Süddeutsche Zeitung

EM-Qualifikation: Mario Gomez:Ein echter Kerl mit Muskeln aus Stahl

Er war der größte Tollpatsch des Landes, damals, vor drei Jahren. Und dann das: Bei seiner Rückkehr ins Wiener Ernst-Happel-Stadion erlebt Mario Gomez beim 2:1 gegen Österreich ein Happyend, wie es kitschiger kaum hätte sein können. Der Bayern-Stürmer strotzt vor Kraft und Selbstbewusstsein, er ist endlich in der Nationalmannschaft angekommen. Oder etwa nicht? Bundestrainer Löw windet sich.

Thomas Hummel, Wien

Mario Gomez war zu Scherzen aufgelegt: "Es waren auch meine schönsten Tore bei der Nationalmannschaft, wenn man das erste so sieht." Die wundersame Geschichte der DFB-Auswahl war damit um eine Geschichte reicher. Ganze Biografien mussten ja schon umgeschrieben werden, seit Joachim Löw Bundestrainer ist. Und nun das: ein scherzender Mario Gomez. Bei der Nationalmannschaft!

Hätte der Stürmer des FC Bayern vor fast genau drei Jahren geahnt, dass im Wiener Ernst-Happel-Stadion ein solcher Abend auf ihn warten würde, er hätte sich viele düstere Gedanken gespart. Damals, am 16. Juni 2008, hatte eine fatale Bewegung mit dem rechten Unterschenkel die Karriere des Mario Gomez in eine unerquickliche Richtung geschoben.

Deutschland musste gegen Österreich das blamable Vorrundenaus bei der Europameisterschaft abwenden. Ein Spiel um die Ehre des Landes. Und da erlaubte sich Gomez, drei Meter vor dem leeren Tor, sich eine lächerliche Bogenlampe. Er schrumpfte in einem Augenblick vom Topstürmer, von einem zukünftigen Weltstar, zum Chinakracher, zum größten Fußball-Tollpatsch des Landes. Im weißen Adler-Trikot des DFB konnte sich der Schwabe lange nicht davon befreien. Und nun solch eine Rückkehr an den Ort der Schande.

So viel Happyend tut weh

Wieder das Wiener Ernst-Happel-Stadion, wieder ein Pflichtspiel in Österreich, immerhin ein EM-Qualifikationsspiel. Nach 45 Minuten, inmitten einer bedrohlichen Drangphase der höchst motivierten Österreicher, fiel der Ball an haargenau der gleichen Stelle wieder vor die Füße des Mario Gomez.

Doch statt einer zirkusartigen Tapsigkeit sahen die 47.500 Besucher, wie er den Ball instinktsicher zum 1:0 über die Linie stocherte. Schön war das tatsächlich nicht, aber Gomez durfte es egal sein: Er strahlte, er feierte, er küsste den Pfosten. "Ich habe nicht so oft an damals gedacht, aber in dem Moment des Tores schon", erzählte er später. Jetzt hatte er den Unglücksmoment endlich besiegt.

Und es kam noch besser, dieser lauwarme Abend hatte sich eine noch schönere Pointe ausgedacht. Im Grunde eine kitschige Pointe, die sich kein Drehbuchschreiber der Welt leisten dürfte. "Übertreiben sie mal nicht", würde der Produzent sagen, "so viel Happyend tut ja weh." Nur die Realität darf solche Geschichten erzählen.

Die Österreicher glichen die deutsche Führung zunächst aus (Eigentor Arne Friedrich, 49.). Der kleine Nachbar spielte und lief sich in eine Euphorie hinein, die kaum mehr zu stoppen war. Österreich verdiente sich in der zweiten Halbzeit den ersten Sieg gegen Deutschland seit 1986, es drohte die Bloßstellung des WM-Dritten.

Auf ihn ist jetzt Verlass

Tausende zwischen Fehmarn und Oberstdorf fürchteten, im Sommer-Bergurlaub verlacht zu werden. Bis sich in der letzten Minute Mario Gomez "sehr gut auf die zweite Stange mehr oder weniger angeschlichen hat", wie es Austria-Trainer Dietmar Constantini formulierte. Und zum 2:1 für Deutschland einköpfte.

Gomez lief hinüber zu den Anhängern, er zog sein Trikot aus, denn eine gelbe Karte war ihm nun egal. Er wollte den Leuten, die ihn so oft ausgepfiffen hatten, zeigen, dass er ein echter Kerl ist mit Muskeln aus Stahl. Und dass sie sich auf ihn verlassen können.

"Als Stürmer hofft man immer auf den einen Ball im letzten Moment", sagte Gomez. Er rettete mit diesem letzten Ball das Spiel für den DFB, das Wien-Wochenende der deutschen Stadionbesucher, den Sommerurlaub der ganzen Nation. Mario Gomez ist endgültig angekommen beim DFB. Oder etwa nicht, Herr Löw?

Der Bundestrainer wand sich bei dieser Frage. Sein Lieblingsstürmer heißt Miroslav Klose, jedes Wort für Mario Gomez würde gegen Klose verwendet werden. "Mario ist für mich schon sehr lange ein Stammspieler", erklärte der Bundestrainer den verblüfften Zuhörern.

Ein Stammspieler? Nun ja, Stammspieler seien für ihn eben auch die Akteure auf den Plätzen zwölf bis 20, sagte Löw. Das widerspricht jeder gängigen Definition dieses Begriffes, aber Löw kümmerte es nicht.

Er lobte ein wenig die Vorzüge seines siegbringenden Torschützen: "Er strotzt vor Selbstbewusstsein, er macht aus einer Chance einfach ein Tor, macht im Strafraum das Richtige." Allerdings habe Gomez bei der WM nicht alle Spiele bestritten und auch beim FC Bayern zu Saisonbeginn oft zugeschaut, er habe nicht das Mammutprogramm der WM-Stammspieler (sic!) absolvieren müssen und sei deshalb frischer als andere, sagte Löw. Und überhaupt: "Ich hätte gerne gegen Österreich mit 4-4-2 gespielt, mit Mario und Miro." Löw ließ sich um keinen Preis der Welt zu einer Pro-Gomez-anti-Klose-Aussage hinreißen.

"Typisch deutsch gewonnen"

Auch sonst erhielt kein Spieler vom Bundestrainer ein schlechtes Zeugnis, obwohl einige wahrlich schlecht gespielt hatten. Der fahrige Sami Khedira (nach Verletzungspause) zum Beispiel, oder der bisweilen überforderte Philipp Lahm. Der konfuse Arne Friedrich oder die defensivfaulen Thomas Müller und Lukas Podolski.

"Wir haben heute viele Fehlpässe gespielt. Die Dynamik in den Aktionen einzelner Spieler war nicht mehr da. Aber ich habe absolutes Verständnis dafür, gerade die WM-Spieler sind am Limit ihrer Kräfte und brauchen Urlaub", stellte Löw fest. Um dann einen sehr deutschen Trainersatz zu sagen, den für einen Joachim Löw fast einer Selbstverleugnung gleichkommt: "Wir haben jetzt 18 Punkte in der Tabelle und das ist heute entscheidend." Oder wie es DFB-Manager Oliber Bierhoff sagte: "Typisch deutsch gewonnen."

Am Dienstag folgt das letzte Spiel der Saison, in Baku gegen Aserbaidschan. Bei einem Sieg ist die DFB-Elf praktisch für die EM 2012 in Polen und der Ukraine qualifiziert. "Das ist dann eine überragende Leistung", lobt der Bundestrainer. Es wäre wenig überraschend, wenn der Stammspieler Mario Gomez noch einmal seinen Teil dazu beisteuern würde.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels wurde behauptet, dass Mario Gomez bereits vor seinem Fehlschuss gegen Österreich bei der EM 2008 zum FC Bayern gewechselt war. Das ist nicht richtig, Gomez wechselte erst ein Jahr später nach München. Wir haben den Fehler korrigiert.

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