EM-Wunderknaben - Alan Dsagojew:Eigensinniger Junge mit großem Talent

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Real Madrid, AC Mailand, Juventus Turin - noch vor wenigen Jahren hatte der Russe Alan Dsagojew Angebote von all diesen Topklubs. Doch er spielt immer noch bei ZSKA Moskau - weil er nicht gerade pflegeleicht ist. Und kaum noch das Tor trifft. Nun braucht er dringend eine gute EM.

Johannes Aumüller, Donezk

"EM-Wunderknaben" ist die Serie von Süddeutsche.de zur Fußball-EM in Polen und der Ukraine. Bis zum Turnierstart stellen wir jeden Tag einen hoffnungsvollen Kicker vor, der ein Gesicht dieser EM werden könnte.

Russische EM-Hoffnung: Alan Dsagojew (rechts). (Foto: dpa)

In Deutschland ist dieser Pfosten des Dortmunder Westfalenstadions weitgehend in Vergessenheit geraten, bei Alan Dsagojew nicht. Im Herbst 2008 bestritt er dort mit der russischen Nationalmannschaft eine Qualifikationspartie für die nächste Weltmeisterschaft, bis zur Pause war die Sbornaja deutlich unterlegen und lag 0:2 zurück, doch dann kam Dsagojew. Es war sein Debüt im Nationaltrikot, er wirbelte, dribbelte und schoss - und kurz vor Schluss hätte er beinahe noch den 2:2-Ausgleich erzielt. Doch er traf eben nur den Pfosten, Russland verlor und schaffte es in der Folge nicht einmal bis zur Weltmeisterschaft.

Es war die Zeit, als alle russischen Fußball-Beobachter wie gebannt auf diesen jungen trickreichen Offensivspieler starrten, der in der nordossetischen Stadt Beslan geboren wurde und seit seinem 17. Lebensjahr für ZSKA Moskau spielt. Real Madrid, AC Mailand, Juventus Turin - von allen Seiten gab es plötzlich Angebote, und es schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis Dsagojew den Armeeklub verlassen würde, um für eine wirklich große internationale Mannschaft anzutreten. Vor allem der damalige Nationaltrainer Guus Hiddink galt als sein großer Förderer.

Und für die russischen Fans war er nicht nur wegen seiner sehenswerten Spielweise interessant, sondern auch wegen mancher biografischer Details. Anders als bei vielen anderen heutigen Nationalspielern war der Vater nämlich überhaupt kein fußballbegeisterter Mensch, dafür seine Mutter umso mehr. Also schickte sie ihre beiden Söhne - Dsagojews Bruder Gela steht im Kader der zweiten Mannschaft des Erstligaufsteigers Alanija Wladikawkas - in die Fußballschule.

Als der kleine Alan erstmals Fußballschuhe geschenkt bekam, so berichtete er einmal, zog er sie einige Tage lang nicht mehr aus und ging mit ihnen "über die Straße, in die Schule, ja selbst zu Besuchen". In Moskau fuhr er zunächst nicht wie üblich mit dicken Limousinen zum Training, sondern öfter mal mit der Metro. So talentiert und trotzdem so bodenständig, so dachten die Fans damals.

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Mittlerweile scheinen Real und Milan weiter weg denn je in der noch jungen Karriere von Alan Dsagojew, der einen Tag nach dem dritten EM-Gruppenspiel gegen Griechenland 22 Jahre alt wird - und die Allüren haben auch zugenommen. Die abgelaufene Saison, die sich wegen einer Anpassung des russischen Spielkalenders an den gängigen europäischen Rhythmus von Januar 2011 bis Mai 2012 erstreckte, verlief für "Dsaga" bestenfalls durchwachsen.

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Lediglich sechs Treffer erzielte er in den 48 Pflichtpartien (Liga, Pokal, Champions League) in dieser Zeit, eine schlechtere Torquote hatte er noch nie, seit er für den Moskauer Armeeklub spielt. Wie bei allen eigensinnigeren Spielern wird dann schnell Kritik laut, wenn es mal nicht so läuft. Zuletzt war Dsagojew zudem verletzt und bestritt in den vergangenen zwei Monaten kaum eine Partie, erst kurz vor der EM war er wieder richtig fit.

Und dann war da vor allem dieser große Konflikt mit seinem Vereinstrainer Leonid Sluzkij: Nach dem Pokalspiel gegen Wladikawskas im Mai 2011 erlaubte er sich eine "nichtkorrekte Aussage", wie es von Vereinsseite ohne konkretere Erläuterung heißt, in Richtung seines Coaches. Jedenfalls muss die Aussage so wenig korrekt gewesen sein, dass Sluzkij den Offensivspieler in die Reserve verbannte und offiziell zum Verkauf anbot. Lokomotive Moskau war schon bereit, Ablöse und Gehalt zu bezahlen - da entschuldigte sich Dsagojew und durfte wieder ganz regulär in der ersten Mannschaft mitwirken.

Das alles blieb auch nicht ohne Konsequenzen auf seine Stellung in der Nationalmannschaft. War Dsagojew im vergangenen Jahr noch unumstrittener Stammspieler der Sbornaja, tauchen in den Medien mittlerweile auch Wunschformationen auf, die ohne ihn auskommen. Trainer Dick Advocaat kritisierte während der Vorbereitung dessen Defensivverhalten. Marat Ismailow, langjähriger Portugal-Legionär und von Advocaat etwas überraschend in den EM-Kader berufen, macht Dsagojew den rechten offensiven Startplatz im russischen 4-2-3-1-System streitig.

Dabei gibt es an Dsagojews grundsätzlicher fußballerischer Veranlagung keine Zweifel. Kevin Kuranyi, der seit 2010 bei Dynamo Moskau in der russischen Premjer-Liga spielt und die dortigen Talente gut verfolgt, sagt trotz der jüngsten Entwicklungen: "Er ist der talentierteste von allen jungen russischen Spielern. Er könnte es auch bei einem großen westeuropäischen Klub packen."

Vielleicht melden sich Real und Milan nach der EM wieder bei Alan Jelisbarowitsch Dsagojew (Dzagoev nach der Fifa-Schreibweise).

"EM-Wunderknaben" ist die Serie von Süddeutsche.de zur Fußball-EM in Polen und der Ukraine. Bis zum Turnierstart stellen wir jeden Tag einen hoffnungsvollen Kicker vor, der ein Gesicht dieser EM werden könnte. Am morgigen Donnerstag: Nani (Portugal).

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