Aleksander Ceferin hat Probleme beim Öffnen des Kuverts. Er ritzt, er zupft und ratscht, dann endlich hat der Präsident der Europäischen Fußball-Union (Uefa) den Zettel mit der Aufschrift "Germany" zutage gefördert. Vorne in der ersten Reihe schießt sofort ein wuchtiger Herr aus seinem Sitz in die Höhe. Er reckt die geballte Faust, besinnt sich kurz, wartet, bis sich die klatschenden Kollegen neben ihm erheben. Reinhard Grindel wirft die Arme um Nebenmann Philipp Lahm, den Botschafter der deutschen Bewerbung für die EM 2024, er herzt all die anderen und bläst die Backen auf, als müsse er sich all die Anspannung aus dem Leib pusten.
Dann eilt der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) auf die Bühne, er darf ein kurzes Statement für den Sieger abgeben. Deutschland hat im Bewerb um die EM 2024 den Vorzug gegenüber der Türkei erhalten, und Grindel ist gleich wieder im üblichen Sprechmodus. Er hebt Transparenz und Compliance als eigene Bewerbungstugenden hervor, er freut sich mit den Profis und Amateuren im Lande, mit den Kindern und Jugendlichen.
Fast klingt es so, als sei der erfreuliche, letztlich aber nur in der Deutlichkeit (12:4, eine Enthaltung) überraschende Abstimmungssieg bereits abgehakt. Und als wende sich Grindel hier in der Uefa-Verbandszentrale am Genfer See bereits seiner nächsten Großbaustelle zu: der Sicherung des Präsidentenstuhls im Deutschen Fußball-Bund. Der war in den vergangenen Wochen zusehends in Gefahr geraten, aber mit diesem EM-Zuschlag dürfte er ihn als gefestigter betrachten. Als Grindel später im Foyer spricht, nutzt er den Schwung auch gleich für einen Hinweis in eigener Sache: Er werde sich jetzt an die Sachthemen machen, so, wie das die Präsidenten der Landesverbände und die Vertreter der Bundesliga erwarten würden. "Die finden nämlich die Personaldiskussion völlig überflüssig und wollen, dass das aufhört."
Grindel platziert einen Hinweis in eigener Sache
Im Auditorium ist jedenfalls erkennbar, dass die Reaktionen um Grindel herum verhaltener sind. Kurz plätschert der Applaus, die Fußballprominenz in der 21-köpfigen deutschen Delegation - von Karl-Heinz Rummenigge bis Rudi Völler, von Joachim Löw bis Berti Vogts - tauscht untereinander fleißig Händedruck aus. Die Zurückhaltung sei auch ein Zeichen des Respekts gegenüber dem Verlierer gewesen, hieß es hinterher vom künftigen Organisationschef Philipp Lahm. Im rechten Teil des Bühnensaals waren ja die türkischen Vertreter platziert, sie nahmen das Votum mit versteinerten Mienen auf. Immerhin war das hier ihre vierte Niederlage. Einige suchten kurz das Gespräch mit den Mitgliedern des Uefa-Vorstandes, die zwischen den Kombattanten gesessen hatten.
Die Deutschen gaben sich auch nach dem Zuschlag Mühe, entspannt zu wirken. Lahm versicherte bei seinem Kurzauftritt auf der Bühne: "Wir haben tolle Stadien, wir haben die Zuschauer, die Fußball lieben und gerne ins Stadion gehen, aber wir haben auch die Menschen, die gerne ein großes Fest feiern wollen." Und den beiden obersten DFB-Vizepräsidenten Rainer Koch und Reinhard Rauball war es hinterher ein Anliegen, auch an den Verlierer zu denken - und der Türkei zu versichern, dass diese sicher auch in der Lage sei, bald eine EM auszurichten.
Zum zweiten Mal nach 1988 findet wieder eine EM in Deutschland statt. Und nach nur 18 Jahren hat der DFB nun wieder den Zuschlag für ein großes Fußballturnier erhalten. Damals zogen die Deutschen die WM 2006 an Land, mit einem äußerst knappen 12:11 gegen Südafrika. Es war eine schmutzige Wahl, deren Details nun schon seit einigen Jahren diverse internationale Strafbehörden untersuchen. Diesmal, so beteuern es die Verantwortlichen, sei alles sauber gewesen.
Im Oktober 2013 hatten die DFB-Oberen ihre Kandidatur bekannt gegeben, damals noch mit Wolfgang Niersbach an der Verbandsspitze, den später die Sommermärchen-Affäre von 2006 aus dem Amt brachte. Und seitdem klar war, dass es nur einen Zweikampf mit der Türkei geben würde, waren die Deutschen der Favorit. Die Türken konnten zwar diverse Punkte anbringen: Sie hatten schon mehrfach kandidiert (für 2008, 2012 und 2016) und teils knapp verloren, aber sie haben noch nie ein großes Event ausgerichtet. Ihr Präsident Recep Tayyip Erdoğan höchstselbst mischte sich mit vielerlei vollmundigen Versprechungen in den Wahlkampf ein. Auch emotionale Momente konnten sie hervorkehren, groß ist die Fußballbegeisterung in ihrem Lande.