Fußball-EM:England fehlen diverse Heldinnen

Fußball-EM: Eine der Ausnahmen: Nikita Parris (links) ist eine von nur drei schwarzen Nationalspielerinnen im englischen Team.

Eine der Ausnahmen: Nikita Parris (links) ist eine von nur drei schwarzen Nationalspielerinnen im englischen Team.

(Foto: Liam Asman/Imago)

Zu wenige Vorbilder, zu teuer, zu ungerecht: Wie es kommt, dass kaum noch schwarze Fußballerinnen für England tragende Rollen spielen - und was der Verband trotz des aktuellen Erfolgs dagegen unternehmen will.

Von Ronny Blaschke, Manchester

Fern Whelan hat sich in der Vorbereitung auf ihren neuen Job noch einmal die alten Teamfotos angeschaut. Ob in der Schule oder im Jugendfußball: Meist war sie die einzige schwarze Spielerin auf dem Bild. "Für mich war das damals normal, ich habe es nicht wirklich hinterfragt", sagt Whelan, die vor zehn Jahren drei Länderspiele für England bestritten hat. "Heute ist die Lage anders, heute haben wir eine stärkere Stimme."

Whelan arbeitet für die englische Profivereinigung PFA und möchte die Diversität im Mädchen- und Frauenfußball erhöhen. Einer ihrer Termine während dieser Europameisterschaft führte sie zu einer Konferenz nach Manchester. Dort, im Nationalen Fußballmuseum, freuten sich die Gäste auch über den Erfolg des englischen Teams.

Aber ihre Worte klangen weniger euphorisch. Während die Förderung des Frauenfußballs in England seit Jahren steigt, geht die Sichtbarkeit schwarzer Nationalspielerinnen zurück. Bei der Weltmeisterschaft 2007 in China gehörten sechs schwarze Spielerinnen zum englischen Team - nun bei der heimischen EM sind es drei. Jessica Carter, Nikita Parris und Demi Stokes - eine prägende Rolle spielt keine von ihnen.

Dieses Verhältnis steht im Kontrast zum Männerfußball. Bei der Europameisterschaft im vergangenen Jahr gehörten elf schwarze Spieler zum englischen Team. Laut dem Netzwerk "Black Footballers Partnership" sind in der Premier League 43 Prozent der Spieler nicht weiß. In der Women's Super League, der höchsten Spielklasse der Frauen, sind nur 9,7 Prozent der Spielerinnen schwarz oder haben, wie es in England heißt, einen "ethnisch diversen Hintergrund".

Es geht nicht nur um das Fehlen von Vorbildern - es gibt auch kulturelle Barrieren

"Junge Mädchen sehen fast niemanden, der so aussieht wie sie. Ihnen fehlen Heldinnen, denen sie nacheifern können", schrieb die langjährige englische Nationalspielerin Anita Asante in einem Gastbeitrag für den Guardian. "Das englische Scouting-System für Frauen hat nicht genügend Leute vor Ort. Es mangelt an Ressourcen und Einfallsreichtum, um an den richtigen Stellen zu suchen."

Anita Asante erreichte die Leistungsebene vor gut 20 Jahren beim FC Arsenal in London. Die Strukturen waren noch nicht professionell. Asante schildert, dass die wichtigsten Frauenteams damals durchaus divers gewesen sind. Mit Einführung der Women's Super League 2010 übernahm der Frauenfußball zunehmend Fördermodelle aus der Premier League. Talentstützpunkte wurden in Vororten der Großstädte oder in ländlichen Regionen etabliert. Familien mit niedrigem Einkommen können es sich weniger leisten, ihre Kinder ins Fußballinternat zu bringen. Einen Fahrservice bieten die Klubs im Mädchenfußball selten an.

Hinzu kommen "kulturelle Barrieren", wie es Eartha Pond formuliert. Die Sportlehrerin hatte einst selbst professionell gespielt, unter anderem für Chelsea, Everton und Tottenham. Inzwischen engagiert sie sich in der Lokalpolitik im Londoner Stadtteil Queen's Park und berät den englischen Fußballverband FA bei der Frauenförderung. "Die Vereine und Verbände sollten behutsam mit den Familien sprechen", sagt Pond. "Es ist nicht selbstverständlich, dass Eltern aus schwarzen Communitys ihre Kinder wochenlang woanders übernachten lassen."

Was zunächst harmlos klingt, hat einen ernsten Hintergrund. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Millionen Menschen aus den Karibik-Staaten, Afrika und Südasien nach Großbritannien gekommen. Sie arbeiteten hart, wurden aber bei der Wohnungssuche, im Gesundheitswesen oder in der Bildung diskriminiert. Zwischen den Siebziger- und Neunzigerjahren lernten sie Fußballstadien als Orte kennen, in denen die rechtsextreme National Front kräftige weiße Männer rekrutieren wollte. Und in denen die wenigen schwarzen Spieler mit Bananen beworfen und mit Affenlauten gedemütigt wurden.

Der offene Rassismus mag aus den oberen Ligen verschwunden sein - die strukturelle Benachteiligung bleibt

Im neuen Jahrtausend wollten Premier League und FA das Vertrauen schwarzer Menschen zurückgewinnen, mit härteren Sanktionen gegen Rassismus und mit Prävention. In keinem anderen Land Europas ist die Zivilgesellschaft rund um den Fußball so verzweigt wie in Großbritannien. Die Netzwerke "Kick it Out" und "Show Racism the Red Card" werben für Aufklärung. Die "Football Black List" weist nach, dass die wenigen schwarzen Trainer schneller entlassen werden als ihre weißen Kollegen. Das "Black Collective of Media in Sport" dokumentiert die geringe Sichtbarkeit nichtweißer Menschen in der Sportberichterstattung. Und die Gruppe der schwarzen und asiatischstämmigen Schiedsrichter betont, dass sich ihre Mitglieder von weißen Spielbeobachtern oft ungerecht bewertet fühlen.

Der offene Rassismus mag aus den oberen Ligen verschwunden sein - die strukturelle Benachteiligung bleibt. Die FA wollte sich lange nicht mit eigenen Gremien auseinandersetzen, in denen in der Regel weiße Männer sitzen. Nach wiederkehrenden Debatten über Rassismus verwies sie auf die steigende Zahl schwarzer Nationalspieler - oder sie lenkte die Aufmerksamkeit auf Vorbilder wie Hope Powell. Die frühere Nationalspielerin wurde in den Achtzigerjahren häufig rassistisch beleidigt. Powell wollte sich nicht unterkriegen lassen und übernahm 1998 als Trainerin das englische Nationalteam. Sie blieb 15 Jahre im Amt und inspirierte viele Mädchen für Fußball.

Doch die Entwicklung verläuft nicht linear zum Besseren. 2017 ging die Nationalspielerin Eniola Aluko mit Vorwürfen gegen Mark Sampson an die Öffentlichkeit. Der Nachfolger von Hope Powell als Nationaltrainer habe Aluko rassistisch beleidigt. Es folgte eine lange Debatte in Medien, Fußball und Justiz. Aluko fühlte sich als Opfer von der FA nicht ausreichend unterstützt und zog sich wegen Beschimpfungen zeitweise aus den sozialen Medien zurück.

Fern Whelan, die für die Profivereinigung PFA arbeitet, möchte das Vertrauen mit konkreten Ideen zurückgewinnen. Sie konnte es nicht glauben, dass die FA vor der EM einen Werbespot mit ausschließlich weißen Spielerinnen verbreitete. Sie hofft, dass das Turnier auch für Stipendien, Mentorenprogramme und fußballferne Zielgruppen Auftrieb bringt. In England gibt es mehr Projekte als in Deutschland, Schweden oder den Niederlanden, deren Fußballerinnen ebenfalls nicht die Vielfalt der Gesellschaften spiegeln. Aber dieser Vorsprung ist für Fern Whelan nur ein kleiner Trost.

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