Zum Abschluss konnte man Lena Dürr und Linus Straßer noch einmal in ihren gewohnten Positionen beobachten. Am finalen Renntag dieser Weltcupsaison fuhren in Sun Valley Frauen und Männer jeweils noch einmal zwei Slalomdurchgänge, es war die letzte Chance für einen deutschen Sieg zwischen engen Stangen: Den ganzen Winter über hatte das hoffnungsvollste Duo im deutschen Skisport damit verbracht, knapp dran zu sein – aber eben nie auf der obersten Treppenstufe des Podests. Dabei blieb es: Dürr wurde Zweite hinter der überragenden Mikaela Shiffrin; Straßer, der im ersten Lauf noch fast mit einem Pistenarbeiter kollidiert wäre, wurde Sechster in einem wie immer engen Spitzenfeld.
Vollends zufrieden konnte am Ende weder die eine noch der andere sein – und auch niemand sonst im Deutschen Skiverband (DSV), der mit der Erkenntnis aus der Saison geht, dass es bestenfalls zu Verfolgerrollen reicht im alpinen Skizirkus. Mit immerhin einer Ausnahme.

Lindsey Vonns Fahrt aufs Podium:Die Tränen im Schnee
Lindsey Vonn musste sich für ihr Comeback verspotten lassen. Von Woche zu Woche wuchs ihr Trotz, es allen beweisen zu wollen. Jetzt wird die 40-Jährige Zweite in ihrem letzten Heimrennen in Sun Valley – und weint vor Rührung.
Seit einigen Jahren schon waren es fast ausschließlich Dürr und Straßer, denen man Siege und regelmäßige Podiumsplatzierungen zutraute, so auch in diesem Winter: Dürr stieg viermal aufs Podest, Straßer gelang das zwar nicht im Weltcup, dafür aber gewann er die Bronzemedaille bei der Weltmeisterschaft in Saalbach-Hinterglemm. Um die beiden herum aber hat sich durchaus etwas verändert: Die Erkenntnis lautet, dass der DSV wieder eine klar herausragende Athletin in seinen Reihen hat. Emma Aicher, 21, hat die beiden deutschen Siege in diesem Winter verbucht – als eine Art Trostpflaster für eine ansonsten angeschlagene Mannschaft.
„Eine besonders erfreuliche Saison war das sicher nicht für uns“, lautet das Fazit von Alpinchef Wolfgang Maier. Zehn bis 15 Podestplätze, darauf hatte man sich innerhalb des deutschen Teams als Ziel verständigt, am Ende waren es sieben. Vor allem war es eine Saison, gekennzeichnet von schweren Verletzungen und einer – bis auf Straßers Medaille – enttäuschenden WM: „Warum wir unsere besten Leute nicht zum richtigen Zeitpunkt auf das höchste Level bekommen haben, das beschäftigt mich weiterhin“, sagte Maier, „da werden wir noch viele Gespräche führen müssen.“
Eine Saisonanalyse steht beim Verband nun bevor, allerdings nicht von oben herab. Maier betont gerne eine familiäre Atmosphäre im Verband, ein Miteinander von Trainern, Sportlern und Chefs. „Sportler sind keine Maschinen, Marionetten oder Befehlsempfänger“, sagt Maier dann. Allerdings: Die Verantwortung des Einzelnen steht dafür umso mehr im Fokus. Und im Individualverband DSV ist das vermutlich auch der Schlüssel zum Erfolg.

Anders als in den großen Skinationen Österreich, Schweiz oder Norwegen geht es in Deutschland ohnehin weniger um Breiten- und Mannschaftsarbeit: „Wir müssen individuell fördern“, sagt Maier. Das beginnt in der Jugendarbeit, setzt sich aber bis zu den Profis fort. Dürr, 33, und Straßer, 32, haben schon jetzt eine klare Aufgabe für den Rest ihrer Skikarriere: Ziel sind Medaillen bei Großereignissen, vor allem bei den Olympischen Spielen im kommenden Februar – während es bei der jungen Emma Aicher weiterhin um andere Qualitäten geht.
Der durch die Siege fast automatisch herbeigeredete Status einer Anführerin wird ihr auch im kommenden Jahr nicht vom Verband angeheftet: „Emma ist noch keine Leaderin in der Mannschaft. Dafür ist sie noch zu jung, und das ist völlig in Ordnung so“, sagt Maier. Aichers Ansatz, in dieser Saison als einzige Athletin im Weltcup nahezu alle Rennen zu fahren, habe ihr viele Erfahrungen eingebracht: „Aber wir müssen natürlich viel besser darin werden, ihr zu zeigen, wo sie noch ihr Potenzial besser ausschöpfen kann.“ Die Wechsel zwischen den Disziplinen sind für Aicher herausfordernd, das erklärt die teilweise kuriosen Aneinanderreihungen von Siegen und einfachen Fehlern, die in Ausfällen endeten.
Emma Aicher lernt über Erfahrung, Intuition - und Freude, sagt der Sportdirektor
Maier geht es um eine Eigenschaft, die Aicher von der Mehrheit der Athletinnen und Athleten im Skisport unterscheidet: „Sie lernt im Schwerpunkt nicht über Korrekturen oder Ansagen, sondern über Freude am Sport. Sie lernt über Erfahrungen und Intuition, das zeichnet wirklich die ganz großen Sportler aus.“ Diese Freude ist für die 21-Jährige der Hauptantrieb, es ist eine verblüffend einfache, natürliche Motivation, die Aicher innewohnt. „Wir können da nicht dieselben Schemata anwenden wie bei manch anderem Sportler im Lehrgangssystem“, sagt Maier.
Der behutsame Aufbau des größten deutschen Skitalents, die gezielte Arbeit mit den zwei etablierten Siegkandidaten in Richtung Olympia, mehr Top-Ten-Ergebnisse für den Rest der Mannschaft: Das sind die Ziele für den kommenden Winter, die der DSV erreichen will. Nur dafür, dass im Saisonverlauf nicht erneut ein Großteil der Mannschaft mit schweren Verletzungen ausfällt, will Maier keine alleinige Verantwortung übernehmen.
Die Frage, wie man mehr Sicherheit schaffen könne, sei zu komplex, um einfache Lösungen anzubieten. Auch wenn es den Verband belastet, Sportler mehrheitlich in der Reha zu begleiten, seien in dieser Debatte vor allem andere Beteiligte wie der Skiweltverband gefordert. Es ist ein einigermaßen resigniertes Fazit, das Maier zum großen Thema dieser Saison zieht: „Wir müssen es leider hinnehmen, dass wir viel investieren, aber dass wir es nicht schaffen, das Verletzungsrisiko erheblich und nachweislich zu verringern.“