Knapper Erfolg bei der EM:Ukrainischer Chancenwucher

Fußball EM - Ukraine - Nordmazedonien

Zweikampf der großen alten Männer: Andrej Jarmolenko (links), 31, und Goran Pandev, 37 - mit dem besseren Ende für den Ukrainer Jarmolenko.

(Foto: Justin Setterfield/dpa)

Gegen Nordmazedonien zittert sich die Ukraine zum ersten Sieg bei dieser EM. Trotz eines verschossenen Elfmeters genügen die Treffer von Jarmolenko und Jaremtschuk zu einem 2:1, das die Tür zum Achtelfinale öffnet.

Von Stefan Galler

Mit ein bisschen Pathos hatte der Ukrainer Roman Jaremtschuk vor der zweiten Partie seiner Mannschaft bei der Europameisterschaft gegen Nordmazedonien diese so eingeordnet: Der EM-Neuling habe gute Ideen und kämpfe wacker. "Das wird eines der härtesten Spiele aller Zeiten für unsere Mannschaft", sagte der 25 Jahre alte Angreifer vom belgischen Erstligisten KAA Gent.

Selbstverständlich gebietet es die Höflichkeit, einem Gegner den nötigen Respekt zu erweisen. In der Realität hat sich dann gezeigt, dass Jaremtschuk gar nicht so falsch lag mit seiner Einschätzung: Die Ukraine setzte sich in Bukarest trotz optischer Überlegenheit und zahlreicher Torchancen nur knapp mit 2:1 (2:0) Toren durch. Nach Spielende feierten die Sieger mit ihren Fans, sie können nun am abschließenden Spieltag der Gruppe C gegen Österreich aus eigener Kraft das Achtelfinale erreichen. "Das Team hat in der Offensive gut gespielt, es war eine Freude, ihnen zuzuschauen", sagte Andrej Schewtschenko nach dem Spiel. "Wir hatten genügend Chancen, um noch mehr Tore zu schießen", so der ukrainische Trainer weiter. Der wichtigste Punkt sei aber, "dass wir heute gewonnen haben".

Von Beginn an machte sein Team deutlich, dass es die Enttäuschung nach der unbelohnten Aufholjagd gegen die Niederlande (2:3) gut verarbeitet hatte. "Wir werden uns alles abschauen, was die Österreicher richtig gemacht haben", hatte der Coach mit Blick auf die 1:3-Niederlage der Nordmazedonier in deren erstem Spiel gesagt. Seine Elf setzte die Vorgabe entschlossen um, drängte den Außenseiter von Beginn an in die Defensive.

Nach einer Flugeinlage von Torwart Stole Dimitrievski setzte Alexander Karawajew den Nachschuss übers Tor (5.), einen tückischen Aufsetzer von Ruslan Malinowski schubste der nordmazedonische Keeper gerade noch vor der Torecke zur Seite (8.), einen Querpass von Jaremtschuk konnte Verteidiger Stefan Ristovski gerade so entschärfen (11.), und eine krumme Bogenlampe von Andrej Jarmolenko faustete Dimitrievski sicherheitshalber aus der Gefahrenzone (23.).

Letztlich musste eine Standardsituation für das Führungstor der Ukraine herhalten: Einen Eckball verlängerte Karawajew, am zweiten Pfosten hatte sich Jarmolenko davongestohlen und drückte die Kugel aus kurzer Distanz über die Linie (29.).

Auch am 2:0 nur fünf Minuten später war der ehemalige Dortmunder maßgeblich beteiligt. Jarmolenko spielte einen Pass durch die Viererkette der Nordmazedonier, die vergeblich auf Abseits spekulierte und Jaremtschuk den Weg frei machte. Der ließ Dimitrievski keine Abwehrchance.

Pandevs Abseitstor weckt den Kampfgeist der Nordmazedonier noch einmal

Alles sah nach einem ungefährdeten Erfolg für Schewtschenkos Mannschaft aus, erst recht, nachdem ein Treffer von Nordmazedoniens Kapitän Goran Pandev, 37, richtigerweise wegen einer Abseitsposition des Altmeisters nicht anerkannt wurde (39.). Und doch schien diese Situation den Kampfgeist des 62. der Fifa-Weltrangliste neu zu wecken. Mit viel Elan startete das Team vom Balkan in den zweiten Durchgang, 90 Sekunden nach Wiederanpfiff prüfte Arijan Ademi den ukrainischen Torwart Georgi Buschtschan.

Weitere acht Minuten später rückte dann der Unparteiische ins Zentrum, als Pandev im Zweikampf mit Karawajew zu Boden ging: Erstmals leitete ein südamerikanischer Schiedsrichter ein Spiel bei einer Europameisterschaft, der Argentinier Fernando Rapallini weilt im Rahmen eines Austauschs zwischen der Uefa und dem südamerikanischen Fußballverband Conmebol bei der EM, dafür wurde der Spanier Jesus Manzano zur parallel stattfindenden Copa Amerika nach Brasilien geschickt.

Abgesehen von einer hanebüchenen Schwalbe des Ukrainers Mikola Schaparenko, die er zurecht mit einer gelben Karte ahndete, war der Referee im ersten Durchgang kaum gefordert, nun entschied er auf Elfmeter für Nordmazedonien und lag damit richtig. Ezgjan Alioski, der wegen seines Disputs mit Marko Arnautovic beim Österreich-Spiel in die Schlagzeilen geraten war, lief an, benötigte aber einen Nachschuss, um den Anschlusstreffer zu erzielen (57.).

Nun war der tapfer kämpfende Außenseiter drauf und dran, die Wende zu schaffen, auch weil die Ukrainer weiterhin Chancenwucher betrieben, etwa als Malinowski unbedrängt zum Schuss kam, den Ball aber direkt auf Torwart Dimitrievski drosch (65.). Dass es auch in der Schlussphase spannend blieb, lag ebenfalls an Malinowski: Der Mittelfeldspieler von Atalanta Bergamo scheiterte sieben Minuten vor dem Ende mit einem Handelfmeter an Dimitrievski.

In der Nachspielzeit vergab dann Aleksandar Trajkovski mit einem Schuss neben das ukrainische Tor die beste Ausgleichsmöglichkeit. Trajkovski hatte vor dem Spiel gesagt, er und seine Kollegen "wollen die Gruppe überstehen und all unsere Fans in der Heimat so stolz machen, dass sie uns auf der Straße feiern". Dieser Herzenswunsch ist angesichts von null Punkten nach zwei Spielen vor der abschließenden Gruppenpartie gegen die Niederlande am kommenden Montag in weite Ferne gerückt. Trainer Igor Angelovski war nach dem Abpfiff dennoch stolz: "In der zweiten Hälfte konnten wir zeigen, wieso wir bei der Europameisterschaft spielen, dass diese Mannschaft Qualität hat und es verdient, hier zu sein. Und wenn dich deine Fans mit einem lauten Applaus verabschieden, heißt es, dass du ein gutes Spiel gemacht hast."

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