EM in Russland:Mit der Stimmung steigen die Bedenken

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Das erste Tor: Russlands Alexej Mirantschuk jubelt mit den Kollegen. (Foto: Kirill Kudryatsev/Pool via Reuters)

In den Fan-Zonen wird gefeiert, doch das Virus verbreitet sich weiter: Sollte in Russland noch echte EM-Euphorie ausbrechen, könnte es aufgrund der Corona-Lage zu widersprüchlichen Bildern kommen. Im slowakischen Team gibt es zwei positive Fälle.

Von Sebastian Fischer, Sankt Petersburg

Stanislaw Tschertschessow, Russlands Nationaltrainer, ist ein Mann mit einer berühmten, beeindruckend stoischen Mimik. Ob die Sonne scheint oder es schneit, ob gerade eine Pandemie oder der Weltfrieden ausbricht - man kann sich nur schwer vorstellen, dass er die Miene verzieht. Auch während und nach dem 1:0 seiner Mannschaft gegen Finnland, dem ersten Sieg bei dieser EM, schaute er meist wie immer: die Mundwinkel über dem Schnurrbart und die Augenbrauen zur Mitte leicht nach unten gezogen. Aber er war einmal, nach dem Tor, beim wilden Gestikulieren zu beobachten. In Richtung der mit rund 25 000 Zuschauern gefüllten Tribünen im Stadion in Sankt Petersburg ruderte er mit den Armen.

Belgien bei der EM
:Teufel aus der zweiten Reihe

Wie kann Belgien seinen hohen Ambitionen bei dieser EM gerecht werden? Kevin De Bruyne und Axel Witsel sind vor der Partie gegen Dänemark wieder fit - doch es haben auch vermeintliche Ergänzungsspieler schon für sich geworben.

Von Sebastian Fischer

"Ich hoffe, alle Menschen haben dieses Spiel genossen", sagte er. Im abschließenden Gruppenspiel in Kopenhagen gegen Dänemark am kommenden Montag ist alles noch drin, der Einzug ins Achtelfinale ist möglich. "Das war ein wichtiger Sieg zum richtigen Zeitpunkt", sagte der Torschütze Alexej Mirantschuk. Mit solchen Leistungen, glaube er, bereichere die Mannschaft auch die Fans. Dieser Sieg, er soll das Turnier für Russland nun zum Guten wenden.

Die EM hatte für das in der Vorrunde mit sechs Spielen am prominentesten vertretene der elf Ausrichtungsländer nicht gerade gut begonnen. Die Russen hatten das Pech, zum Auftakt gegen Belgien spielen zu müssen, beim 0:3 hatten sie keine Chance. Tschertschessow musste danach auch darüber sprechen, warum die russischen Fans gepfiffen hatten, als die Belgier als Zeichen gegen Rassismus knieten, und man muss kaum erwähnen, dass die Nachfragen seine Laune nicht gerade verbesserten. EM-Stimmung, die jener Euphorie von 2018 ähnelt, als die Russen bei der Heim-WM bis ins Viertelfinale vordrangen, sie kam noch nicht so recht auf.

Geste ans Publikum: Russlands Trainer Stanislaw Tschertschessow. (Foto: Anaton Vaganov/Pool via Reuters)

Andererseits war aber an der Fan-Zone in Sankt Petersburgs Innenstadt in den vergangenen Tagen einiges los. Menschen, auch Anhänger der Gastmannschaften, lagen sich dort in den Armen, und die Bilder passten wiederum nicht zu den seit Tagen steigenden Infektionszahlen im Land. Wie sehr das Virus noch wütet, bekamen auch die Slowaken zu spüren, die ihr Team-Hotel in Sankt Petersburg haben. Wie Trainer Stefan Tarkovic am Donnerstag bestätigte, haben sich der Spieler Denis Vavro und ein Mitglied des Trainerstabs neu infiziert. Beide befänden sich nun in Selbstisolation.

Seit Donnerstag gelten ein paar neue Einschränkungen, die zwar dem umstrittenen russischen Pandemie-Management entsprechen und nach westlichen Standards bemessen nicht gerade strikt klingen: Restaurants in Sankt Petersburg müssen nachts schließen, zum Beispiel. Aber die Sorge vor der nächsten Pandemiewelle ist in einem Land mit stockender Impfkampagne und wenigen Corona-Tests nicht abwegig. Schon am Mittwoch wurde in den U-Bahnen sowie um und im Stadion mehr als vorher auf die in den Tagen zuvor noch sehr frei interpretierte Maskenpflicht hingewiesen.

In dieser Gemengelage trafen die Russen in ihrem zweiten und letzten Heimspiel während der Gruppenphase also auf den Außenseiter Finnland, der mit einem zweiten Sieg schon sein Fortkommen in die K.o.-Runde hätte sichern können, ein paar Tausend Fans waren dafür über die Landesgrenze gereist. Die russische Mannschaft, vom Anpfiff weg mit mehr Ballbesitz, bestimmte das Tempo des Spiels, das deshalb ein sehr gemächliches war. Schnell und gefährlich wurde es zunächst eher, wenn die Finnen durch die Mitte konterten. Und es war eine umkämpfte Partie, in der Russlands Rechtsverteidiger Mario Fernandes nach 25 Minuten nach einem brutal aussehenden Sturz auf den Rücken auf einer Trage fixiert vom Platz gebracht wurde.

Alle Bälle zu Dsjuba

Russlands Plan ist es stets, den Ball zum Sturmhünen Artjom Dsjuba zu transportieren, der ihn im Strafraum dann ablegt oder abschließt. Das klappte ein paar Mal, oft vergaben er oder seine Kollegen aber die entstanden Chancen und Überzahlsituationen - bis Aleksej Mirantschuk in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit viel Platz im gegnerischen Strafraum bekam und mit einem technisch feinen Abschluss in den Winkel traf.

Es passte gut, um Potenzial und Probleme des Teams zu beschreiben, dass es der Profi von Atalanta Bergamo war, der das Spiel entschied. Der 25-Jährige Mittelfeldspieler, Denis Tscheryschew vom FC Valencia und Alexander Golowin von AS Monaco sind die einzigen Profis im Kader, die außerhalb von Russland spielen. So mancher hält es für ein Problem des hiesigen Fußballs, dass die besten einheimischen Profis eher widerwillig die eigene Liga verlassen, in der sie aufgrund einer Begrenzung auf acht ausländische Profis pro Kader hoch gehandelt werden und gut verdienen, auch wenn eine Anstellung in einer der Top-Ligen im Ausland ihre Entwicklung eher befeuern könnte.

Es sei gut, dass Mirantschuk, der als Russlands derzeit talentiertester Fußballer gilt, mit seinem Transfer von Lok Moskau nach Bergamo 2020 seine "Komfortzone" verlassen habe, obwohl er dort noch kein Stammspieler sei, sagte auch Tschertschessow auf Nachfrage nach der Vita des Torschützen. Der Trainer, 57, einst Torwart bei Dynamo Dresden und in Innsbruck, seit fünf Jahren Nationaltrainer und in Russland eine Werbeikone, war allerdings auch in der Pressekonferenz nach dem Sieg stilecht nicht gerade hervorragend gelaunt. Auf die Frage, warum er zum Spiel überraschend den Torwart gewechselt habe, Matwei Safonow statt Anton Schunin, antwortete Tschertschessow: Er habe den Ersatzkeeper sicherlich nicht auf der Straße gefunden.

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