EM-Qualifikation: DFB-Elf:Junge deutsche Tugenden

Nach dem 3:1 in Aserbaidschan lobt Bundestrainer Joachim Löw seine Mannschaft fast überschwänglich. Das Thema Ballack will er bald erledigen. Dennoch hält das kommende EM-Jahr einige Probleme für ihn bereit. Vor allem das Problem Spanien.

Thomas Hummel

So ein Kurztrip nach Baku kann anstrengend sein. Am Montag mehr als 2776 Kilometer von Wien aus nach Aserbaidschan geflogen, am Dienstag um 22 Uhr Ortszeit auf den Platz zum Fußballspielen. Danach Duschen, mit dem Bus zum Flughafen und frühmorgens 3350 Kilometer zurückgeflogen nach Frankfurt. Gut, dass die deutsche Nationalmannschaft nur aus jungen, fidelen Männern besteht, denen Zeitumstellung, Nachtreisen und ein Gegner wie Aserbaidschan nicht viel anhaben kann.

Aserbaidschan - Deutschland

"Ich denke, wir haben in dieser Saison Großartiges geleistet": Joachim Löw in Baku.

(Foto: dpa)

Am Dienstagabend erlebte das Fußballland beim 3:1 im EM-Qualifikationsspiel in Aserbaidschan die jüngste Nationalmannschaft aller Zeiten. 23,45 Jahre war der DFB-Spieler im Schnitt alt, der immer noch jungenhafte Philipp Lahm war mit 27 Jahren der Mannschafts-Älteste. "Ein komisches Gefühl, mit 27 Jahren der Älteste zu sein", gab Lahm zu.

Das Delikt Jugendwahn darf dem Bundestrainer Joachim Löw trotzdem niemand unterstellen. Die Altersstruktur in Baku ist das Ergebnis der umfassenden Reformen im deutschen Fußball zur Jahrtausendwende, die nun eine Fülle von Internatsschülern in die Kader schwemmt. Es war ein Ergebnis einer ungewöhnlichen Verletztenserie, wobei Sami Khedira, Sven Bender, Marco Reus oder Christian Träsch den Schnitt nicht wesentlich nach oben gedrückt hätten. Bastian Schweinsteiger und Simon Rolfes schon eher. Hätte der 34-jährige Michael Ballack mitgespielt, der Verdacht wäre aufgekommen, ein DFB-Präsidiumsmitglied hätte sich auf den Platz verirrt.

Dass Michael Ballack fast ein Jahr nach der Weltmeisterschaft in Südafrika noch Thema rund um die Nationalmannschaft ist, wirkt seltsam überholt. Die Nation glaubt zu wissen, was intern wohl längst feststeht: Der Mittelfeldspieler aus Leverkusen spielt keine Rolle mehr in der DFB-Elf. Spätestens nach diesen Länderspiel-Tagen ist daran kaum mehr zu rütteln. Löw nominierte nach den vielen Ausfällen lieber die U21-Spieler Sebastian Rudy und Lewis Holtby nach und stellte Philipp Lahm zum zweiten Mal in dessen Karriere ins zentrale Mittelfeld. Auf die Ballack-Position.

Löw bekräftigte in Baku seinen Willen, das Thema Ballack bald abzuschließen. Er wird sich bald mit seinem ehemaligen Kapitän treffen: "Es gibt keinen festen Zeitpunkt, aber es sollte zeitnah sein. Ich gehe jetzt noch nicht in den Urlaub, erst in zwei Wochen." Vermutlich hat der DFB gehofft, Ballack würde selbst den Rücktritt bekanntgeben und das Thema beerdigen. Doch der 34-Jährige will Löw die Überbringung der Nachricht nicht abnehmen, der Bundestrainer muss das selbst erledigen.

Einige haben ein kompliziertes Jahr vor sich

Sportlich ist die Trennung von Ballack allgemein anerkannt. Schon bei der WM hat sich die jüngere Generation vom stolzen Anführer emanzipiert, im Nach-WM-Jahr hat sie weitere Ergebnisse eingespielt. Sieben Siege in sieben Qualifikationsspielen - das gelang zuvor nur bei der Quali zur WM 1982. Damals endete die Qualifikation mit acht Siegen in acht Spielen.

Entsprechend groß fiel das Lob des Bundestrainers aus: "Ich bin sehr zufrieden. Wir sind zu 98 Prozent für die EM qualifiziert. Damit konnte man nach der WM so nicht rechnen. Man muss der Mannschaft ein großes Kompliment machen. Ich denke, wir haben in dieser Saison Großartiges geleistet", sagte Löw in Baku. Auch über Stotter-Auftritte gegen Uruguay (2:1), Österreich (2:1) und Aserbaidschan gab sich der 51-Jährige glücklich. Er sah die vielen Ausfälle, er sah den problematischen Zeitpunkt lange nach dem Bundesliga-Ende - und er sah, dass sich diese zielbewussten jungen Leute soweit aufrafften, um die Partien zu gewinnen. Schlecht spielen und trotzdem gewinnen - der Ästhet Löw kann damit wenig anfangen, aber er bekam eine Ahnung, dass die alte deutsche Tugend hin und wieder ganz nützlich sein kann.

Das neue Jahr hält für den Badener dennoch einige Hürden parat. Er muss die Spannung hochhalten, obwohl die EM-Teilnahme praktisch gesichert ist. Er versucht dies mit starken Testgegnern wie Brasilien, Holland oder Frankreich. Zudem nutzt er das Füllhorn an Talenten dazu, den Druck für die Etablierten zu erhöhen. André Schürrle, Marco Reus, Mats Hummels, Benedikt Höwedes, Mario Götze, Lewis Holtby, auch ein Sydney Sam oder ein Ilkay Gündogan drängen.

Dennoch betonte er in Baku: "Wichtig ist, dass die Mannschaft im Kern eingespielt ist." Seit der WM galt die Regel, dass neun von elf Startplätzen vergeben sind. Löw ist verdienten Spielern sehr dankbar und hält an ihnen fest. Doch einigen WM-Helden droht ein kompliziertes Jahr. Per Mertesacker und Arne Friedrich haben schon eine schwere Saison hinter sich, Sami Khedira und Mesut Özil müssen sich in Madrid neu beweisen, Lukas Podolski plagt sich weiter in Köln und wie sich die Karriere von Miroslav Klose entwickelt, weiß niemand. Dazu kommt der Wechsel von Philipp Lahm auf links, womit die Suche nach einem Rechtsverteidiger beginnt.

Das größte Problem für diesen besten deutschen Kader seit 20 Jahren heißt aber weiterhin Spanien. Khedira oder Thomas Müller sagten dem Welt- und Europameister zuletzt öffentlich den Kampf an, bei der EM 2012 soll endlich der Titel herausspringen. Doch wer den FC Barcelona im Champions-League-Finale gesehen hat, bleibt ein wenig ratlos zurück. So ratlos, wie offenbar auch der DFB-Trainerstab ist, wenn er sich auf die Suche nach spanischen Schwachpunkten begibt. Wie kann man diese von Xavi und Iniesta angeführten Autopilot-Mannschaften stoppen? Joachim Löw und seine Leute haben ein Jahr Zeit, das herauszufinden.

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