Gianluigi Donnarumma bei der EM:Superman im Panzertor

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Selten Gelegenheit, sich auszuzeichnen: Italiens kaum beschäftigter Torwart Gianluigi Donnarumma bei der EM in Aktion.

(Foto: Buzzi/Imago)

Italiens Gianluigi Donnarumma könnte gegen Österreich eine historische Zu-Null-Serie knacken. Trotzdem verehren ihn die Fans weniger als seinen Vorgänger Buffon.

Von Oliver Meiler, Rom

Kommt nichts dazwischen, dann hat Gianluigi Donnarumma aus Castellammare di Stabia bei Neapel noch zwei Jahrzehnte Karriere vor sich, wahrscheinlich auf höchstem Niveau, im Verein und in der Nationalmannschaft. "Posto fisso", wie die Italiener sagen würden, feste Anstellung, der Traum schlechthin. Wenn man die Geschichte mal hypothetisch durchrechnet, könnte er auf weit über 200 Länderspiele kommen, das wäre schon allerhand. Donnarumma ist nämlich erst 22 - und schon seit sechs Jahren Profi. Er steht in der Tradition ganz großer italienischer Torhüter, und die werden in aller Regel alt in ihrem Beruf. Dino Zoff ging mit 41 Jahren in Pension. Gianluigi Buffon hängt mit 43 nun noch zwei Saisons bei seinem Jugendverein Parma an - als Stammspieler in der Serie B, romantisch und nostalgisch.

Zwischen "Gigi" Buffon und "Gigio" Donnarumma, den beiden wohl berühmtesten Gianluigis der Gegenwart, liegt nur ein niedliches Ruf-o. Buffon nennt seinen Nachfolger in der Nationalmannschaft "Gigione", weil Donnarumma so groß und wuchtig ist, ein Bär von einem Mann. Doch in Italien finden sie, in Wahrheit lägen Welten zwischen den zwei Herren. Am vergangenen Sonntag, im Spiel der Azzurri gegen Wales (1:0), wurde Donnarumma eine Minute vor Schluss ausgewechselt, damit auch die Nummer zwei im Team, der Sarde Salvatore Sirigu, noch kurz auf dem Rasen stehen durfte. Wieder hatte er das Tor sauber gehalten. Italien steht nun bei elf Spielen in Serie ohne Gegentore, der alte Weltrekord von Dino Zoff von 1143 Minuten aus den frühen Siebzigerjahren liegt nur noch 89 Minuten entfernt. Übersteht Donnarumma nun auch noch die reguläre Spielzeit des Achtelfinales gegen Österreich im Londoner Wembley (Samstag, 21 Uhr), dann fällt Zoffs ewig gewähnte Marke.

Donnarumma näherte sich also vorigen Sonntag der Seitenlinie, wo Sirigu auf ihn wartete, und plötzlich zerrissen Pfiffe die sonst so euphorisch aufgeladene EM-Stimmung im Stadio Olimpico in Rom. Aus dem Nichts, wie von einem Kratzer in der Schallplatte. Wie viele Zuschauer genau es waren, die Donnarumma unflätig herauskomplimentierten, ist nicht so klar, aber zu überhören waren sie nicht. "Niemand hätte Buffon ausgepfiffen", schrieb die Gazzetta dello Sport - "nie!" Doch die Pfiffe gegen den Erben haben mit dem nicht ganz unbescheidenen Selbstverständnis von Donnarumma zu tun - und von dessen Berater Mino Raiola, der in einem früheren Leben in einer Pizzeria gearbeitet hat.

Als "Gigio" ein Kind war, so erzählte er es einmal, beklagten sich die Eltern von Kindern gegnerischer Mannschaften immer darüber, dass er, der Torwart, unmöglich gleichaltrig sein könne. Donnarumma war früh schon sehr robust gebaut, mit 10 war er zwei Köpfe größer als alle anderen. Seine Mutter zeigte den anderen Eltern dann die Identitätskarte ihres Sohns, um die Gemüter auf den Bolzplätzen rund um den Vesuv zu besänftigen. In der Jugend wechselte Donarumma zum AC Mailand, mit 16 gab er sein Debüt in der Serie A. Nun hat er bereits 215 Meisterschaftsspiele absolviert.

"Dollarumma", so nennen ihn seine Kritiker schon seit einer Weile

Trotz seiner imposanten Erscheinung: Donnarumma fliegt elegant durch die Strafräume des Landes, ein bisschen wie ein Oversize-Superman. Auch mit den Füßen ist er ordentlich gelenk. Er denkt das Spiel mit, wie ein zeitgemäßer Keeper. Vor allem aber trägt er eine phlegmatische Ruhe mit sich herum, wie sie sonst nur Routiniers zum Karriereende gegeben ist.

Fast jedes Jahr trieb Mino Raiola Milan in den Wahnsinn mit immer neuen Gehaltsforderungen für seinen Schützling. Die Gier dieses Agenten für sich selbst und seine Kunden hat in der Branche mittlerweile sprichwörtliche Dimensionen erreicht. 2017 schaffte Raiola es, dass Milan auch "Gigios" Bruder, Antonio Donnarumma, verpflichtete. Auch Antonio ist Torwart, Nummer drei im Team, heute 30. Antonio verdient offenbar eine Million Euro im Jahr, dabei hat er in der Serie A noch nie gespielt.

Wenn Raiola verhandelte, meist monatelang, begleitet von Gerüchten und fein gestreuten Fake News, wurde der gute Donnarumma von den Medien immer wieder gefragt, wie es denn gerade stehe. "Forza Milan", pflegte er jeweils zu antworten, "ich trage diese Farben in meinem Herzen, seit ich denken kann." Aber das Herz ist offenbar nicht blind. Seit der bislang letzten Vertragsverlängerung kassierte Donnarumma sechs Millionen Euro im Jahr, eine Menge Geld für einen so jungen Mann. Milan wäre bereit gewesen, noch mal zwei draufzulegen - acht Millionen, mehr war einfach nicht drin in den Zeiten pandemiebedingt leerer Kassen und roter Bilanzen. Doch Raiola forderte mindestens zehn, besser zwölf.

Nun wechselt "Dollarumma", wie ihn seine Kritiker schon eine Weile nennen, vermutlich zum katarisch geführten Paris Saint-Germain, das aus bekannten und dennoch nicht ganz leicht nachvollziehbaren Gründen angeblich zwölf Millionen Euro Jahressalär offerieren kann - für fünf Jahre. "Gigio" verließ das Hotel der Azzurri diese Woche für medizinische Tests, der Arzt von PSG kam nach Rom geflogen. Dabei ist nicht einmal sicher, ob Donnarumma sich in Paris gegen den bisherigen Stammtorwart, Keylor Navas, durchsetzen wird. Paris ist also weder eine romantische noch eine wirklich sportliche Wahl. Deshalb die Pfiffe im Olimpico, sie kamen wahrscheinlich von enttäuschten Milanisti mit präventivem Phantomschmerz.

Drei EM-Spiele, vier gegnerische Schüsse: Italiens Abwehr macht es dem Torwart leicht

Über die Klasse "Gigios" diskutiert nämlich niemand. Und dennoch: Seine Vorderleute in der Nationalelf machen ihm das Tor-Hüten auch sehr einfach. In den drei Gruppenspielen dieser EM musste sich Donnarumma nur gegen vier Torschüsse wehren, wovon zwei höchstens halbrelevant waren. Vier Schüsse in 270 Minuten - daher erhielt Donnarumma nicht immer Leistungsnoten von den Sportzeitungen, weil er schlicht zu wenig am Spiel beteiligt war.

Italien hat ja legendär gute Hintermannschaften, in einem Gedankenblitz poppt eine Fülle prominenter Verteidigernamen auf, eine unvollständige Liste aus den vergangenen vier Jahrzehnten: Gaetano Scirea, Claudio Gentile, Antonio Cabrini, Beppe Bergomi, Franco Baresi, Paolo Maldini, Fabio Cannavaro. Die heutigen Vertreter in der Abwehr heißen Leonardo Bonucci, Giorgio Chiellini, Francesco Acerbi und Alessandro Bastoni, sie stehen in der alten Erblinie - und sie stehen auf dem Feld viel höher als ihre Vorgänger, nahe am Mittelfeld, der Vormauer. Ein Doppeldamm ist das mit schnellen Läufern auf beiden Flanken. Alle stürmen bei Trainer Robert Mancinis Italien - und keiner ist sich zu schade zu verteidigen.

"Bunker azzurro", titelte eine Zeitung. "Porta blindata", Panzertor, eine andere. Gemeint ist die weite Zone vor dem eigenen Strafraum. So fällt Donnarumma das Reinhalten des Kastens etwas einfacher. Seit Mancini Commissario Tecnico ist, hat Italien in 34 Spielen nur 14 Tore zugelassen - Quote: 0,41. Und das Team schoss selbst deren 85, im Schnitt also 2,5 - Offensive ist ja die beste Defensive.

Dino Zoffs Serie übrigens endete bei der WM 1974, am 15. Juni im Münchner Olympiastadion - gegen Haiti, ausgerechnet, das damals sein erstes Tor bei einer Endrunde erzielte. 47 Jahre ist es her, fast auf den Tag.

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