Süddeutsche Zeitung

Fußball-EM:Aus 15 Metern am Tor vorbei

Spanien und Schweden bescheren sich gegenseitig das erste 0:0 der EM. Alvaro Morata scheitert besonders kurios vorm Tor - und dürfte Debatten über die Aufstellung von Luis Enrique auslösen.

Von Javier Cáceres

Es ist bald dreißig Jahre her, dass am anderen Ende der Welt die Runde machte, die Weltausstellung des Jahres 1992 werde in Sevilla stattfinden. Im Sommer. Sevilla, das ist eine Stadt in Andalusien, in der es, wie man weit über die Grenzen der Europäischen Union weiß, unfassbar heiß werden kann. Die Chilenen verfrachteten ein Stück Gletscher auf ein Schiff, brachten es über den Atlantik ans Ufer des Guadalquivir und öffneten einen Pavillon, in dem das ewige Eis Kälte verströmte. An Tagen wie dem Montag, da Augenzeugen über Temperaturen von 40 Grad im Schatten berichteten, war der Gletscher vom anderen Ende der Welt eine Labsal. Und eine Gaudi: Natürliche Kühle in wüstenähnlicher Hitze.

Mal jenseits aller klimapolitischen Erwägungen, es war keine so verwegene Idee. Zumindest verglichen mit dem Gedanken, mitten im Juni in Sevilla ein EM-Spiel zu feuern. Heraus kam nämlich in der Gruppe E das vielleicht tempoärmste EM-Spiel der Geschichte. Es endete torlos - und das bedeutete, dass die Tabelle nach dem ersten Spieltag überraschend von den Slowaken angeführt wird, die wenige Stunden zuvor mit 2:1 gegen Polen gewonnen hatten.

Dass die Partie torlos blieb, hatte viel mit der Strategie der Schweden zu tun. Sie verschanzten sich in ihrer eigenen Hälfte und mieden jede schweißtreibende Aktion. Vor allem in der ersten Halbzeit hatten sie in etwa den Bewegungsradius der Sicherheitskräfte, die bei praller Mittagssonne den Außenbereich der ägyptischen Pyramiden bewachen müssen. Erst in der 37. Minute kamen sie vors Tor der Spanier - durch eine völlig missratene Flanke, die Spaniens Keeper Unai Simón über die Querlatte des eigenen Tores lenkte. Aber weil Fußball ein überaus seltsames Spiel sein kann, jagten sie den Hausherren doch noch einen gewaltigen Schrecken ein. Denn: In der 41. Minute tauchte Alexander Isak nach einem feinen Pass von Marcus Berg vor dem Tor der Hausherren auf; seinen Schuss wehrte Verteidiger Diego Llorente so unkontrolliert ab, dass der Ball an den Pfosten und von dort in die Hand von Simón flog.

Die Dominanz gegen die tief stehenden Schweden bleibt weitgehend steril

Ein Tor für die Schweden, es wäre ein ungebührlicher Preis für eine durch und durch passive Attitude gewesen. Die Spanier, die in der vergangenen Woche die Aufregung der Corona-Infektion von Kapitän Sergio Busquets verdauen mussten, hatten in der ersten Halbzeit nicht weniger als 80 Prozent Ballbesitz. Entfernt erinnerte die Partie an das sagenumwobene Spiel der Spanier gegen die Russen bei der WM 2018, wo man den Ball ebenfalls monopolisierte. Der Unterschied zu damals: Die Spanier waren bei aller Gemächlichkeit vertikaler. Und sie kamen vor offiziell 12 517 Zuschauern auch zu Chancen. Mittelfeldspieler Koke ragte unter den Spielern, denen die Hitze nichts auszumachen schien, am meisten heraus, dicht gefolgt von Dani Olmo. Der Leipziger Profi hatte in der 16. Minute nach einer Koke-Flanke eine gute Kopfballchance. Schwedens Torwart Robin Olsen wehrte den Aufsetzer jedoch mit einer Glanzparade ab.

Auch Koke hatte eine gute Gelegenheit (29.), doch sie war nicht annähernd so klar wie jene, die Alvaro Morata vergab. Er stand frei vor Olsen und brachte den Ball aus 15 Metern nicht aufs Tor (38.). Sein Fehlschuss dürfte Debatten über die Aufstellung von Luis Enrique auslösen. Denn dass er Morata aufs Feld schickte und nicht Gerard Moreno vom FC Villarreal - den besten spanischen Stürmer der abgelaufenen Saison der Primera División - war neben der Reservistenrolle für Thiago Alcántara die große Überraschung des Abends.

Die zweite Halbzeit begann mit einem Fauxpas. Schwedens Außenverteidiger Mikael Lustig machte bei einem Ausflug in den spanischen Strafraum seinem Namen alle Ehre - und trat völlig unbedrängt am Ball vorbei (49.). Nach rund einer Stunde machte es Berg nicht sehr viel besser. Isak setzte sich gegen ein Heer aus spanischen Verteidigern durch und flankte auf Berg, der aber alleinstehend den Ball neben das Tor setzte.

Hernach zog Spanien das Tempo zwar wieder an, was auch an der Einwechslung frischer Kräfte lag. Unter anderem kam Thiago. Doch die Dominanz war gegen die tief stehenden Schweden blieb weitgehend steril. Der spät eingewechselte Gerard Moreno kam noch in der 90. Minute zu einem Schuss, den Robin Olsen parierte. In der Nachspielzeit jagte Linksverteidiger Jordi Alba eine Flanke auf Pablo Sarabia, doch er kam nur mit dem Knie an den Ball. Olsen war es ein Leichtes, den Schuss festzuhalten, und den Punkt, der sich für die Schweden besser anfühlte als ein Gletscher im andalusischen Sommer.

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