EM-Vergabe an Deutschland:Geballte Faust in Reihe eins

  • Mit 12:4 Stimmen erhält die deutsche Bewerbung den Zuschlag für die Fußball-EM 2024.
  • Nach der noch immer nicht aufgeklärten Sommermärchen-Affäre beteuern die Beteiligten, in der Kandidatur gegen die Türkei sei alles sauber gelaufen.
  • Für Reinhard Grindel ist es ein wichtiger Sieg, denn sein DFB-Präsidentenamt war in den vergangenen Wochen zusehends in Gefahr geraten.

Von Johannes Aumüller, Nyon, und Thomas Kistner

Aleksander Ceferin hat Probleme beim Öffnen des Kuverts. Er ritzt, er zupft und ratscht, dann endlich hat der Präsident der Europäischen Fußball-Union (Uefa) den Zettel mit der Aufschrift "Germany" zutage gefördert. Vorne in der ersten Reihe schießt sofort ein wuchtiger Herr aus seinem Sitz in die Höhe. Er reckt die geballte Faust, besinnt sich kurz, wartet, bis sich die klatschenden Kollegen neben ihm erheben. Reinhard Grindel wirft die Arme um Nebenmann Philipp Lahm, den Botschafter der deutschen Bewerbung für die EM 2024, er herzt all die anderen und bläst die Backen auf, als müsse er sich all die Anspannung aus dem Leib pusten.

Dann eilt der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) auf die Bühne, er darf ein kurzes Statement für den Sieger abgeben. Deutschland hat im Bewerb um die EM 2024 den Vorzug gegenüber der Türkei erhalten, und Grindel ist gleich wieder im üblichen Sprechmodus. Er hebt Transparenz und Compliance als eigene Bewerbungstugenden hervor, er freut sich mit den Profis und Amateuren im Lande, mit den Kindern und Jugendlichen.

Fast klingt es so, als sei der erfreuliche, letztlich aber nur in der Deutlichkeit (12:4, eine Enthaltung) überraschende Abstimmungssieg bereits abgehakt. Und als wende sich Grindel hier in der Uefa-Verbandszentrale am Genfer See bereits seiner nächsten Großbaustelle zu: der Sicherung des Präsidentenstuhls im Deutschen Fußball-Bund. Der war in den vergangenen Wochen zusehends in Gefahr geraten, aber mit diesem EM-Zuschlag dürfte er ihn als gefestigter betrachten. Als Grindel später im Foyer spricht, nutzt er den Schwung auch gleich für einen Hinweis in eigener Sache: Er werde sich jetzt an die Sachthemen machen, so, wie das die Präsidenten der Landesverbände und die Vertreter der Bundesliga erwarten würden. "Die finden nämlich die Personaldiskussion völlig überflüssig und wollen, dass das aufhört."

Grindel platziert einen Hinweis in eigener Sache

Im Auditorium ist jedenfalls erkennbar, dass die Reaktionen um Grindel herum verhaltener sind. Kurz plätschert der Applaus, die Fußballprominenz in der 21-köpfigen deutschen Delegation - von Karl-Heinz Rummenigge bis Rudi Völler, von Joachim Löw bis Berti Vogts - tauscht untereinander fleißig Händedruck aus. Die Zurückhaltung sei auch ein Zeichen des Respekts gegenüber dem Verlierer gewesen, hieß es hinterher vom künftigen Organisationschef Philipp Lahm. Im rechten Teil des Bühnensaals waren ja die türkischen Vertreter platziert, sie nahmen das Votum mit versteinerten Mienen auf. Immerhin war das hier ihre vierte Niederlage. Einige suchten kurz das Gespräch mit den Mitgliedern des Uefa-Vorstandes, die zwischen den Kombattanten gesessen hatten.

Die Deutschen gaben sich auch nach dem Zuschlag Mühe, entspannt zu wirken. Lahm versicherte bei seinem Kurzauftritt auf der Bühne: "Wir haben tolle Stadien, wir haben die Zuschauer, die Fußball lieben und gerne ins Stadion gehen, aber wir haben auch die Menschen, die gerne ein großes Fest feiern wollen." Und den beiden obersten DFB-Vizepräsidenten Rainer Koch und Reinhard Rauball war es hinterher ein Anliegen, auch an den Verlierer zu denken - und der Türkei zu versichern, dass diese sicher auch in der Lage sei, bald eine EM auszurichten.

Zum zweiten Mal nach 1988 findet wieder eine EM in Deutschland statt. Und nach nur 18 Jahren hat der DFB nun wieder den Zuschlag für ein großes Fußballturnier erhalten. Damals zogen die Deutschen die WM 2006 an Land, mit einem äußerst knappen 12:11 gegen Südafrika. Es war eine schmutzige Wahl, deren Details nun schon seit einigen Jahren diverse internationale Strafbehörden untersuchen. Diesmal, so beteuern es die Verantwortlichen, sei alles sauber gewesen.

Im Oktober 2013 hatten die DFB-Oberen ihre Kandidatur bekannt gegeben, damals noch mit Wolfgang Niersbach an der Verbandsspitze, den später die Sommermärchen-Affäre von 2006 aus dem Amt brachte. Und seitdem klar war, dass es nur einen Zweikampf mit der Türkei geben würde, waren die Deutschen der Favorit. Die Türken konnten zwar diverse Punkte anbringen: Sie hatten schon mehrfach kandidiert (für 2008, 2012 und 2016) und teils knapp verloren, aber sie haben noch nie ein großes Event ausgerichtet. Ihr Präsident Recep Tayyip Erdoğan höchstselbst mischte sich mit vielerlei vollmundigen Versprechungen in den Wahlkampf ein. Auch emotionale Momente konnten sie hervorkehren, groß ist die Fußballbegeisterung in ihrem Lande.

Ein unnötiger Fauxpas kurz vor der Vergabe

Zudem mussten sie nicht befürchten, von einer allzu überzeugenden deutschen Bewerbung überrollt zu werden. Insbesondere DFB-Frontmann Grindel fiel wiederholt mit Ungeschicklichkeiten auf, beispielsweise in der Causa um Mesut Özil und der folgenden Rassismusdebatte. Und noch in den letzten Tagen leisteten sich die Deutschen einen unnötigen Fauxpas, als Bundestrainer Löw und Nationalelf-Manager Oliver Bierhoff offenkundig ohne konkrete Terminvereinbarung einen Gesprächsvorstoß bei dem zurückgetretenen Nationalspieler Mesut Özil unternahmen. Das aber scheiterte. Özil, so erfuhr die SZ, habe keine Lust auf eine deutsche Vereinnahmung gehabt.

Nun dürfte das Thema wohl bald schon wieder für Schlagzeilen sorgen. Am Samstag ist Grindel zu Gast im ZDF-Sportstudio, und in Verbandskreisen wird befürchtet, dass es ihm ein besonderes Anliegen sein werde, noch einmal was aus seiner Sicht zur Özil-Causa zu sagen.

Die Fußball-Europameisterschaften seit 1960

Jahr, EM-Ort (Europameister), Abschneiden des DFB

1960, Frankreich (Sowjetunion), keine Teilnahme

1964, Spanien (Spanien), keine Teilnahme

1968, Italien (Italien), Qualifikation

1972, Belgien (Deutschland), Europameister

1976, Jugoslawien (CSSR), Finale

1980, Italien (Deutschland), Europameister

1984, Frankreich (Frankreich), Gruppenphase

1988, Deutschland (Niederlande), Halbfinale

1992, Schweden (Dänemark), Finale

1996, England (Deutschland), Europameister

2000, NL & Belgien (Frankreich), Gruppenphase

2004, Portugal (Griechenland), Gruppenphase

2008, Österreich & Schweiz (Spanien), Finale

2012, Polen & Ukraine (Spanien), Halbfinale

2016, Frankreich (Portugal), Halbfinale

2020, in zwölf Ländern (dt. Spielort: München)

2024, Deutschland

Bei der Stimmabgabe dürfte es am Ende vor allem die Aussicht auf ein politisch und wirtschaftlich stabiles Turnier gewesen sein, die bei den Uefa-Entscheidern verfing. Ihnen ist klar, dass schon ihr nächstes Turnier, die europaweit ausgetragene EM 2020, wirtschaftlich eher ein Misserfolg wird - ein Grund mehr, auf Nummer sicher zu gehen im Jahr 2024. "Für die Uefa ist es sehr wichtig, so viel wie möglich mit dem Turnier zu verdienen", sagte Uefa-Präsident Aleksander Ceferin dieser Tage ganz offen im ZDF: "Die wirtschaftliche Situation ist absolut entscheidend." Schon deshalb galt er als wichtiger Befürworter der deutschen Bewerbung.

Entsprechend zuversichtlich, aber doch angespannt war die deutsche Delegation am Donnerstag nach Nyon gereist - die Tage zuvor hatte sich die Kerntruppe der Bewerbung in eine Art Trainingslager in einem Hotel zurückgezogen. Das Uefa-Komitee war schon am frühen Vormittag zusammengekommen, es ging ja auch noch um andere Dinge wie die Einführung des Videoassistenten in der Champions League. Wenn aber in den Zigarettenpausen Wahlmänner vor dem sonnigen Seepanorama bei eifrigen Telefonaten zu sehen waren, ließ sich erahnen, dass bis auf die letzten Meter ein hartes Gefeilsche im Gange war. Gegen Mittag reisten dann die Delegationen an, erst die türkische, eine gute halbe Stunde später fuhren in acht schwarzen Limousinen auch die 20 Mitglieder der deutschen Delegation vor. Um 13 Uhr standen die Präsentationen an, erst die deutsche, danach die türkische. Das sogenannte Kreuzverhör soll eher harmlos gewesen sein, war zu vernehmen, das Thema Özil sei gar nicht zur Sprache gekommen. Erst kurz vor 15 Uhr durften die Delegationen ins Auditorium. Dorthin, wo wenig später Ceferin den Umschlag aufriss.

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