Italien gegen Österreich:Mit Austropop nah dran am Wunder

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Am Ende unglücklich: Österreichs Kapitän David Alaba (r.) und seine Kollegen. (Foto: Andy Rain/Reuters)

Österreichs Nationalelf hält im dramatischen Achtelfinale gegen Italien bis zur Verlängerung mit. Doch dann entscheiden zwei Einwechselspieler die Partie im Wembley-Stadion - es gibt Tränen und einen Weltrekord.

Von Sven Haist, London

Nach den Treffern der eingewechselten Federico Chiesa und Matteo Pessina hielt die Italiener nichts mehr auf ihren Positionen. Der Großteil des Nationalteams lief quer über den Platz zu den Torschützen und die Fans feierten auf den Tribünen des Wembley-Stadions eine "Notte Magica", wie die magischen Nächte in Italien genannt werden. Nur Roberto Mancini, der Commissario Tecnico, verweilte lieber in seiner Trainerzone und jubelte mit dem herbeigerannten Torwart Gianluigi Donnarumma, der wiederum gleich doppelt zu feiern hatte.

Es war knapp, aber durch das 2:1 (2:0; 0:0) nach Verlängerung über Österreich im EM-Achtelfinale zieht Italien in die Runde der acht besten Nationen ein und trifft am Freitag in München entweder auf Europameister Portugal oder Mitfavorit Belgien. Und der hoch gehandelte Donnarumma, 22, brach den Uraltrekord seines Landsmanns Dino Zoff. Zwischen 1972 und 1974 blieb der Torwart "Dino Nazionale" 1143 Minuten ungeschlagen, seinem Nachfahren gelangen nun 1168 Minuten ohne Gegentor.

Marko Arnautovic weint bittere Tränen

Mit jetzt 31 unbesiegten Länderspielen in Serie hält das Dolce-Vita-Leben der Italiener auf der internationalen Fußballbühne an, während Österreich das erstmalige Erreichen des Viertelfinales nach dem erstmaligen Erreichen des Achtelfinales verpasste. Der nach 97 Minuten ausgewechselte Marco Arnautovic weinte bittere Tränen, sein vermeintlich entscheidendes Tor (65.) wurde durch den Videoassistenten wegen Abseits wieder einkassiert.

Der Anschlusstreffer des für ihn neu ins Spiel gekommenen Sasa Kalajdzic (114.) kam zu spät, nachdem die frischen Kräfte der Italiener, Chiesa (95.) und Pessina (105.), unmittelbar zuvor getroffen hatten. Nach regulärer Spielzeit stand es 0:0, woran einzig Donnarumma wohl Gefallen gefunden haben dürfte.

Noch mal weitergezittert: Italiens Torschütze Federico Chiesa (l.) feiert mit seinen Mitspielern. (Foto: Frank Augstein/AFP)

Zur Feier des Tages hatten die österreichischen Medien am Spieltag mit beneidenswert lässiger Attitüde die eigene Bevölkerung auf das "Jahrhundertspiel" (Hitradio Ö3) eingestimmt. Die Alpenrepublik sah sich im Duell mit dem Landesnachbarn als krasser Außenseiter. "Glaubt an das Wunder", titelte das Massenblatt Krone und der Kurier sehnte zwar keine "Notte Magica" herbei, aber zumindest mal eine "Notte Italiana": eine italienische Nacht.

Das Hitradio Ö3, drittes Hörfunkprogramm im Österreichischen Rundfunk, konnte den Anpfiff um 21 Uhr gleich gar nicht mehr erwarten. Schon um sechs Uhr morgens startete der Sender seinen "Ö3-Supersamstag", zum Frühstück wurde ein Beitrag über Nationaltorwart Daniel Bachmann serviert, den "Lokalmatador in London", wie ihn Ö3 nannte, weil Bachmann, 26, als Schlussmann des FC Watford aus der zweitklassigen Championship in der abgelaufen Saison der Aufstieg in die Premier League gelang.

Fußball-EM
:Italien ringt Österreich nieder

Die österreichische Nationalmannschaft hält im Achtelfinale überraschend mit Italien mit. Es geht in die Verlängerung - Italien trifft zweimal, Österreich nur einmal.

Zur Mittagszeit ging das Hitradio dann für den Rest des Tages über zum "Fußball-Fest", das fast für jeden Geschmack ein kleines Schmankerl bereit hielt. Die Italo-Hörer kamen mit Più bella cosa des Schmusesängers Eros Ramazotti auf ihre Kosten - und die Österreicher selbst wurden vom rasenden Reporter Adi Niederkorn verwöhnt. Als einer der wenigen Landsleute nahm er die mit Quarantäne verbundene Reise nach London auf sich.

Eine halbe Stunde vor Anpfiff schilderte Niederkorn in seiner Schalte, dass er "nicht viel rot-weiß-rot" im Wembley sehen würde - außer "den roten Sitzen" im mit nur 18 910 Zuschauern dürftig besetzten englischen Nationalstadion. Auf der Insel fand die Partie bis auf die Erwähnung des heimischen Schiedsrichters Anthony Taylor kaum Anklang; die Times widmete dem Spiel nicht mal einen Artikel in der zwölfseitigen Sonderbeilage "The Euros".

Dafür lief während Niederkorns Liveschalte der Ohrwurm "I am from Austria" des Liedermachers Rainhard Fendrich. Niederkorn fand, dass diese inoffizielle Nationalhymne des Landes wenigstens für ein "bisschen Stimmung" im Stadion sorge. Die Regie blendete dazu auf den Videomonitoren den Untertitel im Originalakzent ein, wodurch einem tatsächlich strophengemäß kurzzeitig "des Eis von der Sö" schmolz "wia von am Gletscher im April".

Beim Knaller von Ciro Immobile hilft das Lattenkreuz

Sowohl der österreichische Fußball als auch der Austropop-Klassiker haben wahrlich einen weiten Weg hinter sich, bis beide nun erstmals im neuen Wembley gemeinsam performen durften. Am selben Ort hatte Österreich zuletzt vor 48 Jahren, 1973, ein Testspiel bestritten, Ergebnis gegen England: 0:7. Ganz so schlimm wurde es diesmal nicht, das deutete sich bereits nach einer Minute an, als sich Arnautović für sein rüdes Einsteigen die gelbe Karte abholte. Damit war geklärt, ob er die Nachwirkungen einer verschleppten Muskelverletzung im Oberschenkel überstanden hatte.

Die Elf von Trainer Franco Foda hielt nach Leibeskräften dagegen, so dass nicht mal die kritischen Altinternationalen (wovon Österreich neben Herbert "Schneckerl" Prohaska, Toni Polster und Andreas Herzog noch einige mehr zu bieten hat) in ihren Fernsehanalysen etwas zu kritisieren hatten.

Im Mittelfeld bestimmten zwar die Italiener Marco Verratti (Paris Saint-Germain) und Jorginho (FC Chelsea) die Partie gegen die österreichischen Bundesliga-Legionäre Marcel Sabitzer (RB Leipzig), Florian Grillitsch (TSG Hoffenheim) und Xaver Schlager (VfL Wolfsburg), doch nur zweimal wurde es eng: Jorginhos Flachschuss (17.) parierte ÖFB-Torwart Bachmann mit dem Fuß, beim Knaller von Mittelstürmer Ciro Immobile half das Lattenkreuz (32.).

Mit zunehmender Spieldauer stieg die Nervosität der Italiener vor einer schwerwiegenden Niederlage an. In einer zerfahrenen und ereignisarmen Partie streichelte Alaba den Ball bei einem der wenigen Höhepunkte nach einem Freistoß aufs Tordach (52.) und Arnautovic erzielte kurz darauf seinen aberkannten Treffer - der "im Jahrhundertspiel" für Österreich wohl "zum Jahrhunderttor" geworden wäre, wenn er denn gezählt hätte.

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