EM-Vergabe 2024:Infantino kann dem DFB gefährlich werden

DFB: Philipp Lahm als EM-Botschafter mit Reinhard Grindel und Friedrich Curtius

Gute Miene: DFB-Chef Grindel (l.) mit Botschafter Philipp Lahm.

(Foto: Arne Dedert/dpa)
  • Am kommenden Donnerstag wählt die Uefa, welches Land den Zuschlag für die Fußball-EM 2024 bekommt. Einzige Bewerber sind Deutschland und die Türkei.
  • Besonders auffalend: Der Vorabbericht der Uefa bescheinigte der Türkei auffällige Mängel im Bereich der Menschrechte.
  • Dennoch scheint es vorab so, dass die Stimmen im Wahlgremium recht ausgeglichen verteilt sind.

Von Thomas Kistner, Frankfurt

Das Schlimmste dürfte den türkischen Bewerbern erspart bleiben. "Wir können Ihre Aktion zum gewünschten Datum nicht genehmigen", teilte die Sicherheitspolizei für die Region Nyon am Donnerstag dem Anwalt einer Protestgruppe mit, die seit Jahren auf Korruption im türkischen Fußball aufmerksam macht - und zehntausende Sympathisanten umfasst. "Wir empfehlen, dass Sie die Kundgebung zu einem späteren Zeitpunkt organisieren." Damit dürfte die Demonstration am Sitz der Europäischen Fußball-Union Uefa, beantragt für Donnerstag, wenn die EM 2024 an Deutschland oder die Türkei vergeben wird, vom Tisch sein. Auch wenn die Protestler weiterkämpfen wollen.

Vor zwei Wochen hatte die Gruppe bereits per Anwaltsschreiben bei der Uefa interveniert, ein mehrseitiger Bericht ging auch an den DFB und in Kopie an Interpol und Europol. Unter anderem werden darin der oberste Sportgerichtshof Cas und sogar Ombudsleute der Regierung zitiert - mit verheerenden Urteilen zum türkischen Verband, unter anderem zur mangelnden Unabhängigkeit seiner Spruchgremien.

Die Protestbewegung hat sich in der Türkei organisiert, nachdem dort die Meisterschaftssaison 2010/'11 per Spielmanipulation an Fenerbahce Istanbul verschoben worden war. Zwar wurde dem regierungsnahen Klub deshalb später der Titel aberkannt, doch der Nationalverband TFF ging äußerst pfleglich mit vielen Beteiligten um, die Gremien wirkten gesteuert. Und auf harte Sanktionen, wie sie das Regelheft vorsieht, verzichtete später auch die Uefa - unter Regie ihres Generalsekretärs Gianni Infantino. Heute lenkt der Schweizer den Weltverband Fifa.

Der Uefa-Vorabbericht spricht für den DFB

Unklar ist, welchen Eindruck der Vorstoß der Aktivisten in Nyon in der heißen Bewerbungsphase macht. Immerhin hat die Uefa die Menschenrechtsfrage auffallend hoch angesetzt - und den Türken da einen klaren Wettbewerbsnachteil attestiert. "Das Fehlen eines Aktionsplans im Bereich Menschenrechte gibt Anlass zur Sorge", heißt es in dem am Freitag publizierten Prüfbericht, hingegen sei das DFB-Angebot diesbezüglich "von hoher Qualität".

Weil das auch für andere zentrale Aspekte gilt, insbesondere für Finanzierungsfragen, darf vor der Wahl als gesichert gelten, dass die Uefa-Administration selbst lieber den deutschen Kandidaten küren würde. Zumal der Apparat an anderer Stelle, bei der Vorbereitung des Champions-League-Finales 2020 in Istanbul, gewisse Erfahrungen mit dem Organisations-Alltag am Bosporus macht. Andererseits waren technische Bewertungen in der Vergangenheit selten Gradmesser für Fußball-Wahlen. Aufschlussreicher ist der Blick hinter die Kulissen, wo stets mit harten Bandagen um diese Milliarden-Events gerungen wird; meist bis in die letzten Stunden.

Abneigung des Fifa-Präsidenten gegenüber Grindel

So wächst mit der Pro-DFB-Tendenz des Uefa-Reports die Gefahr, dass Infantino noch einige Strippen zieht. Der seit 2016 amtierende, umstrittene Fifa-Boss hat als vormaliger Uefa-General noch manche gute Beziehung in Europas Osten und Süden. Und wie stark seine Abneigung gegen DFB-Chef Reinhard Grindel ist, der ihn im Herbst 2017 zur Zurückhaltung ermahnt hatte, offenbart ein der SZ vorliegendes Schreiben Infantinos von Dezember, in dem er wiederholt eine tiefe Enttäuschung anklingen lässt. Weil zugleich die Uefa der Hort des Widerstandes gegen die neue Fifa-Autokratur Infantinos ist und Uefa-Chef Aleksandar Ceferin als dessen Gegner gilt, darf der Weltverbandsboss auf Seiten der Türkei vermutet werden. Und wo stehen Russlands Funktionäre, die gut mit Infantino und den Türken können?

Hinweise ergeben sich aus der Wählerkonstellation. Wahlberechtigt ist die 20-köpfige Uefa-Exekutive um Ceferin; nicht stimmberechtigt sind DFB-Chef Grindel und der türkische Vertreter Servet Yardimci. Der Schwede Lars-Christer Olsson als Vertreter der europäischen Ligen ist schwer erkrankt und fehlt. Es braucht also mindestens neun Stimmen zum Sieg. Der DFB-Seite zugerechnet werden die Vertreter aus England, Portugal, Frankreich, Schweden, Ungarn und der Schweiz. Polens Zbigniew Boniek soll sich wiederholt pro DFB geäußert haben, und sollte Uefa-Chef Ceferin dem Report des eigenen Hauses folgen, darf auch er als Unterstützer gelten.

Die große Unbekannte: Der italienische Funktionär Andrea Agnelli

Auf der Gegenseite verortet wird der Affären-trächtige Ukrainer Grigory Surkis, der Kroate Davor Suker, dem große Nähe zu Infantino nachgesagt wird, der Spanier Larrea Sarobe, der Bulgare Borislaw Mihailow sowie der Ire John Delaney. Dazu tendenziell der Mann, über dessen Wahlteilnahme seit Wochen spekuliert wird: Andrea Agnelli, Spross der italienischen Fiat-Dynastie.

Der Besitzer von Juventus Turin vertritt die europäische Klubvereinigung ECA (ebenso der Brite Ivan Gazidis, der als DFB-freundlich gilt). Agnelli werden Bezüge zur Türkei nachgesagt, zudem wird in eingeweihten Kreisen besorgt auf den Gewissenskonflikt für einen Autobauer verwiesen, der in ein Votum gehen muss, das ihm wirtschaftliche Nachteile im Land eines als nachtragend bekannten Autokraten wie Erdoğan bescheren könnte. Befeuert wird diese Gerüchtelage nun durch täglich wechselnde Antworten auf die Agnelli-Frage: Kommt er zur EM-Kür oder nicht?

Es herrscht die Ruhe vor dem Sturm; am Montag werden die Kombattanten in London aufeinanderprallen, am Rande der Weltfußballer-Wahl 2018. Und gerade änderte die Uefa kurzfristig den Wahlmodus. Weil man zunächst von mehr Bewerbern ausging, sollte jeder Wähler vier Punkte für seinen Favoriten plus einen für einen weiteren Kandidaten vergeben. In einem Duell ist das sinnlos. Nun darf Deutschland oder die Türkei angekreuzt werden - oder eine Enthaltung. Warum letztere integriert wurde? Warum überhaupt so spät auf den lange bekannten Sachverhalt reagiert wurde, dass nur ein Duell ansteht? Auch hier darf vorläufig gerätselt werden.

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