EM-Viertelfinale Italien vs Deutschland:Italiens Abwehr fletscht die Zähne

Belgium v Italy - EURO 2016 - Group E

Giorgio Chiellini wird auch gegen die Deutschen einer der härtesten Typen auf dem Feld sein.

(Foto: REUTERS)

Schmutzig, hässlich und gemein - so sieht sich Italiens Abwehr selbst. Der eiserne Verteidigungsblock von Juventus ist eine Mischung zum Fürchten.

Von Birgit Schönau, Rom

Der classico steht vor der Tür und die Italiener tun ganz so, als würden sie nicht im Traum daran denken. Sie fahren ans Meer, an den Strand von Montpellier, fläzen sich mit ihren Gefährtinnen beim Aperitif in den Liegestühlen. Sie spielen Tischtennis, derart engagiert, "dass die French Open dagegen wie ein Amateurturnier aussehen" - jedenfalls, wenn man Leonardo Bonucci glauben darf, der selbst frühzeitig ausscheiden musste und sich deshalb als Fotograf betätigen konnte.

Seine fleißig über das Internet verbreiteten Schnappschüsse zeigen verdammt entspannte Azzurri, die ganz sicher am Sonntag noch nicht in den Urlaub fahren wollen, weil sie sich eigentlich schon im Urlaub befinden, in einem Jungsurlaub mit Jungsspäßen. Bonucci, der die Glatze von Simone Zaza küsst. Andrea Barzagli, Giorgio Chiellini und Daniele De Rossi mit nacktem Oberkörper, Chirurgenmasken und weißen OP-Hauben unter der Überschrift: Operation Erholung.

Huhu, Deutschland! Wir haben Spaß! Es ist zum Fürchten. Vor allem, weil es stimmt, ein bisschen sogar. Italienischer Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Sollen doch die Deutschen ihr altes Italien-Trauma pflegen, man weiß doch, wie sie hinter der siegesgewissen Fassade bibbern. Und nichts ist ja eigentlich angsteinflößender, als den eisern entschlossenen Innenverteidiger Leo Bonucci lächeln zu sehen. Es ist ein Lächeln mit aufeinander gebissenen Zähnen, ein bedrohliches "Ist mein Kaffee fertig?"-Fletschen.

Schmutzig, hässlich und gemein

Bonucci, der Mann, der den schönsten Pass dieser EM geschaffen hatte, eine hinreißend gedrechselte Flanke für Emanuele Giaccherini, der Italien gegen Belgien dann in Führung brachte, Bonucci also ist der nicht allzu heimliche Anführer einer Viererbande, die bei den Gegnern bereits als BBBC verschrieen ist - Buffon, Bonucci, Barzagli, Chiellini - in Italien aber unter dem sehr viel poetischeren Künstlernamen Brutti, sporchi e cattivi auftritt.

Der große Regisseur Ettore Scola drehte unter diesem Titel anno 1976 einen Film, auf deutsch heißt er: "Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen." Schmutzig, hässlich und gemein, so sieht sich also Italiens Abwehr. Eine tolle Macho-Geste, so kernig und politisch unkorrekt, wie es sich die armen Deutschen schon lange nicht mehr trauen. Oder kann man sich Mats Hummels vorstellen, der sich wie Bonucci breitbeinig vor einem Fernsehmikro aufbaut und hineinknurrt: "Wir haben viereckige Eier?"

Hinter der Pose verbirgt sich indes eines der besten Abwehr-Trios der Welt, assistiert und aufgefangen von einem kongenialen Torwart. Wie ihr deutsches Gegenstück haben BBBC bei der EM noch kein Gegentor kassiert, beim 0:1 gegen Irland fehlten Buffon und Chiellini. Dass man am Samstag zu null spielen könnte, bildet sich natürlich niemand ein. Allzu frisch ist noch die Erinnerung an das 1:4 beim Test gegen Deutschland im März und vor allem an das Champions-League-Achtelfinale ein paar Tage vorher.

Juventus, der Heimatklub der Azzurri-Hintermannschaft, verlor damals 2:4 beim FC Bayern. Acht deutsche Tore für BBBC im März, da kann man schon ins Grübeln kommen. Aber gegrübelt wird nicht, stattdessen hat Antonio Conte jede Bewegung des Viertelfinalgegners studiert und seinem Team die Aufgabe gestellt, gefälligst nicht nur außergewöhnlich gut zu sein, sondern "superaußergewöhnlich". Also irgendwie außerirdisch.

Wenn Chefs solche Ansagen machen, geht es meistens um unbezahlte Zusatzarbeit. In diesem Fall wird es dem aristokratischen Andrea Barzagli kaum genügen, den Gegner wie üblich mit der hochgezogenen Augenbraue aufzuhalten. Chiellini wird vielleicht noch einmal ein Tor schießen müssen, wie schon gegen Spanien. Buffon muss mit Neuer konkurrieren, "was ich nun wirklich nicht mehr kann, dazu bin ich viel zu alt". Und Bonucci wird notgedrungen den Beckenbauer geben, mit dem der 29-Jährige ohnehin gern verglichen wird, wegen seiner eleganten Offensiv-Vorstöße. Beckenbonucci nennt man ihn in der Heimat.

Es fehlen wichtige Leute

Auf Beckenbonucci kommt es maßgeblich an, denn die Reihen vor der Abwehr sind diesmal arg gelichtet. Nach Antonio Candreva und dem gesperrten Thiago Motta dürfte im Viertelfinale auch Daniele De Rossi ausfallen - ebenso wie Barzagli und Buffon ein Veteran des Weltmeisterteams von 2006, dessen enorme Erfahrung durch ungebrochenen Kampfgeist befeuert wird. De Rossi verletzte sich gegen Spanien und arbeitet dem Vernehmen nach hart daran, am Samstag jenes Spiel zu bestreiten, das sein letztes für die Azzurri sein könnte. Aber sein Einsatz war am Donnerstag sehr fraglich.

Vor seiner Abwehrreihe wird Trainer Conte vermutlich auf den Juve-Mann Stefano Sturaro und Giaccherini bauen. Der kleine "Giak" ist in Topform, als Verteidiger jedoch längst nicht so auffällig wie in der Offensive. Sturaro, 23, hat wenig Erfahrung und zeigte bislang stark schwankende Leistungen.

Sicher, auch die weiter vorn platzierten Alessandro Florenzi ("Gegen Deutschland zu spielen, ist wie den Mount Everest zu besteigen"), Marco Parolo und Mattia De Sciglio sind sehr geübt darin, sich nach Bedarf zurückfallen zu lassen. Aber auch gegen den Weltmeister wird Italien nach vorne spielen. Hinten steht ja die Lebensversicherung BBBC.

Machos aus der letzten Reihe

Es darf ruhig schmutzig, hässlich und gemein aussehen, Hauptsache, es geht irgendwie weiter. Denn auch wenn zu Hause diesmal der Einzug ins Viertelfinale gefeiert wurde wie in früheren, besseren Zeiten höchstens eine Finalteilnahme, ist der Durst der Machos aus der letzten Reihe noch nicht gestillt.

"Ich spiele Fußball, um zu gewinnen", tönt Bonucci. Die Kollegen sind zurückhaltender, aber es ist klar, dass Barzagli, Buffon und De Rossi gern den freien Platz neben dem Monument Dino Zoff einnehmen würden. Der 74-Jährige ist bislang der einzige Italiener, der Europameisterschaft und Weltmeisterschaft gewann. Zwischen den beiden Titeln lagen 14 Jahre. Und ein Endspiel gegen Deutschland.

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