Süddeutsche Zeitung

England:Die Opfer der Rattenfänger

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Mehrere englische Fußballer erheben schwere Missbrauchsvorwürfe gegen ihre früheren Jugendtrainer. Vier Polizei-Einheiten ermitteln.

Sie nennen ihn den "Pied Piper", den Rattenfänger: Was in diesen Tagen über Barry Bennell und weitere frühere Jugendtrainer berichtet wird, erschüttert den englischen Fußball. Mehrere ehemalige Profis werfen Bennell, einem verurteilten Sexualstraftäter, vor, sie missbraucht zu haben. In der Folge haben weitere Profis ausgesagt, von ihren Trainern missbraucht worden zu sein. Und wie der Guardian am Samstag berichtet, hat der Verein Crewe Alexandra, der im Mittelpunkt des Skandals steht, von den Vorwürfen gewusst - und nicht gehandelt.

Ex-Profi Andy Woodward hatte in der vergangenen Woche den Stein ins Rollen gebracht, als er seinem alten Jugendtrainer Bennell öffentlich vorwarf, ihn missbraucht zu haben. Danach richteten weitere Ex-Profis derartige Vorwürfe gegen Bennell. Am Freitag enthüllte dann Jason Dunford, früher Spieler bei Crewe Alexandra, im BBC-Fernsehen, Bennell habe während eines Ferienlagers versucht, ihn im Bett anzufassen. "Ich glaube, es gab eine Verschwörung und einen Pädophilenring", sagte er, die Vereine hätten bei den Missbrauchsfällen versagt.

Bennell sitzt gerade seine dritte Haftstrafe ab

Doch der Fall Bennell ist wohl kein Einzelfall. Der Ex-Nationalspieler Paul Stewart, früher Stürmer beim Verein Tottenham Hotspur, warf einem nicht namentlich genannten Jugendtrainer wiederholte sexuelle Übergriffe vor. Der Mann habe ihm damals gedroht, seine Familie zu töten, wenn er nicht über den Missbrauch schweige, erklärte Stewart. Und der Guardian berichtete, ein nicht namentlich genannter Ex-Spieler von Newcastle United habe dem Blatt enthüllt, dass er in dem Club sexuell missbraucht worden sei. Sein Peiniger war demnach wegen Übergriffen gegen Jungen während seiner 24-jährigen Arbeit in der Nachwuchsförderung des Vereins bereits zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Die englische Polizei gab am Samstag bekannt, dass vier unterschiedliche Polizei-Einheiten die Vorwürfe aufklären sollen, darunter die Metropolitain Police, die größte Polizei-Einheit Großbritanniens.

Bennell hatte als Jugendtrainer bei Manchester City, Stoke City, Crewe Alexandra und mehreren weiteren Mannschaften im Nordwesten Englands gearbeitet. Wegen der Vergewaltigung eines Jungen bei einer Fußball-Tour in Florida im Jahr 1994 wurde er bereits zu vier Jahren Haft verurteilt, wegen 23 Übergriffen auf sechs Jungen in England 1996 wurde eine neunjährige Gefängnisstrafe gegen ihn verhängt. Seine dritte Haftstrafe trat Bennell 2015 wegen des Missbrauchs eines Jungen während eines Trainingscamps im Nordwesten Englands im Jahr 1980 an. Laut des Guardian-Berichts am Samstag habe sich der Vorstand von Crewe Alexandra Ende der Achtzigerjahre im Klub über die Absetzung Bennells beraten, aber des Verdachts zum Trotz an ihm festgehalten.

Rooney ruft Missbrauchsopfer auf, nicht länger zu schweigen

Laut Fernsehsender Sky News haben sich bislang elf Menschen im nordwestenglischen Cheshire mit Hinweisen auf Missbrauchsfälle im Fußball an die Polizei gewandt, Rufnummern für Missbrauchsopfer sind eingerichtet. Der Chef des englischen Fußballverbandes Football Association (FA), Greg Clarke, hatte die Missbrauchsfälle am Donnerstag als "abscheuliche Verbrechen" verurteilt und Unterstützung bei ihrer Aufklärung zugesagt.

Der Kapitän der englischen Nationalmannschaft, Wayne Rooney, rief am Freitag mögliche weitere Missbrauchsopfer auf, nicht länger zu schweigen. "Es ist wichtig, dass die Leute wissen, dass es okay ist, darüber zu reden, es Hilfe gibt und sie nicht im Stillen leiden müssen", erklärte Rooney und lobte, Woodward habe Mut bewiesen, mit seinen Vorwürfen an die Öffentlichkeit zu gehen. "Es ist schrecklich, dass einige meiner Kollegen auf diese Weise gelitten haben, als sie den Sport spielten, den ich und sie lieben."

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SZ vom 27.11.2016 / SZ, AFP, SID
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