EM-Gastgeber bezwingt Schweden 2:1:Ukrainischer Taumel in Kiew

Die Schweden führen 1:0 - doch dann kommt Andrej Schewtschenko. Mit zwei Treffern in der zweiten Halbzeit versetzt der betagte Stürmer das ganze Stadion in Ekstase. Für die kampfstarken Ukrainer ist damit sogar das Viertelfinale drin - für die Schweden um Zlatan Ibrahimovic wird das Weiterkommen jetzt richtig schwer.

Claudio Catuogno

Anatoli Timoschtschuk wird diesen Moment einige Male im Kopf vorempfunden haben: Das Olympiastadion im Herzen von Kiew, gelb und blau bis unters Zeltdach - und er führt die Mannschaft der Ukraine aufs Feld, zum ersten Vorrundenspiel gegen Schweden. Wimpeltausch mit Zlatan Ibrahimovic, Händeschütteln mit dem Schiedsrichter. Der Platz in den Geschichtsbüchern wäre dem Mittelfeldspieler vom FC Bayern sicher gewesen. Wann wird ein ukrainischer Fußballer je wieder die Gelegenheit haben, bei einem Turnier in der Heimat die Kapitänsbinde zu tragen?

Ukraine vs Sweden

Riesiger ukrainischer Jubel. Mittendrin: Andrej Schewtschenko.

(Foto: dpa)

Doch um kurz vor halb zehn Uhr Ortszeit wurde dann in Kiew die ukrainische Aufstellung verlesen, und als die Nummer sieben an der Reihe war, ging ein Jubelschrei durchs Olimpijskyi. Andrej Schewtschenko sollte von Beginn an spielen. Jener 35 Jahre alte ehemalige Weltklassestürmer also, Europas Fußballer des Jahres 2004, den der Nationaltrainer Oleg Blochin noch vor kurzem in einer Verfassung wähnte, die ihm zwar eine EM-Nominierung garantieren sollte. Bloß keine als Spieler. Blochin plante, Schewtschenko als Berater und Maskottchen zu nominieren.

Aber bisweilen geschehen eben seltsame Dinge, vor allem in Fußballverbänden, die unter dem Druck stehen, um jeden Preis ein gutes Bild abzugeben. Die Debatte, ob nun ein vergifteter deutscher Salat oder doch ein aus dem Ruder gelaufenes Doping-Experiment für die jüngste Kollektiv-Magenverstimmung im ukrainischen Team verantwortlich war, gibt davon ein beklemmendes Zeugnis.

Und so hatte es nun also Schewtschenko, entgegen aller Erwartungen, in Blochins Startelf geschafft. "Schewa"-Rufe auf den Rängen bewiesen, dass das Volk die Entscheidung goutierte. Was nützt uns ein Gott, wenn er auf der Bank sitzt? So sehen das die Ukrainer. Anatoli Timoschtschuk gab also seine Binde ab und reihte sich ein in den Kreis der Irdischen.

Zwei Treffer in sieben Minuten

Und dann also diese 55. Minute, gerade hatte Ibrahimovic die Schweden in Führung geschossen: Die Ukrainer setzten nach, von rechts segelte eine Flanke in den Strafraum, Schewtschenko flog dem Ball entgegen, als würde er von unsichtbaren Engeln in die Luft gehoben, drückte ihn mit dem Kopf über die Linie - 1:1. Sieben Minuten später war Blochins Entscheidung für Schewtschenko, ob nun freiwillig getroffen oder nicht, endgültig zum Glücksfall geworden für diese EM.

Wieder traf Schewtschenko, wieder per Kopf, diesmal nach einer Ecke von links. Die Ukraine hat sich mit diesem 2:1-Erfolg zum Auftakt ein bisschen Luft verschafft, ehe in Frankreich und England die deutlich schwierigeren Gegner kommen. Dank Andrej Schewtschenko, der sagte: "Das ist ein großartiger Sieg. Ich fühle mich fantastisch. Ich fühle mich wie 20."

In Charkow, Lemberg und Donezk hatte die EM schon vorbeigeschaut, ehe nun auch die Hauptstadt an der Reihe war. Freundlich und stolz haben die Menschen ihre Gäste aus dem Rest Europas begrüßt. Aber das alles wäre natürlich nur halb so schön gewesen, wäre bei der eigenen Elf schon nach dem ersten Auftritt Tristesse eingezogen.

Bisher hatten die Ukrainer immer ein bisschen neidisch auf den stolzen Co-Gastgeber Polen geblickt, wo fast alle Mannschaften ihr Quartier bezogen haben, und wo sich auch westliche Politiker auf den Tribünen sehen lassen (während in Kiew Staatschef Viktor Janukowitsch nur den Uefa-Präsidenten Michel Platini an der Seite hatte beim Jubeln).

Nun haben sie den Polen wenigstens dieses voraus: drei Punkte. Und dazu die Gewissheit, doch eine wettbewerbsfähige EM-Mannschaft zu stellen. Während die Schweden eher den Eindruck erweckten, als hätten sie Salat gegessen, der die Sinne vernebelt.

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