EM-Wunderknaben - Jetro Willems:Zerstörer aus dem Fußballkäfig

Jetro Willems hat erst eine Saison in der holländischen Eredivisie hinter sich - und ist dennoch der einzige gelernte Linksverteidiger im Team von Bondscoach Bert van Marwijk. Der 18-Jährige soll mit Schnelligkeit und feiner Technik auch die Offensive beleben. Dass er es kann, zeigte er schon früh auf den Straßen seiner Heimatstadt.

Frieder Pfeiffer

"EM-Wunderknaben" ist die Serie von Süddeutsche.de zur Fußball-EM in Polen und der Ukraine. Bis zum Turnierstart stellen wir jeden Tag einen hoffnungsvollen Kicker vor, der ein Gesicht dieser EM werden könnte.

Jetro Willems

Dynamisch und gut: Jetro Willems (rechts).

(Foto: imago sportfotodienst)

Zuerst war es der kühne Traum eines talentierten Teenagers. Bert van Marwijk, Nationaltrainer der Niederlande, berief den gerade volljährigen Jetro Willems Anfang Mai in seinen erweiterten EM-Kader. "Ich dachte, es muss jemand ausgefallen sein", wunderte sich der Auserwählte. Es war noch kein Jahr her, da hatte Willems mit der U17 im EM-Finale Deutschland 5:2 geschlagen - und jetzt gleich zu den ganz Großen?

20 Spiele hat er in seiner ersten Saison in Hollands Eredivisie gemacht. Und das auch nur, weil er beim PSV Eindhoven National-Linksverteidiger Erik Pieters vertreten durfte, der sich schwer verletzte und auch die EM verpassen wird. Doch nun war niemand mehr ausgefallen. Van Marwijk hatte Willems genau beobachtet - und wollte ihm auch im orangen Dress die Möglichkeit geben, Pieters zu ersetzen.

Das Spiel gegen den FC Bayern Mitte Mai war für viele der überflüssigste Testkick seit Einführung der Viererkette - für den Debütanten Jetro Willems war es eines der schönsten Spiele seines jungen Lebens. Gerade hatte er es überraschend in den 27-Mann-Kader geschafft, nun das erste Länderspiel und anschließend sogar Lob vom Trainer ("gut dagegengehalten").

Aus dem kühnen Traum wurde eine traumhafte Perspektive. Willems spielte im Testspiel gegen Bulgarien von Anfang an und sorgte mit seinen Offensivaktionen für die wenigen Lichtblicke im dürftigen Spiel. Es kam, wie es wenige hatten kommen sehen: Willems' Name fiel auch nicht, als die vier letzten Spieler aus dem EM-Kader gestrichen wurden.

Nach und nach hatten nun fast alle Konkurrenten um die Linksverteidigerposition die Heimreise angetreten: Vurnon Anita, Alexander Büttner, Edson Braafheid, Urby Emanuelson. Der Jüngste blieb. Und der Kleinste. Gerade 1,70 Meter misst Willems - Probleme sich durchzusetzen, hatte er dennoch nie. In den Straßen Rotterdams lernte er in kleinen Fußballkäfigen, engsten Raum mit größtmöglichem Geschick zu bespielen. Mit seinem Team zog er von Stadtteil zu Stadtteil und wo sie auch antraten, immer war der kleine Jetro etwas schneller als der Rest. So lernte er früh Offensive mit Defensive zu verbinden. "Ich war immer in der Lage, nach Angriffen sofort wieder hinten zu stehen, um die gegnerischen Stürmer abzufangen", erinnert er sich.

So entwickelte Willems die Lust an der Defensive. "Ich bin nicht Abwehrspieler geworden, weil ich zu schlecht zum Angreifen war. Ich liebe einfach das Verteidigen. Ich will die gegnerischen Angriffe zerstören", sagt er. Laute Worte, leiser Tonfall. Willems ist auch für seine 18 Jahre ein zurückhaltender Mensch, höflich und nett und immer wieder ein wenig unsicher auf der großen Bühne - wenn sie nicht mit grünem Rasen ausgelegt ist.

"Ich liebe einfach das Verteidigen"

Auf dem Platz ist er deutlich reifer, als es sein Alter vermuten lässt. Seine Vorstöße verbinden auf sympathisch naive und noch unfertige Weise Cristiano Ronaldos Faible für Übersteiger mit Messis Spritzigkeit. Zudem schlägt er Flanken, in denen sich Geschwindigkeit und Schnitt so paaren, dass Angreifer wie Robin van Persie oder Klaas-Jan Huntelaar schon sehr schlechte Tage erwischen müssen, um daraus nicht immer wieder mal ein Tor zu machen.

Doch natürlich hat der frühere Innenverteidiger noch viel Luft nach oben. Nach dem letzten Test vor der EM, dem 6:0 gegen Nordirland, gab es Kritik von van Marwijk an der laxen Herangehensweise in der Defensive. Willems zeigte sich einsichtig: "Ich habe immer meiner Schnelligkeit vertrauen können, das geht auf diesem Level nicht. Menschen machen Fehler und Fehler machen Menschen. Ich habe es ein paar Mal verbockt, daran muss ich arbeiten."

Die Kritik spricht jedoch durchaus auch für Willems. Van Marwijk plant ernsthaft mit seinem Jüngsten auf der Linksverteidigerposition und will ihn in den letzten Tagen vor dem Turnier auch mit einer harten Ansprache ans Top-Niveau gewöhnen. Die einzig verbliebene Alternative für Willems ist Mittelfeldspieler Stijn Schaars. Es ist ersichtlich, dass van Marwijk bei der Kaderplanung alles darauf gesetzt hat, Willems für die Startelf einplanen zu können.

Entwickelt er sich weiter so rasant wie er die Außenlinie entlangwetzt, könnte die Taktik aufgehen. Ein großes Risiko bleibt sie aber allemal. Das niederländische Team ist einer der großen Favoriten auf den Titel, was es jedoch fast ausschließlich der hervorragend besetzten Offensive verdankt. Die Defensive macht Probleme. Willems kann sich nicht auf eingespielte Nebenleute verlassen, im Auftaktspiel fehlt zudem wohl Abwehrchef Joris Mathijsen.

Willems sieht das erstaunlich gelassen. Er findet auch, er habe sich bislang nicht "ganz so lumpig" angestellt. Andere sind euphorischer: Ruud Gullit und Marco van Basten, die Helden des EM-Triumph von 1988, sind begeistert und wollen ihn in Polen und der Ukraine spielen sehen. Willems seinerseits hat die Helden der Vergangenheit nie erlebt. Ob er deren Partien gesehen habe? "Nein", sagt Willems, "ich bin doch erst 18."

Willems ist so jung, wie noch keiner vor ihm. Würde er bei diesem Turnier auflaufen, und damit ist zu rechnen, wäre er der jüngste Spieler der EM-Geschichte. Aber: "Es geht nicht ums Alter, es geht um Leistung", sagt Willems. Die hat er auf seinem kurzen aber steilen Weg bislang gebracht.

Das finden auch die Verantwortlichen von Manchester United und dem FC Arsenal, die sich schon länger intensiv mit dem Talent beschäftigen. Die Chancen stehen gut, dass in wenigen Wochen noch deutlich mehr Spitzenklubs um den hochveranlagten Linksverteidiger werben. Ein kühner Traum ist das alles schon lange nicht mehr.

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