Cristiano Ronaldo:Gegen Deutschland traf er noch nie

Cristiano Ronaldo: Auf Klubebene hat Cristiano Ronaldo DFB-Torwart Manuel Neuer schon neun Mal überwunden - im Nationaltrikot noch nie.

Auf Klubebene hat Cristiano Ronaldo DFB-Torwart Manuel Neuer schon neun Mal überwunden - im Nationaltrikot noch nie.

(Foto: Bernadett Szabo/AP)

Ein Umstand, der fast bizarr wirkt: Cristiano Ronaldo wartet gegen die deutsche Elf auch mit 36 Jahren noch auf ein Tor. Klappt es diesmal?

Von Javier Cáceres

Die Portugiesen sind noch immer stolz auf ihre Seefahrer, sie gehörten vor Jahrhunderten noch zu den Völkern, die die Welt unter sich aufteilten. Ihre Städte sind voller Monumente, die legendären Seefahrer wie Vasco da Gama und Fernando Magalhaes verleihen den nachkommenden Generationen ein Gefühl von verblichener imperialer Macht, möge diese auch schon lange vorbei sein. Außer im Fußball, und das vor allem dank Cristiano Ronaldo, der am Samstag in München mit der portugiesischen Nationalelf in der Gruppe F auf Deutschland trifft.

"Planeta Ronaldo" titelte dieser Tage die Zeitung O Jogo, denn der Stürmer und Kapitän der Portugiesen hatte am Montag in Budapest wieder einen Länderpunkt gesammelt. Ungarn war das 34. Land, in dem er einen Treffer erzielt hat, die weißen Flecken auf seiner Weltkarte waren wieder etwas kleiner geworden. Auf Ronaldos Tor-Atlas tauchen auch Länder auf, die in der Nomenklatura des Weltfußballs eher niederen Ranges sind: die Färöer-Inseln, Armenien, Kasachstan. Am häufigsten hat er natürlich in den Ländern getroffen, in denen er auch wichtige Teile seiner Karriere bestritten hat: in Spanien, wo er 393 Treffer geschossen hat (vor allem für Real Madrid), in England (Manchester United/115) und in Italien (Juventus Turin/103). Auf Dienstreisen nach Deutschland war er immerhin vierzehn Mal erfolgreich. Aber bemerkenswerterweise noch nie mit der portugiesischen Nationalelf.

Der Iraner Ali Daei kam auf 109 Tore - Ronaldo hat in 176 Spielen 106 Mal getroffen

Er hat zwar schon neun Mal Manuel Neuer auf Klubebene überwunden, Portugals Medien nennen Ronaldo daher "Neuers schlimmsten Albtraum". Aber: In vier Duellen ist Ronaldo noch nie ein Tor gegen eine DFB-Auswahl geglückt, egal wo. Besonders demütigend war die 0:4-Niederlage in der Vorrunde der WM 2014 in Salvador de Bahía/Brasilien. Die Portugiesen wurden seinerzeit hinter Deutschland und den USA Gruppendritter - und schieden aus. Klappt es nun also sieben Jahre später auf bayrischem Boden? Ausgerechnet jetzt, da Ronaldo auch schon 36 Jahre alt ist und, wie sein Nationaltrainer Fernando Santos vor der EM in einem Interview mit der Zeitung El País verriet, "Fähigkeiten verloren" hat?

"Er ist natürlich nicht mehr der gleiche Spieler, den ich bei Sporting Lissabon trainiert habe, als er 18 war", sagte Santos. "Damals war er eine Maschine. In jedem Spiel legte er zwanzig 50 Meter-Sprints hin, die Außenbahn rauf und wieder runter. Heute kann er das nicht mehr machen. Er ist kein Spieler mehr für zwanzig, zehn oder auch nur fünf 50-Meter-Sprints."

Andererseits: Der Verfall hält sich augenscheinlich in Grenzen. Und das nicht nur, weil sich auf dem Gesicht Ronaldos immer noch keine Falte abzeichnet. Und seine Torausbeute lässt sich auch ohne jede plastische Operation sehen. Man könnte allenfalls behaupten, dass seine Torquote einer kleinen Fettabsaugung unterzogen worden ist, die Zeiten der 50-Tore-plus-Spielzeiten sind wohl vorbei. Gleichwohl: In der vergangenen Saison fabrizierte er 36 Tore in 44 Pflichtspielen für Juventus - trotz zwischenzeitlicher Covid-Zwangspause.

Mit seinen beiden Treffern in Ungarn schraubte er seine Gesamtausbeute bei fünf EM-Teilnahmen auf elf Treffer. In beiden Rubriken - Teilnahmen und Tore - ist er nun alleiniger Rekordhalter. Und eine andere Bestmarke hat er fest im Visier. Er dürfte alsbald den Iraner Ali Daei als den Stürmer mit den meisten Länderspieltoren ablösen. Ali Daei kam auf 109 Tore und hat die Fabrik schon vor Jahren geschlossen; Ronaldo hat in 176 Spielen 106 Mal getroffen. Persönliche Rekorde, sagt Ronaldo, seien ihm einerlei. Das muss man ihm im Lichte einschlägiger Anfälle von Egozentrik aus der Vergangenheit nicht unbedingt glauben. Dies aber wird so schon stimmen: "Der schönste Rekord wäre der zweite EM-Titel", sagte er.

Ronaldo hat eine phänomenale Sprungkraft konserviert

Wegen all dieser Gründe ist die erklärte Devise von Fernando Santos: Ronaldo muss so nah am gegnerischen Tor wie möglich agieren. Anders formuliert: Zentraler, vorderster Stürmer ist Ronaldo quasi durch den Zahn der Zeit geworden.

Der Verlust von Tempo und anderen physischen Kapazitäten verlief schleichend, wie es sich gehört; bezeichnend ist allenfalls, dass er anders als frühere Kollegen nicht etwa einen Schritt zurück machte, sondern zwei nach vorn. Doch diese Neuausrichtung ist auch ein Tribut an die modernen Ausprägungen des Fußballs. Viele Außenbahnspieler sind offensiv ausgerichtet, tragen hohe Lasten im Angriffsspiel ihrer Mannschaften. Würde Ronaldo wie einst auf der Flanke starten, wäre er auch notwendigerweise gezwungen, nach hinten mitzuarbeiten.

Was er auf der anderen Seite konserviert, ist eine phänomenale Sprungkraft. Gegen die Ungarn hatte er eine Kopfballszene, in der er wie schon früher in großer, beeindruckender Höhe in der Luft stand. Gegen Ende der Partie, als Fernando Santos durch intelligente Wechsel die Startelf über den Haufen geworfen hatte, entzog sich Ronaldo der tief stehenden Abwehrkette der Ungarn. Ehe sich die Ungarn neu geordnet hatten, stand es 3:0 für den Titelverteidiger. Die Führung durch den Dortmunder Raphael Guerreiro erzielten die Portugiesen erst in der 84. Minute, hernach folgten die beiden Treffer von Ronaldo, die den Sieg sicherstellten.

"Ob er entscheidend werden kann?", wurde Bruno Fernandes vor dem Duell in München zu Ronaldo gefragt - und die Offensivkraft von Manchester United sprach eine Wahrheit aus, die auch eine Drohung war: "Er ist es jetzt schon."

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