DFB-Team vor dem Achtelfinale:Radio Müller funkt auf allen Kanälen

DFB-Team vor dem Achtelfinale: Hat am Samstag einiges zu erzählen: Thomas Müller

Hat am Samstag einiges zu erzählen: Thomas Müller

(Foto: Christof Stache/AFP)

Thomas Müller adressiert vor dem EM-Achtelfinale Botschaften an die ungeduldige Fußballnation und die Kollegen. Die Abteilung Torverhinderung bekommt nicht gerade Komplimente von ihm.

Von Philipp Selldorf, Herzogenaurach

Der Samstag war wohl ein Tag nach Thomas Müllers Geschmack. "Radio Müller" durfte auf allen Kanälen senden. Mittags referierte er auf der DFB-Pressekonferenz, anschließend bediente er die Fernsehstationen, die mit seinen Worten ihre Sportsendungen veredelten. "Magenta TV" würdigte in einer Pressemitteilung nicht nur die gestochene Analyse zur Lage der Nation, sondern auch Müllers souveräne Reaktion auf den im nahen Teich verborgenen Frosch, der aus dem Hinterhalt quakend seine Ausführungen störte. Woraufhin er den Frosch einfach auslachte, selbstredend respektvoll und mit Achtung vor der Kreatur. Müller und der quakende Frosch, da bestehen womöglich sogar Gemeinsamkeiten, wenngleich Frösche selten so durchdacht und hintergründig über Fußball reden, wie das Müller inzwischen regelmäßig zu tun pflegt.

Anfang der Woche hatte das Land verwirrt vernommen, dass der 31 Jahre alte Profi des FC Bayern eine Verletzung erlitten hätte. Müller verletzt, das ist eigentlich nicht möglich, dieser Spieler und sein Sport sind quasi untrennbar verbunden, es gibt ja auch keinen Fisch, der im Wasser ertrinkt. Dennoch beharrte der DFB auf seiner Darstellung von einer Kapselverletzung. Diese äußert sich üblicherweise in Schmerzen, Erwärmung und Schwellungen und kann dem Patienten wenigstens sechs Wochen Genesungsdauer abverlangen. Müller aber hat zwei Tage später beim 2:2 gegen Ungarn wieder auf dem Platz gestanden, und am Samstag teilte er nach dem Vormittagstraining mit, die Sache sei überstanden, "die Kapselverletzung können wir ad acta legen". Ob das der Arzt auch so sieht, das hat Müller nicht gesagt, aber das spielt dann wohl auch keine Rolle, nachdem er selbst den Befund erhoben hat.

Wenn er wolle, dann dürfe er ihn aufstellen, ließ der Münchner den Bundestrainer wissen, und man darf wohl davon ausgehen, dass Jogi Löw von dieser Erlaubnis liebend gern Gebrauch macht. Den schlauen Wettkämpfer Müller kann er gegen die bisher zwar nicht besonders charismatisch auftretende, aber professionell geschulte und schwer zu besiegende englische Elf gut gebrauchen.

"Das 2:2 hat mit dem Achtelfinale nichts zu tun"

Noch unter dem Eindruck des Schreckens am Mittwochabend hatten die deutschen Spieler und der Bundestrainer ihre Freude formuliert, dass der Lohn des Weiterkommens in einer Reise nach London besteht inklusive Besuch im legendären Wembley-Stadion. Selbst der ehrgeizige Mensch Joshua Kimmich vergaß seinen Ärger über die Unzulänglichkeiten und drückte ehrfürchtige Freude aus, obwohl er die alten Geschichten über das Heiligtum des englischen Fußballs allenfalls aus Büchern und TV-Dokumentationen kennt. "In Wembley zu spielen, darauf freue ich mich extrem", setzte Serge Gnabry am Samstag die Elogen fort, und auch Thomas Müller hat sich in Gedanken gern mal wieder in das englische Nationalstadion versetzt, wo er 2013 im Champions-League-Finale gegen Borussia Dortmund garantiert unvergessliche Erinnerungen gesammelt hat. "Wir im Fußballgeschäft versuchen ja grundsätzlich, uns an Dingen festzuklammern, die mal gelungen sind", erläuterte er, aber er stellte auch fest, dass ihm deswegen der Gegenspieler "keinen Meter zusätzlichen Raum" geben werde.

Beim Bemühen, den unruhigen Hergang des Spiels gegen Ungarn zu verstehen, hält Müller einen Blick in die Historie hingegen für hilfreich. Spiele wie dieses gebe es selbst für die erfolgreichsten Mannschaften bei jedem Turnier, er verwies auf den amtierenden Europameister Portugal (der 2016 erst im Halbfinale das erste Spiel in der regulären Spielzeit gewinnen konnte) und auf den ehemaligen Weltmeister Deutschland, der 2014 in Porto Alegre ein nervenzehrendes Achtelfinale gegen Algerien überstehen musste. Das sei "so ein Wunschgedanke" hierzulande, "dass die eigene Mannschaft jedes Spiel überzeugend agiert und den Gegner total dominiert - das funktioniert aber nicht, vor allem nicht in der heutigen Zeit. Auch die kleinen Gegner können in den meisten Spielen dagegenhalten." Klar, man habe sich gegen Ungarn "mehr erhofft als ein wirklich knappes 2:2 - aber das Gute ist, dass das mit dem Achtelfinale nichts zu tun hat. Knappe Ergebnisse gehören dazu. Kritische Analyse ja - aber trotzdem geht's immer vorwärts."

Mit dem Einsatz des Vorwärtsgangs im nächsten Spiel hat sich Müller bereits beschäftigt. Entgegen seiner Natur als offensiver Spieler plädiert er aus der Erfahrung von 1000 Fußball-Schlachten für einen Stil, der die Sicherheit in den Vordergrund stellt. "Was es gegen Ungarn schlecht hat aussehen lassen, das waren die Gegentore. Das wird gegen England auch das Entscheidende sein: Dass wir kein Tor kassieren", sagt er. Die defensive Ordnung scheint ihm Sorgen zu bereiten, sein vorläufiges Turnierfazit ist kein Kompliment an die Abteilung Torverhinderung: "Was auffällig ist, dass wir bei Gegentoren selten in Unterzahl sind, sondern genügend Spieler hinter dem Ball hatten."

Der K.-o.-Modus des Achtelfinales verlange ein anderes Wettkampfverhalten, funkte Radio Müller, ein gewisser Sendungsdrang darf dabei vorausgesetzt werden. Zuletzt sei es "zu selten gelungen, die Null zu halten", findet er, "wir müssen die Offensive der Engländer so gut wie möglich im Zaum halten. Vielleicht haben wir dann auch nur ein, zwei Torchancen, das kann so sein, die müssen wir dann nutzen - oder wir gehen mit 0:0 in die Verlängerung. Es ist auch möglich, ein Spiel knapp zu gewinnen, das ist keine Schande."

Man darf diese Worte durchaus als Plädoyer verstehen. Adressiert nicht nur an die stets ungeduldige Fußballnation, sondern auch an die Kollegen und den Bundestrainer. Die Botschaft lautet: Wembley ist schön - aber Gewinnen ist schöner.

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