Start in die Qualifikation zur EM 2024:Frischer Wind für den vierten Anlauf zum Titel

Lesezeit: 3 min

Gute Laune vor dem Topspiel in Neapel: Englands Nationaltrainer Gareth Southgate. (Foto: Mike Egerton/PA Images / Imago)

Für das Viertelfinal-Aus in Katar erntete Englands Nationaltrainer Gareth Southgate viel Kritik. Durch cleveres Taktieren verschaffte er sich schnell wieder Zuspruch. Vor dem Quali-Start in Italien ist klar: Das Ziel für 2024 ist die EM-Trophäe.

Von Sven Haist, Neapel

Mittlerweile gehört Gareth Southgate, 52, zu den dienstältesten Trainern einer bedeutenden Fußball-Nationalmannschaft. Seit sechseinhalb Jahren ist er für England im Dienst, übertroffen wird er im Kreis der Großen nur vom französischen Weltmeister-Coach Didier Deschamps, der den Posten in seinem Heimatland bereits 2012 übernommen hat. Auch in Englands langer Fußballhistorie haben insgesamt nur drei Trainer mehr Länderspiele geschafft als Southgate, zuletzt Bobby Robson vor mehr als drei Jahrzehnten.

Trotzdem fühlt sich Southgates Amtszeit nicht so beständig an, was wohl vor allem auf dauernde Kritik an seiner Person zurückzuführen ist. Alles außer einem Titel scheint den Engländern nicht mehr gut genug zu sein, obwohl das Land bisher überhaupt nur ein Turnier gewann, die Heim-WM 1966. Nach dem Scheitern im Viertelfinale der WM in Katar (1:2 gegen Frankreich) fühlten sich die Skeptiker jedenfalls in ihrer Annahme bestätigt, dass England einen neuen Trainer benötige, um es bis ganz nach oben zu schaffen.

SZ PlusFußball in England
:Und am Ende gewinnt Gary Lineker

Nach seiner Auseinandersetzung mit der BBC ist der ehemalige Profistürmer nun wieder als TV-Experte im Programm. Die Senderchefs hat er so zielgenau düpiert, wie er früher seine Tore schoss.

Von Sven Haist

Der noch bis 2024 beim Verband FA angestellte Southgate konterte die Kritik, indem er seinen Verbleib plötzlich offenließ und sich aus den Medien zurückzog. Zwar nicht so anhaltend, wie es der deutsche Bundestrainer Joachim Löw einst nach Turnieren zuweilen tat, aber für Southgates Verhältnisse war es eine beachtliche Sendepause. Vorab hatte er angekündigt, keinesfalls "zu lange" England-Trainer bleiben zu wollen. Mit seinem clever in Erwägung gezogenen Rücktritt stellte Southgate quasi die Vertrauensfrage, und so musste sich die Fußballnation auf einmal tatsächlich mit der Frage befassen, welcher Trainer denn überhaupt besser wäre als Southgate - und zugleich Interesse an dessen Job hätte.

Daraufhin schlug die öffentliche Meinung zu Southgate fast so schnell um wie das traditionell wechselhafte britische Inselwetter. Neben den Spielern und Verbandsfunktionären, die sowieso alle zum Coach standen, sprachen sich rund um Weihnachten mehrheitlich auch die große englische Fußball-Expertenriege sowie einflussreiche Medienhäuser für Southgate aus - offensichtlich gibt es doch nicht so viele geeignete Nachfolger, wie bei Unmut nach Niederlagen gerne suggeriert wird.

"Alle in der Kabine denken dasselbe", sagt Jack Grealish: brillanter Coach, brillanter Mensch!

Das notorisch unruhige Mutterland des Fußballs übte sich also in Demut und akzeptierte, auch mal vorzeitig bei einem Turnier auszuscheiden, ohne gleich den Trainer zu wechseln. Das Sportmagazin The Athletic schrieb sogar, es sei "naiv", von einer Nationalmannschaft einen Titel "einzufordern", die "seit fast 60 Jahren" nichts gewonnen hat. Der anerkannte französische Ex-Internationale und frühere Manchester-United-Profi Patrice Evra erklärte, er könne "gar nicht verstehen", warum es "eine Debatte" um Southgate gebe, weil jener "die Zukunft" für England sei. Sein Appell: "Zollt dem Team mehr Anerkennung!"

Dieser Rückhalt bewog Southgate dazu, seine Arbeit fortzuführen, und verschafft ihm jetzt ein starkes Mandat auf dem Weg zur EM 2024 in Deutschland. Englands Linksaußen Jack Grealish (Manchester City) bekräftigte soeben, dass "alle in der Kabine dasselbe über Gareth" denken würden: Er sei ein brillanter Coach und ein brillanter Mensch, man könne ihn "nicht hoch genug loben" für seine Verdienste. Dass Southgate nun seinen vierten Anlauf zu einem Turniersieg startet, wird in England zudem als gutes Omen gewertet, weil einst auch Jogi Löw im vierten Versuch seinen Titel holte (2014) - und der Erzrivale Deutschland wird ja immer gern als Referenz verwendet. "Southgate 4.0", titelte The Athletic. Der bisher fehlende Erfolg fühle sich nach "unfinished business" an, einem Geschäft, dessen Abschluss noch aussteht.

Die Arbeit in der EM-Qualifikation beginnt für England an diesem Donnerstag (20.45 Uhr) gleich mit der wohl kompliziertesten Aufgabe: dem Auswärtsspiel gegen Italien in Neapel, einer Neuauflage des schmerzlich verlorenen EM-Endspiels 2021 in London (nach Elfmeterschießen). In vier Duellen mit Italien gab es für Southgate als Nationaltrainer noch keinen Sieg. Das spektakuläre Aufeinandertreffen in der Qualifikationsgruppe C bietet seinen Three Lions nun die Gelegenheit, sich erneut mit dem Europameister zu messen - und ein wenig den Respekt vor Italien abzulegen. Englands mäßige Bilanz gegen große Gegner dürfte nämlich weniger an fehlender Qualität als an fehlendem Glauben liegen. Auch in Katar dominierte man den Viertelfinalgegner Frankreich, bisweilen wirkte es jedoch so, als sei Englands Team trotz Überlegenheit nicht richtig von sich selbst und einem Erfolg überzeugt.

Doch dieses dritte unglückliche Scheitern bei einem Turnier hintereinander scheint jetzt den Killerinstinkt der Mannschaft geweckt zu haben. Es wirkt so, als würden die Spieler Frust in Wut umsetzen. Am deutlichsten formulierte das Grealish, der forsch betonte, das Jahr 2024 könnte "wirklich unseres" werden - weil er und die meisten seiner Teamkollegen sich dann "im besten Fußballalter" befänden. Es sei "kein Geheimnis", dass England endlich ein Turnier gewinnen wolle, und er, Grealish, sei fest davon überzeugt, dies schaffen zu können.

Einen ähnlichen Entwicklungsprozess hat auch Southgate hinter sich, dem wie Löw immerzu nachgesagt wurde, sein Coaching sei nicht gezielt und versiert genug, um enge Spiele positiv zu beeinflussen. In Katar hatte Southgate mit einigen gelungenen Personalentscheidungen zum Teil das Gegenteil bewiesen. Und auf die Auswahl des bestmöglichen Personals wird es nun auch in der Hinführung zur EM vermehrt ankommen für Southgate, dem eine Vielzahl an renommierten Nationalspielern zur Verfügung steht.

Sollte alles nach Plan verlaufen, dann wird Gareth Southgate rund um die EM 2024 in jedem Fall den großen Bobby Robson als Nationaltrainer mit den drittmeisten Länderspielen ablösen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusGary Lineker im Gespräch
:"Das war ein verdammt guter Satz"

Von Gary Lineker stammt die weltberühmte Weisheit, dass beim Fußball eh immer die Deutschen gewinnen. Vor der WM in Katar erinnert sich der heutige TV-Experte an legendäre Spiele, Maradonas Hand-Gottes-Spruch - und eine verpasste Chance.

Interview von Javier Cáceres

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: