England besiegt den EM-Gastgeber 1:0:Ukraine scheidet nach Torklau aus

England begnügt sich mit Minimalismus und einem Treffer von Angreifer Wayne Rooney, um ins Viertelfinale gegen Italien einzuziehen. Gastgeber Ukraine vergibt Chancen - dann wird der Mannschaft ein Treffer geklaut. Da hilft auch der Furor von Nationalcoach Blochin nichts. Das Spiel dürfte die Debatte um Torrichter und Torkameras neu entfachen.

Johannes Aumüller

Oleg Blochin konnte es nicht fassen, neben ihm stand Andrej Schewtschenko, der konnte es auch nicht fassen. Sie gestikulierten wild, doch sie wussten selbst, dass ihnen dieses Gestikulieren nichts half. Soeben hatte in der 63. Minute des Spiels der ukrainische Stürmer Marko Devic aus aussichtsreicher Position abgezogen, hatte Englands Torwart Joe Hart den Ball abgefälscht - und hatte John Terry den Ball eindeutig hinter der Linie geklärt.

Doch Schiedsrichter Viktor Kassai gab den Treffer nicht. Nur dieses Tor hätte den Ukrainern ohnehin nicht gereicht, weil sie 0:1 zurücklagen und fürs Weiterkommen unbedingt einen Sieg brauchten. Aber natürlich hätte ihnen dieses Tor noch einmal Schwung gebracht für die letzte halbe Stunde. So aber verlor die Sbirna gegen England mit 0:1 (0:0) und ist ausgeschieden - so wie schon 2008 findet das EM-Turnier ab dem Viertelfinale ohne Gastgeber statt.

Nach Spielende haderte Oleg Blochin: "Wir waren besser, hatten die besseren Chancen. Die Schiedsrichter waren schuld, sie haben uns ein Tor gestohlen, das war ein klares Tor. Die Engländer hatten Glück."

In vielen Ecken des Landes hängen gerade Plakate mit der Aufschrift "Ukraina, wpjered", also "Ukraine, gewinn". Mit Fußball hat das nicht zwingend etwas zu tun. "Ukraina, wpjered" heißt nämlich die Partei der Politikerin Natalija Korolewskaja, die früher einmal Julia Timoschenko nahestand. Doch an diesem Abend galt dieser Satz auch als landesweites Motto für das Team von Oleg Blochin.

Zunächst konnte den Ukrainern, bei denen Schewtschenko wegen Kniebeschwerden nur auf der Bank saß, niemand einen Vorwurf machen. Sie liefen viel, sie kämpften, sie störten energisch - was die fußballerischen Sekundärtugenden anging, war alles in Ordnung. Aber herausgespielte Chancen? Njet.

Es wurde zwar manchmal so laut im Stadion, als ob gleich eine tolle Chance bevorstünde. Aber für diese Lautstärke war stets mehr der sehnliche Wunsch des Publikums verantwortlich als die Aussicht auf eine wirklich hochkarätige Torchance. Das Einzige, was die Blochin-Mannschaft zustande brachte, waren Fernschüsse. Und das gleich so zahlreich, dass es an dieser Stelle unsinnig wäre, alle Versuche aufzuzählen. Stattdessen sei nur vermerkt, dass Torhüter Andrej Pjatow bis zur 45. Minute nicht aufs Tor schoss.

Schewtschenko wird eingewechselt

Die Engländer wiederum verlegten sich auf die Chelsea-Taktik aus dem Champions-League-Finale, ein Remis würde ihnen ja zum Weiterkommen reichen. Wer es kritisch mit ihnen meinte, konnte anmerken, dass eine solche Taktik in einem Spiel gegen eine fußballerisch limitierte Mannschaft wie die Ukraine vielleicht doch eine etwas unwürdige Herangehensweise war.

England besiegt den EM-Gastgeber 1:0: Oleg Blochin wütet nach der Fehlentscheidung, die den Ausgleich für die Ukraine bedeutet hätte.

Oleg Blochin wütet nach der Fehlentscheidung, die den Ausgleich für die Ukraine bedeutet hätte.

(Foto: AP)

Wer es gut mit ihnen meinte, konnte anmerken, dass diese Haltung vielleicht schon einmal eine Art Aufwärmen für den mutmaßlichen Viertelfinal-Gegner Spanien sein sollte. Lediglich eine Kopfball-Chance für Wayne Rooney sprang so heraus (18.)

Vielleicht kam Englands Trainer Roy Hodgson irgendwann in den Sinn, dass nicht jedes Spiel mit Chelsea-Taktik auch erfolgreich ausgehen muss. Jedenfalls legte seine Mannschaft in den ersten Angriff nach der Pause so viel Wucht, wie sie bis dahin in keinen Angriff gelegt hatte - und am Ende des Angriffs erzielte Rooney, der wuchtigste aller Engländer, aus kürzester Distanz das 1:0 (48.).

Eine gute Viertelstunde lang schien die Ukraine von diesem Rückschlag zu sehr geschockt, um noch einmal etwas ausrichten zu können. Das einzige, was den Zuschauern blieb, war die Hoffnung auf einen alten Mann. "Schewa, Schewa", fingen sie an, zu skandieren. Und siehe, offenkundig ist die Aura dieses Andrej Schewtschenko groß genug, dass der Klang seines Namens schon ausreicht, um der Ukraine neuen Schwung zu verleihen.

Kurz darauf köpfte Milewskij völlig frei aus vier Metern aufs Tor (61.), dann kam es zu dem umstrittenen Schuss von Devic. 20 Minuten vor Schluss wechselte Blochin den angeschlagenen Schewtschenko ein. Bald darauf probierte es Jewgenij Konopljanka mit dem besten der zahlreichen Distanzschüsse des Abends. Doch ein Tor fiel nicht mehr.

Und die Engländer? Die spielen trotz Warming-up-Taktik nicht einmal gegen Spanien, sondern wurden wegen des französischen Patzers Gruppensieger und treffen auf Italien.

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