EM-Qualifikation für die DFB-Elf:Mit Sauergeschmack nach Frankreich

Joachim Löw nahm routiniert die Glückwünsche von der Bank entgegen. Er klatschte mit den Ersatzspielern ab, mit den Betreuern, aber so recht schaffte es der Bundestrainer nicht, diesen behördlichen Akt mit der parallel meist vorgetragenen Erleichterung vorzunehmen. Der Bundestrainer war jetzt, wenige Minuten nach dem Abpfiff, noch nicht in der Lage, die Anspannung einer just vollzogenen EM-Qualifikation abzustreifen. Nicht nach diesem Spiel, das er gerade gesehen hatte.

Später würde Joachim Löw sagen: "Es war ein schwieriges Jahr nach der WM. Aber das ist natürlich nicht unser Anspruch. Mit den letzten beiden Spielen können wir nicht zufrieden sein."

Es war das glückliche Ende einer mühevollen Qualifikation für die EM 2016, das die deutsche Nationalmannschaft am Sonntagabend in Leipzig erlebte. Nach dem schusseligen 0:1 unter der Woche gegen Irland hatte sie sich gegen Georgien in ein Endspiel manövriert. Das gewann sie dann auch wie antizipiert, 2:1 (0:0) dank Toren von Thomas Müller (50./Foulelfmeter) sowie Max Kruse (79.) und dem zwischenzeitlichen Ausgleich von Dschaba Kankawa (54.). Der Weltmeister behauptete mit 22 Punkten auch den ersten Rang in der Abschlusstabelle vor Polen (21), das Irland 2:1 bezwang.

Aber die nackten Zahlen konnten am Sonntag dann doch nicht diesen Auftritt überdecken, einen Sieg mit Sauergeschmack. Der Weltmeister machte diverse Gemütszustände durch, die er für ein abschließendes Qualifikationsspiel gegen Georgien nicht unbedingt vorgesehen hatte: Frust, Zittern, Angst, Spurenelemente von Panik, erst spät dann auch Erleichterung.

Schürrle ersetzt Götze

Löw hatte im Vergleich zur Niederlage in Dublin nur kleinere Ausbesserungsarbeiten vorgenommen. Boateng und Hummels besetzten in der Abwehr erneut die Mittelachse, Ginter und Hector die Seitenstreifen. Gündogan und Kroos übernahmen das Mittelfeld, der leicht verletzte Bastian Schweinsteiger bemannte erneut die Ersatzbank. Vorne werkelten Müller, Özil, Reus und, statt des maladen Götze, André Schürrle. Der brachte als Kernkompetenz aus dem aktuellen EM-Bewerbungsverfahren immerhin drei Torerfolge mit. Aus dem Rückspiel im Juni gegen Gibraltar.

Zunächst einmal durften die Georgier die Durchlässigkeit der gegnerischen Abwehr testen. Walerie Kasaischwili fand nach sechs Minuten zur Überraschung der rund 44 000 Gäste reichlich Platz vor dem deutschen Strafraum vor. Kasaischwili schoss, vermutlich selbst überrascht von derart viel Freiraum, in den georgischen Fanblock. Anschließend ließen die georgischen Besuche in der deutschen Hälfte nach.

Die meisten deutschen Spieler, Abwehrpersonal inklusive, verlegten ihren Arbeitsplatz an den georgischen Strafraum, sie sammelten munter Fleißkärtchen, nur der Ertrag blieb erst einmal bescheiden, wie gegen Irland. Reus drückte den Ball aus 16 Metern erst aufs Tor, leicht erreichbar für Torwart Rewischwili (10.). Kurz darauf tauchte er ohne Geleitschutz aus zehn Metern vor Rewischwili auf, diesmal platzierte er den Ball unerreichbar für den Torhüter (13.). Allerdings flog der Ball nun auf die Tribüne.

Zehn Torschüsse nach 15 Minuten

Nach 15 Minuten hatte die Statistikstelle zehn deutsche Torschüsse registriert, bis zur Pause kamen fünf dazu. Die beste Gelegenheit verschenkte erneut Reus (37.); er drückte einen Heber volley aufs Tor, aber auch an die einzige Stelle, an der zufällig der georgische Torwart stand. Nach 45 Minuten führten die Deutschen auf den Punktezetteln der Kampfrichter, aber weil sie den Kampfrichterentscheid noch nicht vom Boxen in den Fußball übertragen haben, stand es halt 0:0. Löw eilte zügig in Richtung Kabine. "Wir haben in der ersten Halbzeit viele Chancen liegen gelassen", sagte er später: "Da kommt dann ein gewisser Frust, und dann haben wir noch ein paar Fehler eingestreut."

Der zweite Durchgang begann zunächst mit einer Überraschung: Die Georgier sahen es als ausreichend an, lediglich drei Mitspieler vor dem eigenen Strafraum zu positionieren. Dafür versammelte sich der Rest im eigenen Sechzehner. Dort trat Kankawa kurz nach Wiederanpfiff Mesut Özil auf den Fuß, Elfmeter. Müller schob den Ball ins rechte Eck (50.). Alles gut?

Doch plötzlich: Schockstarre

Es dauerte handgestoppte zehn Minuten, in denen sich die just gewonnene Sicherheit in Schockstarre verwandelte. Hector köpfelte eine Hereingabe fahrlässig vor die Füße von Kankawa, Neuer sah den Ball spät, und als er ihn erspähte, hatte der sich ins Tor gesenkt - 1:1 (54.). Vier Minuten später verwickelten die Georgier die Deutschen in einen Konter, Hector fiel im Duell mit Kasaischwili zu Boden wie ein Matrose bei starkem Seegang - der Georgier hob den Ball nur übers Tor, weil ihm Gündogan ins Standbein rauschte.

Und kurz darauf drückte Okriaschwili eine weitere Hereingabe derart gut aufs Tor, dass er vermutlich noch nach Spielschluss rätselte, wie Neuer den Ball über die Latte gelenkt hatte. Der Weltmeister? Hatte seit dem Elfmeter nicht mehr aufs Tor geschossen, der Weltmeister hatte plötzlich, ja: Panik. Es dauerte noch einige Minuten, ehe die Verunsicherung in Entschlossenheit umschlug. Chancen ergaben sich daraus keine. Die DFB-Elf verrannte sich oft im dicht besetzten Abwehrblock der Georgier, kaum einmal trug sie einen Angriff auf den Außenbahnen vor. Löw tauschte den überforderten Schürrle gegen Max Kruse, das änderte nicht die Unwucht in der Spielgestaltung, dafür das Ergebnis. Özil erspähte eine Lücke in der georgischen Abwehrzentrum, Kruse leitete den Ball direkt ins Tor weiter (79.), drei Minuten nach der Einwechslung. Es folgte der letzte Gemütszustand der DFB-Elf: Erleichterung.

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