EM-Qualifikation: Deutschland - Türkei:Therapiesitzung am laufenden Ball

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Deutschland schüttelt die Bundesliga-Müdigkeit ab und gewinnt das gefühlte Auswärtsspiel in Berlin gegen die Türkei mit 3:0. Mesut Özil wird zum prägenden Antreiber und trifft.

Doch, das ist schon ein Heimspiel gewesen am Freitagabend. Am Flughafen Tegel wurde das aus der ganzen Republik angereiste Fußballpublikum von einem amtlichen Schild empfangen: "Bundesrepublik Deutschland". Und das Olympiastadion, das von unzähligen weißen Mondsicheln auf rotem Grund geschmückt war, und das jede Menge rot-weiße Trikots, rot-weiße Schals und rot-weiß bemalte Gesichter beherbergte, dieses Olympiastadion trug nachweislich den Stadtnamen "Berlin" im Titel.

Mesut Özil und sein Tor gegen die Türkei. Mit diesem Schuss zum 2:0 entscheidet der Deutsch-Türke das Spiel in Berlin. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Sehr viel mehr Indizien für die Heimspiel-Theorie gab es allerdings nicht. Sobald die Deutschen den Ball in ihren Besitz gebracht hatten, erklangen Pfiffe von den Tribünen.

Die Atmosphäre in der Hauptstadt, wo 105.000 türkische Staatsbürger leben und noch einmal so viele Menschen mit türkischen Wurzeln, hat dem EM-Qualifikationsspiel zwischen Deutschland und der Türkei eine skurrile Note verliehen. Doch am Ende haben die Dinge dann doch jenen Lauf genommen, den der Bundestrainer Joachim Löw vorhergesagt hatte: Ja, er erwarte eine türkische Übermacht auf den Rängen, hatte Löw diese Woche mitgeteilt.

Aber wenn man ihn fragte, ob das nicht ein Nachteil sei für die deutsche Nationalelf, blickte Löw so gelassen drein, wie man nur dreinblicken kann, wenn man in jeder Beliebtheitsumfrage noch besser abscheidet als Günther Jauch und Lena Meyer-Landrut zusammen, und antwortete: "Nein."

Dass die Atmosphäre tatsächlich kein Nachteil wurde für die Ambitionen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), war vor allem Miroslav Klose, Manuel Neuer und Mesut Özil zu verdanken: Dank zweier Treffer des Bayern-Stürmers Klose (42., 87.), einer Rettungstat des Schalker Torhüters (53. Minute) und eines abschließenden Tores des Deutsch-Türken Özil gewannen die Deutschen die Partie 3:0 (1:0) - und dürften sich in ihrer Qualifikationsgruppe damit für eine Weile ganz oben festsetzen. "Ein perfekter Start", freute sich Philipp Lahm.

Vor allem den Entschluss des jungen Mittelfeldspielers Özil, geboren in Gelsenkirchen, für die DFB-Auswahl anzutreten anstatt für das Land seiner Eltern, Großeltern und Urururgroßeltern, schienen viele Besucher nicht gutheißen. Özil trafen die Pfiffe mit besonderer Wucht, er ließ sich davon aber nicht irritieren. Er spielt, zusammen mit dem Deutsch-Tunesier Sami Khedira, jetzt bei Real Madrid und ist somit ein glücklicher Mann.

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In der zweiten Halbzeit wurde Özil zum prägenden Antreiber im deutschen Offensivspiel, alleine die Abschlussschwäche des Kollegen Lukas Podolski verhinderte das frühere deutsche 2:0 (70.). Und den entscheidenden Pass des Kapitäns Philipp Lahm verwandelte Özil schließlich mit einer lässigen Abgeklärtheit, als wäre es nicht sein drittes sondern sein 300. Länderspieltor. Özil jubelte dann ziemlich verhalten - und in die Pfiffe mischte sich nicht mehr überhörbarer Applaus.

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Wäre man Spötter, käme man ohnehin nicht umhin festzustellen: Für den Rest der deutschen Mannschaft war die Geräuschkulisse ohnehin der gewohnte Klang der vergangenen Wochen. Auf dem Spielberichtsbogen kam die DFB-Elf jener vor Kraft, Inspiration und Spielwitz strotzenden WM-Stammbesetzung aus dem Sommer recht nahe, nur die verletzten Arne Friedrich und Bastian Schweinsteiger fehlten, Jerôme Boateng saß auf der Bank.

Aber weil die Zeit bekanntlich nicht nur Wunden heilt, sondern auch neue aufreißt, hatte das Spiel Züge einer Therapiesitzung am laufenden Ball. Die fünf Bayern-Profis (Badstuber, Lahm, Kroos, Müller, Klose) schleppten auf ihren angeblich so müden Beinen eine ausgewachsene Formkrise mit nach Berlin, von Manuel Neuer, dem Torhüter von Schalke 04, und dem Kölner Abstiegskämpfer Lukas Podolski gar nicht zu reden.

Doch die sagenumwobene WM-Müdigkeit schimmerte nur selten auf. Nicht jede Aktion gelang den Deutschen, vor allem die Defensivschwäche von Lukas Podolski beschwerte ihnen mehrere kritische Momente vor dem eigenen Tor. Doch läuferischer wie kämpferischer Einsatz waren erneut bestechend- gerade die Bayern-Spieler erschienen wie ausgewechselt. Klose stieg gleich zu Beginn der Partie zweimal hoffnungsfroh zum Kopfball empor, brachte den Ball aber nicht aufs Tor (7., 10.).

Der gewaltige Respekt, den beide Teams voreinander hatten, verhinderte zwingende Aktionen. Ehe Klose kurz vor der Halbzeit einen Ball über die Linie drückte, der dem Bayern-Kollegen Müller vom Kopf an die Latte gesprungen war, von dort an den Pfosten - und Klose direkt auf den Scheitel.

Nach der Pause reagierte Manuel Neuer dann exzellent gegen den freistehenden Halil Altintop, was er später in der Aussage bündelte, man habe sich eben "nicht aus der Ruhe bringen lassen", sondern "konsequent unseren Stiefel runtergespielt". Spätestens da hatte es weniger von Masochismus als von Weitsicht, dieses Spiel nach Berlin vergeben zu haben. Unter Joachim Löw hat die Nationalelf schließlich noch kein Auswärtsspiel verloren.

© SZ vom 09.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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