England:Das Brüllen der Löwinnen

England: Gut gebrüllt: Ellen White (Nr. 18) jubelt über ihren Treffer gegen Japan.

Gut gebrüllt: Ellen White (Nr. 18) jubelt über ihren Treffer gegen Japan.

(Foto: Valery Hache/AFP)

Die Three Lionesses stehen im Achtelfinale - und erheben nun einen Führungsanspruch im Frauenfußball. Denn die Liga boomt und die Klubs investieren im großen Stil. Das lockt auch viele Bundesliga-Spielerinnen.

Von Frank Hellmann, Grenoble/Valenciennes

Das Bistrot de Charles in Valenciennes bietet an Spieltagen dieser WM eine gelungene Mischung aus Sportsbar und Restaurantbetrieb. Die Begegnungsstätte könnte für Fußballspiele im Stade du Hainaut günstiger nicht gelegen sein: direkt an einem Kreisverkehr, den eigentlich jeder passieren muss, der in das rote getünchte Heimstadion des französischen Zweitligisten FC Valenciennes gelangen will. An der Backsteinfassade hängen fein säuberlich die Flaggen jener Nationen, die in der Vorrunde in der nordfranzösischen Stadt gespielt haben: Italien und Australien, Spanien und Deutschland, Kamerun, Niederlande und Brasilien. Dazu sollten wohl auch die führenden Nationen des Frauenfußballs nicht fehlen, also sind auch die Banner von Japan und USA, jeweils die Finalisten der WM 2011 und 2015, als auch von China noch ausstaffiert, die sich 1999 im Finale erst im Elfmeterschießen gegen die USA geschlagen geben mussten.

Doch nun stellt sich unweit der belgischen Grenze jene Nation vor, die 20 Jahre später den Führungsanspruch erhebt: England. Mit dem Achtelfinale gegen Kamerun (Sontag, 17.30 Uhr) kommt der Weltranglistendritte nach Valenciennes, der freilich die Runde der letzten 16 nur als Durchgangsstation begreift. Nach den Vorrundensiegen gegen Schottland (2:1), Argentinien (1:0) und Japan (2:0) hat die Mission erst begonnen.

"Ich sehe nicht, warum wir nicht zu einem großen Turnier fahren sollten mit dem Ziel, es zu gewinnen", sagt Georgia Stanway. Die 20-jährige Offensivspielerin von Manchester City ist eine der erfrischen Entdeckungen im Team von Trainer Phil Neville, der einen hohen Anspruch bedienen muss: Nach Platz drei bei der WM 2015 und dem Vordringen ins Halbfinale der EM 2017 wird nun erwartet, dass Kapitänin Steph Houghton diese Mannschaft mindestens mal in die Finalwoche nach Lyon führt. Dann könnten im Halbfinale Gastgeber Frankreich oder Weltmeister USA warten. Solch ein großes Duell wäre genau das, wonach sich der englische Frauenfußball sehnt.

Englische Topklubs beobachten die WM genau

Längst sind "Three Lionesses" zu Vorbildern geworden, von denen sogar konservative Politiker schwärmen. "Ich möchte, dass jedes Kind die Ausdauer, den Mut und die Entschlossenheit der Löwinnen hat", hat Bildungsminister Damian Hinds in einem Beitrag für den Guardian geschrieben. Mit Kampagnen wie "This Girl Can" sollen an englischen Schule die Barrieren abgebaut werden, 320 Millionen Pfund investiert die Regierung in die Aktionspläne, um Jungs wie Mädchen an Sport heranzuführen. Hinds weiß, dass die besten Projekte nicht helfen, wenn Idole fehlen. Und deshalb sei es gut, wie England beim Turnier auftrete: "Unabhängig was noch in Frankreich passiert, trägt diese Weltmeisterschaft schon dazu bei, eine neue Generation von Mädchen für den Fußball zu begeistern."

Englische Topklubs, die in großem Stile in den Frauenfußball investiert haben, beobachten die WM genau. "Es geht so viel voran, wir haben so viele Schritte in den vergangenen Jahren gemacht. Aus meiner Sicht ist eine internationale Trophäe das letzte fehlende Teil: Den WM-Pokal zu gewinnen, würde bedeuten, dass wir wirklich angekommen sind", sagt Emma Hayes, die umtriebige Managerin des FC Chelsea. Für deren Ladies war erst im Halbfinale der Women's Champions League gegen Seriensieger Olympique Lyon Endstation.

Die Dynamik ist gewaltig: Verband und Vereine übertrumpfen sich fast dabei, die großen Stadien für den Frauenfußball zu nutzen. Für das vereinbarte Freundschaftsspiel England gegen Deutschland am 9. November hat sich die Football Association (FA) vorgenommen, das Wembleystadion zu füllen. Der FC Arsenal bestreitet am 28. Juli seine Saisoneröffnung im 60.000 Zuschauer fassenden Emirates Stadium gemeinsam mit den Männern und Frauen. Erst spielen zur Mittagszeit die Arsenal Ladies gegen den FC Bayern, dann folgen am Nachmittag Mesut Özil, Pierre-Emerick Aubameyang und Co. mit ihrer Partie gegen Olympique Lyon. "Dass das Spiel kurz vor der Männer-Partie im großen Stadion ausgetragen wird, ist ein tolles Zeichen für das große Potenzial und die positive Entwicklung des Frauenfußballs in Europa", sagt Karin Danner, die Managerin der FC Bayern Frauen.

Arsenal lockte schon einige Spielerinnen aus München auf die Insel

Der FC Bayern traute sich im Frühjahr einen solchen Schritt für das Halbfinale der Women's Champions League nicht, obwohl sich die Spielerinnen einen Umzug in ein größeres Stadion ausdrücklich gewünscht hatten, wie Melanie Leupolz bei der WM-Vorbereitung in Grassau sagte: "Ich habe nicht verstanden, dass wir gegen den FC Barcelona ein Champions-League-Halbfinale auf dem Campus bestreiten. Letztlich war es eine Vereinsentscheidung. Bei den Männern ist der FC Bayern in der Vorreiterrolle, deshalb wäre es eine Chance gewesen, auch bei den Frauen ein Ausrufezeichen zu setzen."

Die Arsenal Ladies haben mit Torhüterin Manuela Zinsberger, Leonie Maier und Jill Roord gerade drei Bayern-Spielerinnen an die Themse gelotst. Denselben Weg waren schon die niederländische Torjägerin Vivianne Miedema oder die Österreicherin Viktoria Schnaderbeck gegangen. "Die Frauen-Bundesliga muss aufpassen, dass nicht noch mehr deutsche Nationalspielerinnen abwandern, sonst verliert sie an Attraktivität", warnt Leupolz. "Das Ausland ist sehr verlockend. Es kommt mir so vor, dass es dort mehr Anerkennung innerhalb des Vereins gibt. Manchester United hat im Schnitt vor 2500 Zuschauer gespielt. Das war doppelt so viel wie bei uns - und das ist zweite englische Liga." Vermutlich tut sich gerade so viel auf der Insel in Sachen Frauenfußball, dass es die englische Fahne vor dem Bistrot de Charles in Valenciennes wirklich nicht braucht.

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