Süddeutsche Zeitung

EM 2021:Und nun: EM-Stimmung! Oder?

Es ist kompliziert, noch während einer Pandemie ein Turnier als Symbol für ein vereinigtes Europa zu veranstalten. Nirgends zeigt sich die Widersprüchlichkeit so gut wie am Beispiel Sankt Petersburg.

Kommentar von Sebastian Fischer, Sankt Petersburg

Es werden Bilder entstehen, die ein Fußballfest zeigen, und natürlich werden sie prächtig aussehen. Es gibt sie ja nun tatsächlich auch für diese Europameisterschaft: die bei vergangenen Turnieren üblichen Fan-Meilen in den Innenstädten, mit Merchandising und Großleinwänden, auf denen die Menschen, die nicht zu den ausgelosten Stadionbesuchern gehören, gemeinsam Spiele anschauen können. Nicht in allen elf Austragungsorten des Turniers, nicht in München, Amsterdam oder Bukarest, aus Gründen der "andauernden Pandemie", wie es bei der Uefa heißt. Aber andernorts schon. Da kann sie jetzt also aufkommen, nicht nur in den Wohnzimmern: EM-Stimmung. Oder?

In Sankt Petersburg, mit sechs Gruppenspielen und damit den meisten aller Austragungsorte so etwas wie die inoffizielle EM-Hauptstadt der Vorrunde, wird es sogar mehrere Fan-Zonen geben. Die größte davon ist an ausgesprochen fotogener Stelle aufgebaut, direkt vor der Auferstehungskirche mit ihren surreal schönen Zwiebeltürmen, die aussehen wie von oben herab drapierte Eiscreme. Eine prächtigere Kulisse, zumal bei Abendspielen in den weißen Nächten über der Stadt, muss man erst mal finden.

In Sankt Petersburg könnte sich allerdings auch die Widersprüchlichkeit dieses Turniers besonders deutlich zeigen. Einerseits ist die Stimmung in der Millionenmetropole in Russlands Norden so, wie sich das Uefa-Präsident Aleksandr Ceferin vorgestellt haben könnte, als er sagte: "Europa lebt und feiert das Leben. Europa ist zurück." Man sieht kaum Maskenträger in Restaurants und Supermärkten. Theater und Museen, selbst Nachtclubs haben auf. Aber natürlich dauert die Pandemie auch hier noch an, das bleibt auch so, da die Impfkampagne nie so richtig an Tempo aufgenommen hat. Und Russland ist zwar laut Robert-Koch-Institut kein Hochinzidenzgebiet, aber die Infektionszahlen im Land steigen wieder.

Sankt Petersburg steht abseits von virologischen Bedenken auch dafür, dass die meisten Spiele nun, nach der Verlegung von drei Partien aus Dublin, da stattfinden, wo das große Business zu Hause ist: beim Uefa-Großsponsor Gazprom, in der nach dem staatlich kontrollierten Erdgas-Unternehmen benannten, legendär überteuerten Arena des russischen Serienmeisters Zenit, der übrigens neulich verkündete, in der vergangenen Corona-Saison die meisten Fans in ganz Europa begrüßt zu haben. 50 Prozent Zuschauer-Auslastung ist bei der EM erlaubt. 75 Prozent waren mal der Plan.

Russland protestiert gegen die Trikots der Ukrainer

Außerdem zeigt sich in Russland, wie kompliziert es ist, ein Turnier als Symbol für ein vereinigtes Europa zu veranstalten, wenn sich ein Kontinent tatsächlich in Teilen auf dramatische Weise uneins ist. Dem ARD-Journalisten Robert Kempe, eine Meldung als Beispiel, wurde die Akkreditierung für Spiele in Sankt Petersburg entzogen. Er hatte zuletzt unter anderem über die Verbindungen von Gazprom mit Europas Fußball berichtet.

Das eindrücklichste Symbol dafür, wie das echte Leben in die Sport-Veranstaltung platzt, ist allerdings der Streit ums Trikot der ukrainischen Nationalmannschaft, auf dem die Umrisse des Landes abgebildet sind - inklusive der von Russland völkerrechtswidrig annektierten Krim. Russland hat dagegen protestiert, genauso wie gegen die Verwendung eines nationalistischen Schriftzugs auf dem Shirt. Der Slogan "Ruhm der Ukraine, unseren Helden Ruhm!" sei wegen der militärischen Bedeutung zu entfernen, forderte daraufhin auch die Uefa. Die Formel ist seit 2018 der offizielle Schlachtruf des ukrainischen Militärs. Schon richtig, sie sei nun aber auch die offizielle Losung der Nationalelf, erklärte Ukraines Verband am Freitag. Ausgang offen.

In Russlands Pressekonferenz vor dem Auftaktspiel gegen Belgien ging es dagegen nur um Sport. "Wir fühlen uns gut vorbereitet", sagte Trainer Stanislaw Tschertschessow. Jetzt wird erst mal gespielt. Allerdings ohne Mittelfeldspieler Andrej Mostowoi. Der wurde positiv auf Corona getestet.

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