EM-Ticker:Platini auf Konfrontationskurs zu Blatter

Kurz vor dem EM-Finale spricht sich Uefa-Präsident Platini erneut vehement gegen Torlinien-Technik aus, Laurent Blanc hört als französischer Nationaltrainer auf, die beiden ehemaligen Nationaltorhüter Kahn und Lehmann kritisieren die DFB-Elf, irische Fans erhalten Sonderpreis.

in Kürze

Frankreichs Trainer Blanc erbittet sich Bedenkzeit

Trainer Laurent Blanc: Keine Zukunft mit der französischen Nationalmannschaft? 

(Foto: dapd)

Uefa, Torlinientechnik: Uefa-Präsident Michel Platini hat sich erneut strikt gegen die Einführung der Torlinien-Technik ausgesprochen. "Ich bin absolut gegen die Torlinien-Technik. Was ist, wenn es ein Handspiel auf der Linie gibt, dann sieht das keine Technik der Welt. Wo sollen wir eine Grenze ziehen? Ich bin nicht nur gegen Torlinien-Technik, sondern gegen Technik an sich", sagte Platini nach einer Sitzung des Uefa-Exekutiv-Komitees in Kiew und ergänzte: "Sepp Blatter (der Fifa-Präsident, d.Red.) weiß genau, wie ich darüber denke." Die Uefa-Exekutive forderte die Fifa und deren Regelhüter vom International Board IFAB zu einer "offenen Diskussion über technische Hilfe" auf. Mitglied im Exko der Uefa ist auch Theo Zwanziger. Der ehemalige DFB-Präsident sieht trotz der Ablehnung durch Uefa-Chef Platini Raum für die Einführung einer Torlinien-Technik. "Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass eine 100-prozentig funktionierende Torlinien-Technik durchaus als Ergänzung für das menschliche Auge des Schiedsrichter-Gespanns infrage kommt", sagte der 67-Jährige. Am kommenden Donnerstag (5. Juli) entscheiden Blatter und die IFAB bei einer Sitzung in Zürich über die Torlinien-Technik.

Französische Nationalmannschaft, Blanc: Laurent Blanc gibt das Amt als französischer Fußball-Nationaltrainer auf. Wie der französische Verband FFF am Samstag bestätigte, will der Coach seinen auslaufenden Vertrag nicht verlängern. Der 46-Jährige hatte sich am Donnerstag nach dem Viertelfinalaus bei der EM gegen Spanien zu Gesprächen mit Verbandspräsident Noël Le Graët getroffen und 48 Stunden Bedenkzeit erbeten. Le Graët hatte unter anderem eine Reduzierung des Betreuerstabs von Blanc gefordert. Als Nachfolger ist Didier Deschamps, bislang Trainer bei Olympique Marseille, im Gespräch.

EM-Aus, Lehmann: Der frühere Nationaltorhüter Jens Lehmann hat eine schonungslose Aufarbeitung des Scheiterns der DFB-Auswahl bei der Fußball-EM gefordert. "Alles muss überdacht werden, über Personal bis hin zu der Organisation der Trainingslager und Hotels oder Sportschulen", schrieb Lehmann in einer Kolumne für die Welt am Sonntag. Nach dem Aus im Halbfinale gegen Italien beklagte der 42-Jährige das Fehlen einer Siegermentalität in der Nationalmannschaft. Es werde bereits alles für die Nationalspieler getan, damit diese sich auf den Fußball konzentrieren könnten. "Der letzte Schritt aber bleibt bislang dennoch aus", erklärte Lehmann. Der frühere Keeper ließ durchblicken, dass es dem DFB-Team an Typen mangele. "Wenn es dann um die Entscheidungen geht, wird immer eine starke Mannschaft auf eine andere starke Mannschaft treffen. Und dann kommt es am Ende des Tages vor allem auf die Persönlichkeiten an, die auf dem Platz stehen", schrieb Lehmann. Sami Khedira habe sich bei der EM als potenzielle Führungskraft bewiesen. "Zudem habe ich im Tor einen starken Manuel Neuer erlebt, der sicherlich auch bereit für Führungsaufgaben ist, aber noch mehr organisieren muss", befand Lehmann. "Andere Spieler wie Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm oder Lukas Podolski haben es selbst in der Hand, wieder Topniveau zu spielen. Es liegt nur an ihnen, ob sie bereit sind, sich wieder zehn Monate im Jahr richtig quälen zu können", so Lehmann weiter.

EM-Aus, Özil: Mesut Özil hat sich gegen den Vorwurf gewehrt, die deutsche Fußball-Nationalmannschaft habe das EM-Halbfinale gegen Italien aufgrund fehlender Führungsspieler und Angst verloren. "Wir haben bis zur 90. Minute gekämpft, in der zweiten Halbzeit angegriffen, haben die Abwehr geöffnet auch auf die Gefahr hin, eine Schlappe zu kriegen. Das war nicht ängstlich", sagte Özil der Zeitung Welt am Sonntag. Dass die Italiener über mehr Erfahrung als das junge deutsche Team verfügten "und somit auch etwas ausgebuffter spielen - das ist was anderes", sagte der Mittelfeldspieler. Einen Mangel an Führungsspielern in der Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) lässt Özil als Erklärung für die 1:2-Niederlage gegen die Italiener nicht gelten. "Das ist viel zu einfach. Wer ist denn ein Führungsspieler? Lampard? Van Bommel? Rooney? Ribery? Wo waren die bei den Halbfinals? Wir dürfen nicht immer alles an einem Ergebnis festmachen. Wir haben mit der gleichen Mannschaft 15 Spiele gewonnen", sagte Özil. Auch die Kritik an der Taktik und Personalpolitik von Bundestrainer Joachim Löw stößt bei Özil auf Unverständnis: "Keine Mannschaft dieser Welt kann auf dem Niveau so spielen, als ob es den Gegner nicht gebe. Im Halbfinale der EM muss man wissen, wie der Gegner spielt, und sich auch darauf einstellen."

Uefa, Irland: Die irischen Fußball-Fans erhalten für ihr vorbildliches Verhalten bei der EM in Polen und der Ukraine einen Sonderpreis der Europäischen Fußball-Union (UEFA). "Wir alle waren beeindruckt von diesen Fans. Sie haben die Ergebnisse ihrer Mannschaft wettgemacht", sagte UEFA-Generalsekretär Gianni Infantino im Rahmen einer Pressekonferenz nach einem Treffen des Exekutiv-Komitees in Kiew. UEFA-Präsident Michel Platini werde nach Irland reisen und den Preis übergeben, sagte Infantino. Irland war ohne Sieg und ohne Punkt nach der Vorrunde ausgeschieden, das Team wurde dennoch von seinen Fans in jedem Spiel frenetisch gefeiert.

Platini, Euro-Plan: Uefa-Präsident Michel Platini hat für die EM 2020 mit einer revolutionären Idee überrascht. Anstatt in einem Land oder zwei Gastgebernationen zu spielen, schlug der Chef der Europäischen Fußball-Union ein Turnier in mehreren Staaten Europas vor. "Ich könnte mir die EURO 2020 in ganz Europa vorstellen. Man könnte in 12 oder 13 Städten in ganz Europa spielen", sagte Platini am Samstag in Kiew. Das UEFA-Exekutivkomitee werde darüber diskutieren und spätestens im Januar 2013 eine Entscheidung treffen. "Es ist nur eine Idee, wir werden eine offene Diskussion führen. Mir gefällt dieser Gedanke", betonte der 57 Jahre alte Franzose am Tag vor dem EM-Finale zwischen Spanien und Italien im Olympiastadion der ukrainischen Hauptstadt. Die beiden EM-Gastgeber Polen und Ukraine lobte Platini überschwänglich in seiner Turnierbilanz. "Es lastete großer Druck auf meinen Schultern. Heute bin ich etwas entspannter und ruhiger", räumte Platini ein. "Dieses Turnier wird in Erinnerung bleiben. Polen und die Ukraine können stolz sein. Noch nie hat eine Europameisterschaft ein solch wichtiges Erbe hinterlassen."

Halbfinal-Aus, Magath: Felix Magath geht mit der deutschen Nationalmannschaft nach dem Aus im Halbfinale der Fußball-EM gegen Italien hart ins Gericht. Für den Trainer des VfL Wolfsburg ist das Spiel schon vor dem Anpfiff entschieden gewesen. "Wer sah, wie inbrünstig die Italiener ihre Hymne sangen, ja schrien, der konnte den Willen ahnen", schreibt Magath in seiner Kolumne für das Hamburger Abendblatt. Diese hörbare Hingabe, diese Bereitschaft, alles geben zu wollen, habe er im deutschen Team vermisst. Die deutsche Mannschaft hätte nach Magaths Einschätzung die Qualität gehabt, um Europameister zu werden. Die spielerische Klasse sei vorhanden gewesen, nicht aber die kämpferische. "Da fehlte mir zum Teil die richtige Einstellung, die Mentalität, die Sieger haben", schreibt Magath. Als Beispiel dafür nennt er den zweifachen italienischen Torschützen Mario Balotelli. Der scheint nur einen Gedanken im Kopf zu haben, urteilt Magath: "Wie schieße ich ein Tor." Bei Spielen von zwei nahezu gleichwertigen Mannschaften gewinne eben immer jene, die mehr Einsatz zeige, die aggressiver in die Zweikämpfe gehe und nicht die, die den schöneren Fußball zelebriere.

Halbfinal-Aus, Ausschreitungen: Deutsche und italienische Fans haben sich nach dem EM-Halbfinal-Sieg der Italiener in mehreren Städten Nordrhein-Westfalens geprügelt und für viele Polizeieinsätze gesorgt. Vor allem in Wuppertal gerieten Feiernde und Frustrierte in der Nacht zu Freitag aneinander. 13 Leichtverletzte zählte die Polizei. 29 Menschen wurden zeitweise festgesetzt oder kamen in Gewahrsam. Regen und Gewitter setzten der Gewalt schließlich ein Ende. Nur mit Mühe konnte ein starkes Polizeiaufgebot in Wuppertal ein Aufeinandertreffen von etwa 800 Anhängern der deutschen Elf und 600 italienischen Fans verhindern. Gegen die deutschen Fans setzten die Beamten Pfefferspray ein. Immer wieder wurden aufgebrachte Fans beider Lager durch Fahrzeugsperren auseinandergehalten. In der Innenstadt bewarfen Anhänger der Deutschen italienische Fans mit Spaghetti. Ein Deutscher rief rechtsradikale Parolen und wurde festgenommen. Vereinzelt wurden Feuerwerkskörper gezündet. Bei einem Autokorso in Grevenbroich wurde ein Wagen mit Italien-Fans von Deutschland-Anhängern angegriffen. Die Attacke endete in einer Prügelei: Drei Personen wurden verletzt, ein 21-Jähriger wurde stationär in einem Krankenhaus aufgenommen. Gegen einen 20-Jährigen aus Grevenbroich wird wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt. In der Grevenbroicher Innenstadt wurde ein 18-jähriger von sieben italienischen Fans angegriffen und leicht verletzt. Die Täter flohen. In Dormagen wurden zwei 17-Jährige von Unbekannten angegriffen und leicht verletzt. In Marl im Kreis Recklinghausen richtete sich die Aggression enttäuschter deutscher Fans auch gegen die Polizei. 250 Menschen hatten sich dort versammelt und ließen ihren Frust aus, indem sie Flaschen auf Beamte warfen.

Deutscher Fan-Zorn, Ingo Zamperoni: "Tagesthemen"-Moderator Ingo Zamperoni hat in der Halbzeitpause des EM-Halbfinals Deutschland-Italien den Zorn zahlreicher deutscher Fußballfans auf sich gezogen. Der Deutsch-Italiener sagte in beiden Sprachen: "Möge der bessere gewinnen" - da stand es aber bereits 2:0 für Italien. Die ARD-Chefredaktion erhielt daraufhin "waschkörbeweise" erboste Reaktionen wie: "Das war doch eine Unverschämtheit, diesen Mann einzusetzen". ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke konnte die Empörung nicht nachvollziehen. "Ich bin der festen Überzeugung, dass es vollkommen korrekt war, dass Zamperoni in dieser Situation einen solchen Satz sagt", schrieb er in einem Blog-Eintrag der "Tagesschau". Zamperoni habe dabei gelächelt, so wie ein "Moderator eben lächelt, wenn er sich verabschiedet".

DFB-Elf, Joachim Löw: Bundestrainer Joachim Löw hat Fragen nach Rücktrittsgedanken als "unpassend" bezeichnet und die Schuld am Scheitern der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im EM-Halbfinale gegen Italien (1:2) auf sich genommen. "Ich übernehme für die Niederlage die Verantwortung", sagte er auf dem Rückflug von Warschau nach Frankfurt/Main, "das muss man als Trainer machen." Er betonte aber, man dürfe "jetzt nicht alles infrage stellen." Dies gilt auch für Löw selbst. An einen Rücktritt könne man denken, "wenn man in der Vorrunde ausgeschieden" sei, sagte er. Der Bundestrainer betonte, er habe einen Vertrag bis 2014, räumte jedoch auch ein: "Ich muss mir natürlich meine Gedanken machen, welche neuen Ansätze und Anreize man finden kann." Dass er beim Länderspiel am 15. August gegen Argentinien in Frankfurt/Main auf der Bank sitze, "davon ist auszugehen". Die Sondermaschine der deutschen Mannschaft ist mittlerweile gelandet.

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