EM in Berlin:Schwärmen auf der magischen blauen Bahn

2018 European Championships - Berlin

Gesa Felicitas Krause ließ sich tragen. Vom Stadion und von Maskottchen Berlino.

(Foto: REUTERS)
  • Der deutschen Leichtathletik geht es besser als noch vor zwei, drei Jahren.
  • Mit Läuferinnen wie Gesa Krause oder Konstanze Klosterhalfen kann der DLV auch bei Olympia rechnen - die EM in Berlin war vor allem für die Hindernisläuferin Krause ein voller Erfolg.

Von Joachim Mölter, Berlin

Erst war Gesa Felicitas Krause unten auf der Kunststoffbahn zu sehen gewesen. Dann war sie oben auf den Marmorstufen über dem Marathontor unterwegs. Etwas später rannte sie durch den Graben zwischen Tribünen und Innenraum. Schließlich blieb sie in den Katakomben des ehrwürdigen Berliner Olympiastadions stehen und versicherte: "Ich habe mein Ziel nie aus den Augen verloren, ich habe nur den Weg dahin etwas verändert."

Das klang zunächst so, als wollte Gesa Felicitas Krause nicht zugeben, dass sie sich in dem riesigen Gemäuer verlaufen hatte auf dem Weg zu ihrer Familie und zu ihren Freunden, die auf sie warteten. Aber Krause hatte ihr Ziel ja schon vor dem zweistündigen Marathonlauf durch alle Ecken und Ende der Arena erreicht: den Sieg im 3000-Meter-Hindernislauf bei diesen Europameisterschaften. Dafür hatte sie zuletzt einige Wettkämpfe abgesagt und sich ins Trainingslager nach Davos zurückgezogen. Der veränderte Weg führte aber auch dahin, wo sie hinwollte.

Als die für Trier startende Leichtathletin am Sonntagabend ihren Titel in 9:19,80 Minuten verteidigte, in Saisonbestzeit, hatte sie mit ihrem Endspurt gewartet, bis sich die Läuferinnen zum letzten Mal dem Wassergraben näherten. Erst da löste sich die 1,67 Meter kleine Athletin aus dem Windschatten der Schweizerin Fabienne Schlumpf und stürmte zum Sieg. "Das war vor zwei Jahren anders, da habe ich das Rennen an der Spitze selbst gestaltet", sagte sie und gab zu: "Ich war ein bisschen unsicher, weil die Wettkämpfe vorher nicht so gut gelaufen waren. Es war einfach ein holpriges Jahr."

Der größte Unterschied zum EM-Triumph 2016 in Amsterdam war jedoch ein anderer: "Vor heimischem Publikum zu laufen, ist ein unglaublich tolles Gefühl. Und diese blaue Bahn hat etwas Magisches." Wie alle Leichtathleten, die sich in der vergangenen Woche bei der EM im Berliner Olympiastadion herumtrieben, plädierte auch sie gegen den diskutierten Umbau zum reinen Fußballstadion. "In diesem Stadion steckt viel Geschichte, die sonst genommen wird", sagte sie.

Auch Gina Lückenkemper gefiel es im Olympiastadion: "Es ist so unglaublich cool, hier zu laufen - auf dieser Bahn, in dieser Atmosphäre", sagte die Sprinterin, die auf dieser Bahn, in dieser Atmosphäre zwei Medaillen gewonnen hatte - am ersten EM-Tag eine silberne über 100 Meter und am letzten eine bronzene über 4 x 100 Meter mit den Kolleginnen Lisa Marie Kwayie, Tatjana Pinto und Rebekka Haase. Die Abteilung Lauf beschaffte also ironischerweise die letzten zwei der insgesamt 19 Medaillen für den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) - sechs goldene, sieben silberne sowie sechs bronzene. Gemessen an der Zahl der Wettbewerbe sind die deutschen Läufer ja schwer unterrepräsentiert, wenn es ans Einsammeln von Medaillen geht. Man könnte sagen: Es läuft holprig.

Eine Medaille bei Olympia fehlt ihr noch

Inmitten all der siegreichen Springer, Stoßer, Werfer und Mehrkämpfer des DLV ist Krause jedenfalls die einzige Läuferin, die Einzeltitel gewonnen hat in den vergangenen Jahren. Wie viel das wert ist in der Szene, kann man daran ermessen, dass sie dreimal nacheinander zur Leichtathletin des Jahres gewählt worden ist - 2015, als sie bei der WM in Peking Bronze holte und damit die erste Einzelmedaille im Lauf für den DLV seit mehr als einem Jahrzehnt; 2016, als sie den EM-Titel gewann; und selbst 2017, als sie bei der WM bloß Neunte wurde. Sie war im Finale von London kurz nach dem Start bei einer Rangelei zu Fall gebracht worden, aber sie rappelte sich tapfer auf und brachte das Rennen zu Ende, obwohl sie aussichtslos zurücklag. Das hat dem Publikum sehr imponiert.

In Berlin genoss sie nun das Privileg, dass ihr Finale am Schlusstag ausgetragen wurde. Die Siegerehrung fand deshalb nicht, wie in den Tagen zuvor, auf dem Breitscheidplatz in der City statt, sondern auf den Marmorstufen über dem Marathontor. Als in der mit 43 000 Menschen besetzten Arena die Nationalhymne gespielt wurde, schloss sie immer wieder die Augen. "Ich habe versucht, die Atmosphäre aufzunehmen, die Momente in meinem Gedächtnis zu speichern, alles so intensiv wie möglich wahrzunehmen", erzählte sie später, unten in den Katakomben, vor den Kameras und Mikrofonen. Solche Momente seien ja selten für eine Leichtathletin wie sie, erinnerte sie, davon müsse sie zehren, wenn sie im Herbst wieder in die langen, schweren Trainingsphasen einsteigt.

Gedanklich bereitet sie sich mit ihrem Trainer Wolfgang Heinig ja bereits auf die Sommerspiele 2020 in Tokio vor. "Ich möchte eine Olympia-Medaille", sagt sie, auch wenn sie weiß: "Das ist in der Leichtathletik sehr schwer und im Laufen sowieso." Die Konkurrenz aus Afrika und Nordamerika dominiert das Geschehen, "ich muss sehr viel tun, damit es in zwei Jahren klappt", sagt Krause. Umfang erhöhen, Kraftwerte steigern, Schnelligkeit verbessern, "kleine Stellschrauben, an denen zu verschiedenen Zeiten gedreht wird, um das Niveau langsam anzuheben", sagt sie.

Ihr Trainer hat bereits angefangen, das Training zu verschärfen. Zwischenzeitlich schien die Läuferin zu zweifeln, weil die Ergebnisse ausblieben. "Wir haben nichts falsch gemacht, ich war ja heute auf den Punkt fit", bilanzierte Krause nun: "Nach den harten Trainingseinheiten hat nur das Timing mit den Wettkämpfen nicht gepasst. Das sind Erfahrungswerte, das weiß man jetzt für die nächsten Jahre." Krause hat sich das in einem kleinen, für sie abgestimmten Team erarbeitet, wie viele ihrer deutschen Kollegen. Und das erzählte schon einiges vom gemeinsamen Erfolgen bei dieser EM: dass jeder Athlet den Weg dorthin weitgehend alleine gehen durfte.

Ähnliche Erfahrungen hat auch Konstanze Klosterhalfen gesammelt, die 21-Jährige, die im vorigen Jahr in die Weltspitze vorgedrungen ist und als nächste Medaillenhoffnung des DLV auf den Mittelstrecken gilt. In dieser Saison lief es freilich auch für sie holprig, sie kämpfte mit Verletzungen, war aber so weit wieder fit, dass sie am Sonntag über 5000 Meter in 15:03,73 Minuten Vierte wurde. "Der schönste Moment meiner Karriere ist das nicht", sagte sie, "aber ein Schritt dahin."

Schrittweise will sich auch Gesa Krause an die Weltspitze heranarbeiten, deshalb hat sie auch die WM 2019 in Doha auf dem Programm, obwohl die erst Ende September in der Hitze von Katar ausgetragen wird, also deutlich später im Jahr als üblich. Aber "man kann gucken, wie schnell man laufen kann und muss", sagt die Sportsoldatin. In diesem Jahr will sie auch noch mal gucken, wie schnell sie die 3000 Meter Hindernis rennen kann, Anfang September beim Istaf, auf der blauen Bahn. Dort hat sie voriges Jahr auch ihr WM-Trauma verarbeitet mit einem deutschen Rekord, 9:11,85 Minuten. Nun will sie die 9:10 unterbieten. "Das muss ich auch, wenn ich bei der WM mithalten möchte", sagt sie. Die Ziele gehen ihr nicht aus.

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