Französische Nationalelf:Trist ist chic

Fußball EM - Frankreich - Deutschland

Ein grätschender Künstler: Antoine Griezmanns kämpferischer Einsatz gegen Thomas Müller steht für die Grundausrichtung der französischen Elf.

(Foto: Christian Charisius/dpa)

Mit seiner Hauptsache-gewinnen-Taktik wirkt Frankreichs Trainer Didier Deschamps vielleicht nicht stilbildend. Aber sein Team könnte für die Gegner "unspielbar" werden.

Von Claudio Catuogno

Auch ein Fußballspiel zwischen Deutschland und Frankreich dauert 90 Minuten, aber es wurzelt in einer jahrzehntelangen Vorgeschichte aus anderen Fußballspielen zwischen Deutschland und Frankreich. Und deshalb ist den Franzosen die Ironie nicht entgangen: Mats Hummels als einziger Torschütze! Wie 2014, im Viertelfinale von Rio de Janeiro! Die Sportzeitung L'Équipe druckte in ihrer Mittwochsausgabe noch mal den jubelnden jungen Hummels aus dem Maracanã neben dem alten Hummels in der Arena in Fröttmaning, wie er wieder mit enormer Wucht den Ball ins Tor befördert, nur diesmal nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Schienbein, und auch nicht in das Tor der Franzosen.

Ansonsten war am Tag nach dem 1:0 der Bleus im EM-Auftaktspiel von München allerdings weniger das Jahr 2014 die Referenzgröße als das Jahr 2018: der Weltmeistertitel in Russland. Wenn man hinterher dem Trainer Didier Deschamps zuhörte, war da schon wieder dieser vertraute Sound eines Mannes, der sich nicht dafür rechtfertigen will, dass der Erfolg über allem steht, im Zweifel auch über der Ästhetik.

"Große Dichte, wenig Platz", so habe man gegen die Deutschen mal wieder die Zentrale organisiert, "wir haben immer diese Möglichkeit, in schwierigen Situationen vereint zu bleiben und die Dinge gemeinsam zu lösen." Sicher, "in technischer Hinsicht können wir mehr" - aber "die Spieler haben mit Engagement und Entschlossenheit meine Erwartungen erfüllt. Ich wusste, dass sie bereit waren. Auf diesen Moment haben wir anderthalb Jahre warten müssen, jetzt haben wir die richtige Antwort gefunden."

Die Deutschen hätten zwar öfter den Ball gehabt, die Franzosen seien aber effizienter gewesen. "Fußball", sagte Didier Deschamps, "heißt effizient zu sein. Das werde ich immer schätzen und genießen."

Deschamps verteilt Komplimente an Löw

Die Frage, ob Frankreichs Elf in irgendeiner Hinsicht ein stilbildender Weltmeister sei, abgesehen von den begnadeten Einzelkönnern, die auf dem Platz ein unerbittliches Kollektiv bilden, sie begleitete Deschamps schon vor drei Jahren in Russland durch das Turnier. Am Ende lautete Deschamps' Antwort: "Sind wir ein schöner Weltmeister? Wir sind Weltmeister." Und als sei in den drei Jahren seither nichts passiert, setzte die Analyse nach dem 1:0 (1:0) vom Dienstagabend nahtlos dort an: "Es wird immer Feinschmecker geben", schrieb etwa die Tageszeitung Le Monde, "die sagen, dass es an einem klar definierten Stil mangelt." Aber dieses Team sei eben kurz davor, für seine Gegner "unspielbar" zu sein.

Da konnte Deschamps hinterher noch so viele Komplimente verteilen an sein Gegenüber Joachim Löw, von einem "Kampf der Titanen" reden und von einer Partie auf beiderseitig "sehr hohem Niveau". Letztlich blieb der Eindruck, dass zwar die Gastgeber häufig den Ball kontrollierten, die Gäste allerdings das Geschehen. Dass es am Ende einen deutschen Innenverteidiger brauchte, um den Ball über die Linie zu befördern, passt gut ins Bild des Deschamps-Credos vom Gewinnen, egal wie.

Man hätte ja durchaus erwarten können, dass nach diesem EM-Auftakt auch von Spielkunst und Schönheit die Rede sein würde: Welche Mannschaft hat das Glück, Kylian Mbappé, Karim Benzema und Antoine Griezmann zum vielleicht atemberaubendsten Offensivtrio des Fußballuniversums zusammenbinden zu dürfen? Welche hat ein Mittelfeld, in dem sich der schlaue Dauerläufer und Bälleklauer N'Golo Kanté und der unkonventionelle Sprinter und Bälleverteiler Paul Pogba so genialisch ergänzen?

Französische Nationalelf: Überwanden die deutsche Abwehr, aber nicht das Abseits: Karim Benzema (li.) und sein kongenialer Sturmpartner Kylian Mbappé.

Überwanden die deutsche Abwehr, aber nicht das Abseits: Karim Benzema (li.) und sein kongenialer Sturmpartner Kylian Mbappé.

(Foto: Franck Fife/AFP)

Löw klingt kurz wieder wie ein Feinschmecker

Dass all dieses Talent und Können nicht in einem französischen Offensivfeuerwerk mündete, dürfte den Deutschen Genugtuung verschaffen. Joachim Löw hatte das sogar antizipiert, als er vor der Partie im ZDF sagte, "Automatismen" seien bei Deschamps' Franzosen jetzt "nicht so viele zu erkennen" - dafür würden sie eben vieles über die individuelle Klasse lösen. Da klang der Bundestrainer - der doch zuletzt selbst auffällig oft die Opferbereitschaft seiner Spieler beschworen hatte - kurz wieder wie einer jener Feinschmecker, dessen ästhetischen Ansprüchen Deschamps' Hauptsache-gewinnen-Taktik leider nicht gerecht wird.

Allerdings gehört zur Wahrheit auch: Zwei spektakulär herausgespielte Treffer durch Mbappé (66.) und Benzema (85.) wurden vom Videogericht richtigerweise storniert, beiden Toren war eine Abseitsposition vorangegangen. Und dass ihnen nach einer Grätsche von Mats Hummels gegen Mbappé (78.) ein Elfmeter zugestanden hätte, davon waren Les Bleus auch noch überzeugt. Das Spiel hätte also auch 4:0 ausgehen können - dann würde man jetzt nicht nur in Sachen Kompaktheit das französische Gesamtkunstwerk feiern. Vielleicht ja in einer der kommenden Partien. Vorerst bleiben diese Franzosen für ihre Gegner vor allem "eine weite Ebene" (L'Équipe): weder schön noch abwechslungsreich, aber halt auch kein Baum weit und breit, von dem es für ihre Gegner etwas zu ernten gäbe.

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