Süddeutsche Zeitung

England:Abschied der Raupe

David Wagner führte Huddersfield Town aus der Zweitklassigkeit in die Premier League. Nun trennt sich der Klub von seinem deutschen Trainer.

Von Sven Haist, London

Auf das Ende der Zusammenarbeit mit David Wagner schien Huddersfield Town genauso wenig vorbereitet zu sein wie auf die gemeinsamen Erlebnisse zuvor, während der Abenteuerreise durch den englischen Fußball. Nachdem die Trennung am Montagabend vollzogen war, übermittelte fast die gesamte Mannschaft dem nun ehemaligen Cheftrainer ihre Hochachtung. Zu den Danksagungen der Profis kamen die Verabschiedungen von Fans, Mitarbeitern und Direktoren des Vereins. Die Botschaften auf den diversen digitalen Kanälen des Klubs erinnerten in Ausmaß und Intonierung fast an Nachrufe auf einen Verstorbenen. Dabei hat David Wagner die Welt natürlich nicht verlassen, aber für die Menschen in Huddersfield fühlt es sich gerade halt ein bisschen so an.

Wagner und Huddersfield haben bewegende drei Jahre hinter sich, in denen sich Klub und Trainer gleichermaßen verausgabt haben. Jetzt wirken beide völlig entkräftet - nur muss der Verein noch bis Saisonende durchhalten, die Premier League ist gerade in die Rückrunde aufgebrochen.

Huddersfield, derzeit abgeschlagener Tabellenletzter, gab am Montag in einer Mitteilung bekannt, dass Wagner seine Tätigkeit im Einverständnis des Klubs mit sofortiger Wirkung ruhen lasse. "Ich kann David gar nicht genug danken. Unter ihm haben wir Dinge erreicht, die ich mir in meinen wildesten Träumen nicht hätte vorstellen können", ließ sich Eigentümer Dean Hoyle zitieren. Ein sehr, sehr trauriger Tag sei das für den Klub. Wagner hatte seinen Vertrag vor knapp acht Monaten erst bis 2021 verlängert. Zuletzt bat er darum, nach der Saison eine Auszeit nehmen zu dürfen - und signalisierte damit offenkundig, dass er bereit war, sein Amt schon vorher aufzugeben. Denn sein Klub, das wusste Wagner, wäre ihm auch trotz der mittlerweile zehn sieglosen Pflichtspiele hintereinander nicht in den Rücken gefallen. Hoyle, der einst über ein Grußkartenunternehmen zum Millionär aufstieg und 2009 den Klub seiner Kindheit übernahm, hatte das zuletzt ja immer wieder betont: dass er an seinem deutschen Trainer festhalten wolle, ungeachtet der sportlichen Bilanzen.

Wagners nobler Entschluss ermöglicht Huddersfield nun die Chance auf einen Neustart, dem schwächsten Angriff der Liga fehlen acht Punkte auf den ersten Nichtabstiegsplatz. In 31 von 60 Erstligaspielen unter Wagner gelang Huddersfield kein eigenes Tor, das ist der prozentuale Höchstwert aller in der Premier League vorstellig gewordenen Vereine. Das Heimspiel am Wochenende gegen Manchester City übernimmt der im Sommer 2017 zurückgetretene Aufstiegskapitän Mark Hudson, als Interimstrainer. Wagner verabschiedete sich am Dienstag in einer persönlichen Nachricht von den Fans. "Ich bin traurig, den Verein zu verlassen, aber unheimlich stolz darauf, was wir geleistet haben", schrieb er: "Der Klub bleibt in meinem Herzen und ich will das, was für ihn am besten ist." Sein Name wird in Zukunft immerhin in einer Reihe mit Herbert Chapman stehen, dem einstigen Meistertrainer des Klubs.

Mit Wagners Weggang geht für Huddersfield die erfolgreichste Zeit dieses Jahrtausends zu Ende. Der dreimalige englische Titelgewinner der 1920er-Jahre war über die vergangenen fünf Jahrzehnte in die unterklassigen Ligen abgerutscht - bis Wagner dem Verein im November 2015 mit seinem Optimismus eine Zukunft aufzeigte. Der frühere Angreifer ließ ein aggressives, synchrones Attackieren einstudieren, das er als Jugend- und Amateurcoach in Hoffenheim und Dortmund erlernt hatte. Das überforderte viele der damaligen Konkurrenten in der zweiten Liga, die noch das altmodische Kick and Rush pflegten. In der ersten Spielrunde bewahrte Wagner die Terrier, wie der Verein auf der Insel gerufen wird, vor dem Absturz in die Drittklassigkeit, führte sie daraufhin gleich mal in die Premier League und dort trotz des geringsten Etats in der Vorsaison zum Klassenerhalt. Seine Spieler warfen ihn damals mehrmals durch die Luft, anschließend versuchte Wagner eine Raupe zu starten, bei der sich die Spieler hintereinander aufreihen, an die Oberschenkel fassen und über den Rasen krabbeln. Das hatte er freilich nicht in Hoffenheim und Dortmund, sondern in Gütersloh gelernt.

Die Fans, beschwingt vom süßen Erfolg, hielten es damals sogar für denkbar, dass Wagner den Klub gleich noch zur Meisterschaft führen würde. Aber das erwies sich zügig als Wunschtraum. In dieser Saison führte David Wagner sein Team bloß noch an seine Grenzen heran, nicht mehr darüber hinaus - und das war dann nicht mehr genug.

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Quelle:
SZ vom 16.01.2019
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