Süddeutsche Zeitung

England bei der Fußball-EM:Klug, schnell, torlos

England stürmt famos, vergisst jedoch, ein Tor zu schießen. So wird das Team bloß Gruppenzweiter. Die glücklichen Slowaken dürfen noch hoffen.

Von Ulrich Hartmann, Saint-Étienne

Die englische Mannschaft hätte am Montagabend die Rolle einer guten Fee übernehmen können. Mit einem Sieg im letzten Gruppenspiel gegen die bis dahin bloß drei Punkte aufweisende Slowakei hätte sie aufgrund der hochkomplizierten tabellarischen Regeln und Gruppen-Konstellationen sowohl Deutschland und Polen (beide Gruppe C), als auch Kroatien (Gruppe D) und Ungarn (Gruppe F) bereits vor deren letzten Spielen am Dienstag und Mittwoch ins Achtelfinale bringen können - weil diese Teams dann in jedem Fall zu den besten Gruppendritten gehört hätten.

Doch die Engländer versäumten es in einem überlegen geführten Spiel, sich an die Spitze der Gruppe B zu setzen, am Samstag in Paris das vielleicht angenehmere Achtelfinale gegen einen Gruppendritten bestreiten zu dürfen - und für vier andere Teams die gute Fee zu spielen. Sie kamen gegen die Slowakei über ein 0:0 nicht hinaus und sind jetzt nur Zweiter hinter Wales. Die Slowakei muss als Dritter mit vier Punkten ums Weiterkommen bangen.

Ungeachtet der zuvor noch nicht feststehenden Gruppenplatzierung der Engländer hatte es deren Trainer Roy Hodgson doch tatsächlich gewagt, aus seiner zuvor zwei Mal nacheinander identisch formierten Startelf diesmal nur noch fünf Spieler auf dem Rasen zu belassen. Der Torwart Joe Hart, die Innenverteidiger Gary Cahill und Chris Smalling sowie Eric Dier im zentralen Mittelfeld und Adam Lallana in der Offensive durften als Konstanten zum dritten Mal bei diesem Turnier das Spiel beginnen, während sechs Akteure - darunter Wayne Rooney, Raheem Sterling und Harry Kane - als Rücklagen auf die Bank gebracht wurden.

Vardy sorgt für Unruhe

Meister-Stürmer Jamie Vardy von Leicester City durfte zunächst zentral auf Trefferjagd gehen, Daniel Sturridge vom FC Liverpool rechts außen. Die beiden hatten als Einwechselspieler zu Englands 2:1-Sieg gegen Wales getroffen und sollten diesmal das Spiel nicht drehen - sondern eine Führung vorlegen.

Diesem Ansinnen war Vardy von Beginn an erkennbar aufgeschlossen. Schon in den ersten Minuten verbreitete er im slowakischen Strafraum eine gewisse Unruhe. In der 17. Minute überrannte er den slowakischen Kapitän Martin Skrtel als letzten Verteidiger, schoss aber dann statt ins Tor bloß den Torwart Matus Kozacik an. Den ersten Treffer landete dann üblerweise Ryan Bertrand, als er Peter Pekarik, den Slowaken im Dienst von Hertha BSC, mit dem Ellbogen derart brutal im Gesicht traf, dass es aus einer Platzwunde nur so tropfte auf das blütenweiße Trikot. Bertrand entging einer gelben Karte, Pekarik aber nicht einem Trikotwechsel.

Im Mittelfeld zeigten die Briten nach einer halben Stunde zunehmende Brillanz. Sie spielten klug und schnell durch Nahtstellen in freie Räume und ließen die Slowaken da und dort richtig alt aussehen. Bloß den Tormann Kozacik von Victoria Pilsen, den stachelten sie damit bloß zu großartigen Reflexen an. Er hielt seine defensiven Slowaken, die in der selben Startformation wie beim vorangegangenen 2:1 gegen Russland aufgelaufen waren, bis zur Pause im Spiel.

Die ersten Pässe der zweiten Halbzeit orchestrierten die englischen Fans mit der gesungenen Nationalhymne. Sie baten damit vordergründig um den Schutz der Königin, aber insgeheim doch auch um ein Tor, denn die spielerische Überlegenheit ihrer Mannschaft war weiterhin augenscheinlich. Meistens jedenfalls. Der Torwart Joe Hart hat einen geruhsamen Abend, bis Chris Smalling ihm in der 53. Minute beinahe einen Streich gespielt und dem Slowaken Robert Mak, einem früheren Nürnberger, den Ball um ein Haar zum Tor vorgelegt hätte. Drei Minuten später rettete Hart bei einem Flachschuss von Vladimir Weiss.

Den Briten wurde die Verletzlichkeit ihres Spiels bewusst. Der Trainer Hodgson versuchte dies mit der Einwechslung von Rooney für Jack Wilshere zu behandeln. In seiner ersten Aktion flankte Rooney hinters Tor zu den slowakischen Fans. Doch die Dominanz seiner rotgekleideten Engländer nahm wieder zu. Nach einer Stunde kratzte Skrtel einen Schuss des kurz zuvor eingewechselten Dele Alli von der Linie. Die Chancen mehrten sich, der Choral der Fans schwoll an, doch die Zeit lief unerbittlich ab. Sturridge verfehlte eine gelupfte Hereingabe von Jordan Henderson, ein Schuss von Rooney wurde abgeblockt. Bis zum Strafraum hatten sie freie Bahn, aber vor dem Tor wollte nichts gelingen.

Slowakei rettet das Unentschieden

Eine Viertelstunde vor dem Ende kam dann Kane für Sturridge. Es blieb nicht mehr viel Zeit für ein Siegtor und damit das strategisch bessere Achtelfinalspiel in Paris. Die Slowaken versuchten zu retten, was zu retten war: ein Unentschieden. Sie konterten nicht einmal mehr, sondern verließen sich auf die Verdichtung des eigenen Strafraums und die englische Unfähigkeit, darin einen klaren Gedanken und einen klaren Ball fassen zu können.

Und sie hatten Glück. Sie retteten das Nullzunull über die Zeit und bleiben damit vorläufig im Rennen ums Achtelfinale. Die Engländer konnten damit auch irgendwie leben. Sie hatten das Achtelfinale ja trotzdem sicher. Und die gute Fee für die anderen haben sie einfach nicht spielen wollen.

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SZ vom 21.06.2016/ebc
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