ab. Neben Sicherheitskräften und Medienvertretern durften lediglich jeweils 75 geladene Gäste der beiden Länder ins Stadion. Aus dem Gebüsch hinterm Tor verfolgten ein paar englische Fans das Geschehen; die Gespensterstimmung verglich die Times mit der Atmosphäre bei den Hackney Marshes, den in London liegenden Grünflächen am nordöstlichen Ende der Stadt. "Wenn man einläuft, die Nationalhymne beginnt und man sie ins Nichts singt, ist das etwas, dass wir nicht noch ein paar Mal in unseren Karrieren erleben möchten", sagte Kane.

Für Leben sorgte die Einwechslung des verheißungsvollen Himmelsstürmers Jadon Sancho für zwölf Minuten. Mit 18 Jahren und 201 Tagen ist der Flügelangreifer der zweitjüngste englische Spieler nach Duncan Edwards (18 Jahre und 183 Tage) gegen Schottland im April 1955, der für England sein Pflichtspieldebüt absolvierte - und der erste überhaupt mit Geburtsdatum in diesem Jahrtausend (25. März 2000). Durch die Nominierung ist Sancho, der im Sommer 2017 für knapp zehn Millionen Euro von Manchester City zu Borussia Dortmund gewechselt ist, nun neben Kevin Keegan (Hamburger SV), Dave Watson (Werder Bremen), Tony Woodcock (1. FC Köln) und Owen Hargreaves (FC Bayern) einer von fünf englischen Nationalspielern, die bei ihrer Berufung bei einem deutschen Klub unter Vertrag standen. Nacheinander lieferte Sancho zwei Flanken von der rechten Seite in den Strafraum, einmal entschied er ein Laufduell für sich.

Sanchos Spielwitz soll die zuweilen englische Ideenlosigkeit in der Offensive beheben, doch am Freitag funktionierte das noch nicht zählbar. Aufgrund der Ereignisarmut des Spiels hätte es sich im Nachhinein vielleicht eher gelohnt, sich noch einmal die Wiederholung des WM-Halbfinals anzusehen.

© SZ vom 14.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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