EM 2012: DFB - Kasachstan:Pfiffe statt Spektakel

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Die deutsche Elf schlägt Kasachstan 4:0, bekommt für die pomadige zweite Halbzeit jedoch den Unmut des Publikums zu spüren. Das bringt vor allem Bastian Schweinsteiger auf die Palme.

Carsten Eberts, Kaiserslautern

Bastian Schweinsteiger dampfte. Da musste etwas raus. Es ist gewiss kein neuer Wesenszug des Bayern-Profis, direkt nach dem Spiel seinen Unmut kundzutun, wenn ihm etwas missfallen hat. Das tut er entweder, indem er das Publikum mit Schweigen straft. Oder er sucht sich gleich nach Schlusspfiff die entsprechenden Mikrofone. So auch diesmal.

Trotz 4:0-Sieg schlecht gelaunt: Bastian Schweinsteiger ärgerten die Pfiffe der Fans. (Foto: REUTERS)

Deutschland hatte Kasachstan gerade 4:0 bezwungen, dabei einen nicht zu unterschätzenden Schritt in Richtung EM-Qualifikation getätigt, es war der fünfte Sieg im fünften Spiel. Die erste Halbzeit war zeitweise herausragend, die zweite höchst mäßig. In diese Zeit mischten sich einige Pfiffe des Kaiserslauterer Publikums: nach den vergebenen Chancen von Mario Gomez, oder auch bei Schweinsteigers Auswechslung.

"Ich verstehe die Zuschauer nicht", klagte Schweinsteiger deshalb unweit des Spielfelds, "das war ein bisschen komisch hier." Er setzte kurz ab, um in deutlicherem Ton fortzufahren: "Man muss die Kirche mal im Dorf lassen. Da holen wir den fünften Sieg im fünften Spiel, haben 15 Punkte und die Zuschauer pfeifen? Sollen die doch mal gegen eine Mannschaft spielen, die nur hinten drin steht."

Schweinsteiger war angegriffen, eher auf 360 als auf 180, die Szenerie erinnerte an das Länderspiel im Oktober 2009 gegen Finnland, als die deutsche Elf vom Hamburger Publikum ausgepfiffen wurde. Damals rief ein 1:1 die Unmutsbekundungen hervor, in Kaiserslautern pfiffen die Zuschauer nach einem nie gefährdeten 4:0.

Die Frage, die unweigerlich im Raum stand: Hat die fulminante WM 2010 das Anspruchsdenken der deutschen Fans derart verändert? Werden die Auftritte, die für Begeisterung sorgten unter den Fans, nun etwa zum Verhängnis, weil das Publikum auch im EM-Qualifikations-Alltag Spektakel fordert?

In Schweinsteigers Worte mischten sich Ärgernis und auch Frust. Denn es wäre für die deutsche Nationalmannschaft ein leichtes gewesen, ihr Publikum an diesem Abend zu verzücken. Selten war ein Gegner so unterlegen wie Kasachstan. Das 1:0 durch Miroslav Klose fiel prompt, Schweinsteiger hatte von links geflankt, Klose hielt schon in der dritten Minute am langen Pfosten den Fuß hin. Besonders Klose hätte in den folgenden Minuten erhöhen können, Thomas Müller machte es in der 25. Minute per Kopf und in der 43. Minute mit dem Fuß deutlich besser. Da stand es bereits 3:0. Die Bühne war bereitet für Spektakel, nur wollten die deutschen Kicker auf dieser Bühne nicht mehr herumtoben.

Anfang der zweiten Halbzeit war es mit dem Wirbel vorbei. Zwei, drei Gänge tourte die deutsche Mannschaft niedriger, spielte fahrig, schob den Ball fantasiearm umher, als den Weg in die Spitze zu suchen. Vor allem Schweinsteiger und seinem Nebenmann Sami Khedira, aber auch Mesut Özil oder Thomas Müller war große Ermüdung anzumerken. So war es aus professioneller Sicht nachvollziehbar, dass die Mannschaft weniger investierte, die Partie herunterspielte.

Das Problem: Ausgerechnet Bundestrainer Joachim Löw hatte mit seinen markigen Worten vor dem Spiel den Zuschauern Spektakel versprochen. Die Frage sei nicht, wie sich Kasachstan in Kaiserslautern präsentiere, sagte er: "Die Frage ist, wie gut wir sind."

Nationalelf: Einzelkritik
:Mit Trömmelche und Friesentee

Stadionsprecher Mertesacker, Linksverteidiger Flick, zwei Mittelfeldspieler müssen mehr schlafen und Podolski freut sich über einen Karnevalsklassiker als Hymne. Die DFB-Elf gegen Kasachstan in der Einzelkritik.

Carsten Eberts, Kaiserslautern

Jenes Spektakel bekamen die Fans in der zweite Halbzeit nicht mehr zu sehen. Der Gegner blieb unterlegen, doch das 4:0 von Klose (88.), der Gerd Müller mit seinem 61. Tor in der Bestenliste damit gefährlich nahe kommt, war der einzige Ertrag. Löw formulierte es diplomatisch: "Die erste Halbzeit war schon gut, in der zweiten haben wir das hohe Tempo vermissen lassen, zu viel quer gespielt."

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Carsten Eberts, Kaiserslautern

Nun gibt es Spieler wie Schweinsteiger, die im Impuls der Verärgerung provokante Sätze von sich geben. Oder jedoch andere Profis, die mehr in sich ruhen, etwas später vor die Presse treten, das Geschehene bis dahin verarbeitet haben.

Per Mertesacker etwa, der nicht auf dem Rasen sprach, sondern erst unter die Dusche hüpfte und dann seine Meinung zum Spiel kundtat. Der hatte einen höchst ruhigen Abend verlebt, da die kasachische Offensive über 90 Minuten kaum existent war. Mertesacker sagte: "Es war heute wichtiger, das Spiel zu kontrollieren, als zu sehr ins Risiko zu gehen. Wir haben uns ein wenig angepasst."

Natürlich hatte auch Mertesacker die Pfiffe vernommen, sie vielleicht sogar für befremdlich befunden. Das Publikum geißelte er deshalb jedoch nicht. "Ich möchte dem Ganzen nicht so viel Gewicht geben. Wir haben schon so viel erlebt, werden in der Bundesliga auch ausgepfiffen. Die Zuschauer wollen das Beste sehen und dazu hat es heute nicht ganz gereicht."

Auch Dennis Aogo, der auf der linken Abwehrseite agieren durfte, bewertete die Sachlage entspannt. "Die Ansprüche sind natürlich gestiegen", sagte er, "dazu der Hype, der nach der WM um die Mannschaft gemacht wurde." Damals war Aogo nur als Ergänzungsspieler dabei, er hat jedoch mitbekommen, wie das deutsche Team seitdem an den Leistungen von 2010 gemessen wird. Er fuhr fort: "Wir haben 4:0 gewonnen. Da sollte man die Mannschaft nicht schlechter machen, als sie ist."

Am Dienstag gegen Australien werden die Protagonisten vom Samstagabend nicht im Vordergrund stehen. Die Partie ist ein Freundschaftsspiel, Löw will die zweite Reihe testen, frisches Personal ausprobieren. Großes Spektakel hat er deshalb gar nicht erst versprochen. Das war vielleicht richtig.

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