Die letzte Chance war gut, der Ball lag frei im Strafraum, rund zwölf Meter Torentfernung. Aber es war nicht der Weltfußballer, dem sich diese Gelegenheit bot: Robert Lewandowski forderte vergeblich einen Pass, wie so oft an diesem Abend. Verteidiger Jan Bednarek schoss vorbei. Kurz darauf hatte Polen mit 1:2 (0:1) gegen die Slowakei verloren. Und der beste Stürmer der Welt hatte kaum etwas von seiner Klasse zeigen können.
Lewandowski, der Angreifer vom FC Bayern, ist als bald 33-Jähriger womöglich so gut in Form wie noch nie, und wer die Saison mit 41 Toren beendet, als neuer Rekordschütze der Bundesliga, der erhöht natürlich auch die Ambitionen in der Nationalmannschaft, so könnte man meinen. Andererseits war der größte polnische Erfolg der jüngeren Vergangenheit, das Erreichen des Viertelfinales bei der EM 2016, insbesondere mit den Kollegen des schon damals überragenden Lewandowski zu erklären gewesen, die ihn entlasteten.
Diesmal fehlen in Arkadiusz Milik und Krysztof Piatek die möglichen Sturmpartner verletzt, es fehlt im Kader auch sonst an Spielern von internationalen Top-Klubs. So ruhen die polnischen Hoffnungen praktisch auf Lewandowski allein, und die Slowaken hatten sich darauf eingestellt. Lewandowski schoss in der Anfangsphase zweimal aufs Tor, zweimal wurden die Schüsse abgeblockt. Am Ende der ersten Halbzeit hatte er die wenigsten Ballkontakte aller polnischen Spieler. Am Ende des Spiels hatte er viel auf Bälle gelauert, viele Pässe gefordert, aber kaum welche bekommen. Und wenn, dann hatte er sich nicht durchgesetzt. "Ich bin sehr froh, dass wir einen großartigen Spieler wie Lewandowski neutralisiert haben", sagte Stefan Tarkovic, der Trainer der Slowaken. Und Paulo Sousa, Polens Trainer, sagte: "Lewandowski wurde ein bisschen allein gelassen, besonders in der ersten Halbzeit."
Sein Team war allerdings nicht nur nach vorne berechenbar, weil das Spiel zu sehr vom wichtigsten Mann abhing, Polen war auch nach hinten anfällig. Die Slowakei, als Außenseiter in der Gruppe E mit Spanien und Schweden angetreten, näherte sich bald in Kontern dem Tor. Zunächst traf Ondrej Duda nach einem Dribbling über links mit einem Distanzschuss ans Außennetz, jener Mittelfeldspieler, der gerade mit Köln geradeso in der Bundesliga geblieben ist. In der 18. Minute dribbelte dann, wieder von links, der frühere Nürnberger Robert Mak in den Strafraum. Er traf den Pfosten, doch von da sprang der Ball an den Rücken Wojciech Szczesnys und ins Tor. Der Treffer wurde als Eigentor gewertet, das erste eines Torhüters in der EM-Geschichte.
Zwar kamen die Polen gut aus der Halbzeit, glichen schnell aus, nach einem Treffer von Karol Linetty. Sousas Plan, Lewandowski besser einzubinden, ging nun etwas besser auf, so sah er das jedenfalls. Doch dann schwächten sich seine Spieler selbst: Mittelfeldspieler Grzegorz Krychowiak sah nach einem harmlosen, aber überflüssigen Foul die gelb-rote Karte, eine harte Entscheidung. Und sofort hatte der Favorit wieder Probleme.
Die Slowaken, erst über die Playoffs gegen Nordirland für die EM qualifiziert, sind auch nicht gerade mit Spitzenspielern gespickt. Auch sie haben, vielleicht abgesehen vom ewig mit Irokesenfrisur spielenden, 33 Jahre alten Kapitän Marek Hamsik, der einst beim SSC Neapel seine besten Jahre verbrachte, nur einen echten herausragenden Fußballer. Verteidiger Milan Skriniar ist mit Inter Mailand italienischer Meister geworden. Er war es, der die wichtigen Zweikämpfe gegen Lewandowski gewann. Und mit einem Gewaltschuss im Anschluss an eine Ecke schoss er das Siegtor.