EM 2021:Das politisierte Turnier

SOCCER - UEFA EURO, EM, Europameisterschaft,Fussball 2020 BUCHAREST,ROMANIA,13.JUN.21 - SOCCER - UEFA European Champions

Nicht das erste Politikum des Turniers: Österreichs Marko Arnautovic.

(Foto: Christian Walgram/imago/GEPA)

Umstrittene Spielorte, Streit ums Ukraine-Trikot und ein fehlendes N in Nordmazedoniens Wappen: Der Grundsound der EM ist extrem politisch - das untermalt nun auch der Fall Arnautovic.

Von Johannes Aumüller

Noch herrscht ein großes Rätselraten um den eigentlichen Anlass der ganzen Aufgeregtheit. Was genau hat der Österreicher Marko Arnautovic gesagt nach seinem Tor zum 3:1-Endstand gegen Nordmazedonien? Ein paar "hitzige Worte in der Emotion des Spiels, für die ich mich entschuldigen möchte", waren es nach Darstellung des Angreifers; ein "nationalistischer Ausbruch" war es nach Meinung des nordmazedonischen Verbandes. In jedem Fall war es offenkundig so unpassend, dass sich der Münchner Abwehrspieler David Alaba gezwungen sah, Arnautovic so beherzt an den Kiefer zu packen, als sei er nicht sein Mitspieler, sondern sein Pappenschlosser, wie sie im Österreichischen etwas despektierlich zum Zahnarzt sagen.

Es ist richtig, dass sich nach kurzer Verzögerung nun auch das zuständige Gremium von Europas Fußball-Union (Uefa) der Sache annimmt. Vorschnelle Urteile sind unangebracht, es muss erst noch geklärt werden, ob Arnautovic' Worte nationalistisch, rassistisch, beleidigend oder nichts von alledem waren. Aber indem der nordmazedonische Verband hier eine offizielle Protestnote an die Uefa formulierte und einen "nationalistischen Ausbruch" des früheren Bremer Angreifers monierte, untermalt die Causa automatisch einen Grundtenor des Turniers: wie politisch und politisiert die Europameisterschaft ist.

Es ist grundsätzlich natürlich keine neue Erkenntnis, dass sich politische und gesellschaftliche Konflikte auch und gerade im Fußball spiegeln. Und wenn man sich so umschaut, wie die Uefa ihr Paneuropa-Turnier aufgestellt hat, ist eine politische Eskalation fast naheliegend. Das autoritäre Regime in Aserbaidschan darf trotz zahlreicher und steigender Menschenrechtsverletzungen Gastgeber sein. Russland wird trotz seines Verhaltens im sportpolitischen (jahrelanges Staatsdoping) wie im politischen (Krim, Nawalny) Bereich geadelt, indem Sankt Petersburg zum zentralen Spielort der Vorrunde aufsteigt. Und als Sponsoren fungieren von Gazprom bis zu Qatar Airways viele, welche umstrittene Regime aus Russland, Katar und China repräsentieren.

Der größte Polit-Clash wäre wohl ein Viertelfinale zwischen Russland und der Ukraine in Sankt Petersburg

Gleichwohl ist auffällig, wie geballt eine Politisierung durch die Teilnehmer erfolgt. Da war der Streit um die Gestaltung des ukrainischen Trikots, über die sich der russische Verband bei der Uefa beschwerte. Das Ergebnis: Die Silhouette, die eine Karte der Ukraine inklusive der von Russland völkerrechtswidrig annektierten Halbinsel Krim beinhaltet, darf bleiben, der Spruch "Ruhm unseren Helden" auf der Krageninnenseite nicht.

Danach wandte sich der Sportminister von Griechenland, das fürs Turnier nicht qualifiziert ist, an die Uefa, weil Nordmazedoniens Fußballer in ihrem Wappen ein N unterschlagen würden, das für das Wörtchen "Nord" in Nordmazedonien stehen müsse. Damit sei das Emblem ein Verstoß gegen den Kompromiss, der nach jahrelangem Streit zwischen den beiden Nachbarländern 2018 ausgehandelt worden war: dass das Land mit seinen zwei Millionen Einwohnern offiziell eben Nordmazedonien heißen soll und nicht bloß Mazedonien, was die Griechen als Provokation empfinden.

Nun also sind es die Nordmazedonier selbst, die wegen eines angeblichen "nationalistischen Ausbruchs" den Kontinentalverband anrufen, und es ist gut vorstellbar, dass es zu weiteren Politisierungen kommt. Die Uefa dürfte mit dem Thema noch viel zu tun haben. Und sie kann wohl froh sein, dass einen der größten theoretisch denkbarer Polit-Clashs die sportliche Qualität zweier Teilnehmer verhindern dürfte: ein Viertelfinalspiel zwischen Russland und der Ukraine in Sankt Petersburg.

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