Süddeutsche Zeitung

Spaniens Talent Pedri:Eine Sensation? Oh ja!

Überragende Ausdauer, magische Bewegungen und das Gesicht eines Balljungen: Der 18-jährige Pedri löst in Spanien enorme Begeisterung aus.

Von Javier Cáceres, Sankt Petersburg

Die Kanarischen Inseln sind mit beneidenswert mildem Klima und mit Sonne gesegnet; die Durchschnittstemperaturen bewegen sich übers gesamte Jahr betrachtet zwischen 14 und 22 Grad. Und doch gibt es auf jeder der sieben Inseln Ecken, wo einem kalt werden (und es im Winter sogar schneien) kann. Zum Beispiel Tegueste, ein knapp 500 Meter über dem Meeresspiegel gelegener 11 000-Einwohner-Ort im Nordosten Teneriffas, wo die jüngste Sensation der spanischen Nationalmannschaft geboren wurde: Pedro González López, genannt Pedri. Eine Sensation? Oh ja. Noch immer gilt, was Manuel Rodríguez Marrero, Nachwuchstrainer bei der Unión Deportiva Las Palmas, wo Pedri in der Jugend spielte, Ende letzten Jahres der Zeitung El País sagte: "Je länger du ihm zuschaust, desto mehr neue und gute Dinge siehst du bei ihm."

Bei dieser EM hat man Pedri erstaunlich lange zusehen können. Erstaunlich deshalb, weil er erst 18 ist - und doch jede einzelne Minute der vier Partien der Spanier gespielt hat, auch aus dem Viertelfinalspiel gegen die Schweiz am Freitag in Sankt Petersburg (18 Uhr) nicht wegzudenken ist. Beim Auftaktspiel (0:0 gegen Schweden) wurde er der jüngste Spanier, der je das Trikot der Auswahl bei einem Turnier trug, danach legte er auch gegen Polen, die Slowakei und gegen Kroatien eine Sicherheit an den Tag, die in dem Alter alles andere als selbstverständlich ist. Spieleübergreifend errechneten die Statistiker für ihn bei 326 Pässen eine Erfolgsquote von 91 Prozent.

Nervös wurde er nicht einmal, als er gegen Kroatien seinen Anteil am spektakulär beschämenden Eigentor der Spanier zum 0:1 hatte. Es wurde Pedri gutgeschrieben - als einziger Torschuss des bisherigen Turniers -, weil der eigentliche Sünder, Torwart Unai Simón, den Ball nur berührt, aber nicht erkennbar abgefälscht hatte. Die Aktion hatte etwas von jenen Comics, bei denen die Figuren auf der Schale einer Banane ausrutschen, für ihre kanarische Variante macht Pedri seit einigen Wochen Werbung. "Ich war traurig, für Unai und für mich", hat Pedri nun in einem Interview gesagt. "Aber es ging darum, kühlen Kopf zu bewahren."

"Ein Spektakel!", rief Barça-Legende Xavi Hernández aus, nachdem er Pedri zum ersten Mal gesehen hatte

Das gelang dem offensiven Mittelfeldspieler in durchaus beeindruckender Form. Vor allem eingedenk dessen, dass es kaum ein Jahr her ist, dass Pedri beim FC Barcelona sein bestauntes Erstligadebüt gefeiert hatte. "Wo kommt der denn auf einmal her, dachte ich, als ich den beim FC Barcelona gesehen habe. Ein Spektakel!", rief die Barça-Legende Xavi Hernández vor ein paar Monaten im SZ-Interview. Die genauere Antwort müsste lauten: aus dem Kühlschrank.

An einer Schlucht namens Agua de Dios, zu Deutsch: das Wasser Gottes, liegt der Kunstrasenplatz des CD Tegueste, er ist mit einer kraftlosen Lichtanlage ausgestattet und hat an einer Ecke ein kleines Schlagloch, das besorgte Eltern fürchten. Die Eltern sind es, die den Platz "la nevera" tauften, "den Kühlschrank", weil es dort schon mal (für kanarische Verhältnisse, versteht sich) eisig zieht, wenn sie den Buben zuschauen. Pedri ging dort bolzen, nachdem er in der Tasca des Vaters Fernando zu Mittag gegessen hatte. Kanarische Hausmannskost, die im Dorf sehr geschätzt wurde, so dass auch einige Kinder aus seiner Klasse dort regelmäßig zu Mittag aßen statt den Fraß in der Schulkantine hinunterzuwürgen. Zuletzt war sie geschlossen - wegen Covid. Irgendetwas muss das Essen gehabt haben. Eine gleichaltrige Klassenkameradin namens Lucía Fleta sortiert gerade Angebote aus der NCAA, der College-Basketballliga der USA - nachdem sie als Stipendiatin in der dortigen Junior-College League Aufsehen erregt hatte. Pedri hatte es - bereits mit 15 Jahren - fortgezogen. Auf die Nachbarinsel Gran Canaria, zum Zweitligisten Unión Deportiva Las Palmas, was die tinerfeños doppelt schmerzt. Denn dort, auf der in vielfacher Hinsicht als Rivalin betrachteten Nachbarinsel, gehen junge Talente nicht so unter wie bei CD Tenerife.

Erst in Las Palmas konzentrierte sich Pedri völlig auf den Fußball. Zuvor hatte er sich auch der Leichtathletik gewidmet. Er lief die 800 und 3000 Meter, 4x400-Meter-Staffeln, solche Dinge. Prägend war das allemal, seine Ausdauer ist überragend. Sein Eigentorpartner Unai Simón nennt ihn scherzhaft "Diesel", nur der Österreicher Marcel Sabitzer (12,2 Kilometer) und der Schwede Albin Ekdal (11,8) haben im Schnitt größere Strecken zurückgelegt als der schmächtig wirkende Pedri. Nur: Weder Sabitzer noch Ekdal haben die magischen Bewegungen Pedris. Sie erinnern an die spanischen Weltmeister Iniesta oder Xavi, Ikonen des FC Barcelona.

"Er wird einer der besten Spieler der Geschichte Spaniens werden", sagt Stürmer Álvaro Morata

Deren Fußball hat er aufgesogen, wie er überhaupt ein glühender Anhänger Barças ist. Sein Großvater hat einen Fanklub in Tegueste gegründet. Gleichwohl wäre er fast beim Erzrivalen Real Madrid gelandet. Der Trainer der ersten Mannschaft von UD Las Palmas, Pepe Mel, der wiederum eingefleischter Real-Fan ist, hatte ihn den Madrilenen empfohlen. Pedri flog aufs Festland, spielte in Real Madrids Sportstadt in Valdebebas vor und wurde - "zum Glück", wie er selbst einmal gesagt hatte - wieder weggeschickt. Es schneite in Madrid, das schlug auf seine Leistung durch. Später erst flog Barcelonas Betzenberg-Held von 1991, José María Bakero, zu einem Spiel der Unión Deportiva gegen Betis Sevilla ein - und war umgehend begeistert. Nun spielt Pedri an der Seite von Lionel Messi.

Pedri hat noch immer das Gesicht eines Balljungen, aber schon 37 Erstligaeinsätze hinter sich - und nun auch acht Länderspiele. Gegen Kroatien war er einer von fünf Spielern aus der Startelf, die keine zehn Länderspiele haben, zwei weitere haben keine zwanzig, und als Trainer Luis Enrique nach der Partie die Hoffnung äußerte, die Mannschaft könne erwachsen geworden sein, meinte er das gewiss nicht auf Pedri bezogen. Wenn er ihn sehe, halluziniere er, sagte Stürmer Álvaro Morata. Es gebe Spieler, die eine Zeit brauchen, um mit dem Druck klarzukommen, aber "Pedri spielt, als wäre er 40 Jahre alt". Es gebe wenige, die eine solche Persönlichkeit und Haltung haben, "er wird einer der besten Spieler der Geschichte Spaniens werden", sagte Morata. Zumindest aber hat er beste Optionen, zum Rookie des Turniers gewählt zu werden. Wobei ein Sieg gegen die Schweiz wohl helfen würde.

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