England:386 Wörter

Liverpool FC v Atletico Madrid - UEFA Champions League Round of 16: Second Leg

König der Sterne gesucht: Jürgen Klopp konnte noch so hoch springen und sich nach dem Sternenball strecken - es nutzte nichts. Am 11. März, dem bisher letzten Abend, an dem in der Champions League Fußball gespielt wurde, schied der deutsche Trainer mit dem FC Liverpool aus dem Wettbewerb aus.

(Foto: Julian Finney/Getty Images)

Kein Konkurrent, sondern Corona könnte Liverpools Traum vom ersehnten Meistertitel platzen lassen. Jürgen Klopp appelliert: Es gibt Wichtigeres.

Von Sven Haist, Liverpool

Wie so häufig hat Jürgen Klopp den richtigen Ton getroffen. Nach den Spielabsagen in der Premier League aufgrund des sich massiv ausbreitenden Coronavirus in Europa wandte sich der Deutsche als Trainer des Tabellenführers FC Liverpool an die eigenen Fans. In seiner 386 Wörter langen Mitteilung auf der Vereinsseite hätte Klopp natürlich vorrangig das eigene Wohl und das des Klubs voranstellen können - stattdessen schrieb er, dass es jetzt völlig falsch wäre, über etwas anderes zu reden, als den Menschen zu raten, füreinander zu sorgen und alles dafür zu tun, sich gegenseitig vor den Krankheitserregern zu schützen.

Mit seiner Ansprache gab Klopp dem geldgetriebenen Inselfußball die Richtung vor, dass es gerade um mehr geht als gewonnene Spiele und hochgehaltene Pokale. Seit seiner Ankunft am River Mersey vor viereinhalb Jahren hat sich der 52-Jährige mit seiner sozialen Gesinnung eine Popularität erworben, die seinen sportlichen Erfolgen in fast nichts nachsteht.

An diesem Wochenende hätte Liverpool, sofern dieser 30. Spieltag in der Premier League nicht einen Tag vorher zurückgepfiffen worden wäre, erstmals seit 30 Jahren wieder englischer Meister werden können. Der Titel schien bei derzeit 25 Punkten Vorsprung auf das zweitplatzierte Manchester City bloß eine Frage der Zeit zu sein - bis Covid-19 auftauchte und sich zur Pandemie entwickelte.

In der Samstagsausgabe fragte die Times deshalb auf ihrer Sporttitelseite: "Wann wird das Warten vorbei sein?" Liverpool war in dieser Premier-League-Saison bislang absolut dominierend (nur eine Niederlage und ein Remis), doch die eigene Erfolgsbilanz könnte bald Makulatur sein. Was aber bedingungslos akzeptiert wird.

"Natürlich möchten wir keine ausgesetzten Spiele oder Wettbewerbe", sagte Klopp ohne Anflug von Bitterkeit - aber wenn es helfe, dass deswegen nur eine einzige Person mehr gesund bleibe, "tun wir es, ohne Fragen zu stellen", betonte er. Daher unterstütze der Verein "voll und ganz" die Entscheidung über die vorübergehende Einstellung des Spielbetriebs, die der Sicherheit der Gesellschaft dienen soll. Und wenn es in Liverpool momentan tatsächlich jemanden geben sollte, auf den sich alle einigen können, ist es Jürgen Klopp.

Neben den Partien in der Premier League sind in einem Liga-Meeting am Freitag auch sämtliche anderen Profispiele im Frauen- und Männerfußball auf der Insel für die nächsten drei Wochen bis zum 3. April gestrichen worden. Bereits ganz ausfallen werden die für Ende März angesetzten Länderspiele der englischen Nationalelf gegen Italien und Dänemark im Wembley-Stadion, die als Vorbereitung auf die Europameisterschaft im Sommer gedacht waren. Inzwischen sind acht Klubs aus der Premier League nachweislich mit den Viren in Kontakt gekommen.

Als Erster wurde der im Vorjahr vom FC Bayern heftig umworbene Flügelstürmer Callum Hudson-Odoi vom FC Chelsea am vergangenen Montag positiv getestet, im Verlauf der Woche erwischte es unter anderen Arsenals Chefcoach Mikel Arteta. Gesund blieben derweil die Spieler und der Betreuerstab in Liverpool, nach der Trainingseinheit am Freitag schickte Klopp seine Profis als Vorsichtsmaßnahme für die nächste Zeit mit individuellen Fitnessplänen nach Hause.

Ähnlich rasch wie die Krankheitserreger verbreitete sich in Großbritannien am Freitag die Einschätzung des für Klartext bekannten FA-Verbandsvorsitzenden Greg Clarke, der auf der Versammlung der Premier League zuvor mitgeteilt hatte, dass er nicht davon ausgehe, dass die Saison vollständig zu Ende gespielt werden könne. Seine Annahme basierte auf einer Regierungspressekonferenz am Donnerstag, bei der bekannt gegeben worden war, dass der Höhepunkt der Corona-Pandemie auf der Insel voraussichtlich erst in zehn bis 14 Wochen, sprich Mitte Juni, erreicht sein werde. Das würde die erhoffte Fortsetzung des Spielbetriebs nahezu unmöglich machen - denn dann käme die Premier League an ihre Grenzen: regulativ und finanziell.

In den Ligaregularien findet sich keine Vorgehensweise, wie mit einer abgebrochenen Spielrunde umzugehen wäre. Eine Annullierung der Saison käme daher wohl genauso in Betracht wie Playoff-Spiele um vordere und hintere Platzierungen sowie eine Wertung nach 29 Spieltagen - wobei einige Vereine momentan nicht einmal dieselbe Anzahl an Partien bestritten haben. So könnte sich Aston Villa etwa mit einem Sieg im Nachholspiel gegen Sheffield United aus der Abstiegszone befreien. In jedem Fall sollte die Spielzeit besser bis Ende Juni vorüber sein, sonst müssten zu allem Überfluss circa 70 auslaufende Spielerverträge in der Premier League kurzzeitig verlängert werden.

Und dann wären da noch die Finanzen: Jedes Jahr erhalten die Vereine der Premier League aktuell zusammen etwa drei Milliarden Pfund als Erlös für den Verkauf der nationalen und internationalen Fernsehrechte. Nachdem die Saison bis hierhin erst zu drei Vierteln absolviert ist, wäre es bei einem vorzeitigen Spielende naheliegend, dass die Rechteinhaber (die sich ihrerseits dann vermutlich mit den Ansprüchen der Abonnenten auseinandersetzen müssten) ein Viertel des vereinbarten Preisvolumens, 750 Millionen Pfund, einbehalten.

Das könnte diverse Klubs aus den unterschiedlichen Ligen, deren Betrieb ohnehin auf Kante genäht ist, in die Enge treiben. Schließlich würden auch Zuschauer- und Sponsoreneinnahmen verloren gehen, die ebenso bereits in den Etats verbucht sein dürften. Der Unterschied zwischen einer Saison in der ersten oder der zweiten Liga lässt sich in England auf eine hohe zweistellige Millionensumme beziffern, so unterschiedlich ist die TV-Geldverteilung.

Ob, wann und wie die Premier League in England fortgesetzt wird, lässt sich momentan nicht beantworten. Mit Sicherheit kann nur eines gesagt werden: Der FC Liverpool muss erst einmal weiter auf seinen ersehnten ersten Meistertitel seit 1990 warten.

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