Gerade muss Bürgermeister Bernd Huf wieder Fragen beantworten, auf die er selbst keine Antwort hat. Wie auch? Als die SV Elversberg aus der dritten in die zweite Fußballliga aufstieg, riefen ihn Menschen an und wollten wissen, wo die Mannschaft eigentlich feiern soll, sein Rathaus habe doch keinen Balkon. Wusste er auch nicht, der Zweitligaaufstieg war nicht geplant, so als frischer Drittligaaufsteiger. Huf ließ dann, typisch Saarländer, einfach ein Baugerüst kommen: Hat den gleichen Zweck, ist praktisch, kann wieder abgebaut werden. Sollen sich doch ein paar Journalisten, die eh nur einmal im Jahr über die SVE schreiben, darüber lustig machen, egal, und so schnell werden sie in Elversberg ja sowieso keinen Balkon mehr brauchen.
Tja. Am Wochenende hat der Klub, der Sportvereinigung und nicht Sportverein heißt, Eintracht Braunschweig 3:0 geschlagen. Sollte die SVE am letzten Spieltag auf Schalke gewinnen, ist ihr der Relegationsrang wegen der klar besseren Tordifferenz im Vergleich zu Paderborn nicht mehr zu nehmen. Und sollte bei einem eigenen Sieg der 1. FC Köln im Parallelspiel gegen Kaiserslautern verlieren … aber darüber wollen sie gar nicht so genau nachdenken. Auch Huf glaubte, der Wahnsinn werde an ihm vorbeigehen. Nach der Heimniederlage gegen Münster am 26. Spieltag dachte der Bürgermeister „So, jetzt ist Ruhe“, wie er kürzlich der Lokalzeitung erzählte. Doch seitdem hat die SVE kein Spiel mehr verloren. Auf die Frage, ob seine 13 000-Einwohner-Gemeinde denn für die Bundesliga gerüstet sei, sagt er den schönen Satz: „Wir waren für die dritte Liga nicht bereit und für die zweite Liga nicht.“
Andere Klubs wollen unbedingt in die Bundesliga, Elversberg fürchtet sich fast ein bisschen davor. Wäre auch seltsam, wenn nicht. Der Klub war 2022 noch Regionalligist, und es treffen leider neben dem fehlenden Rathausbalkon herrlich viele Dorfklischees zu. Allein dass Huf nicht Bürgermeister von Elversberg, sondern von Spiesen-Elversberg ist. Elversberg ist nicht mal eine eigene Stadt, sondern ein Ortsteil, es gibt noch einen zweiten Fußballklub, den SV Borussia Spiesen. Der Ort hat keinen Bahnhof, und als die Kaiserlinde, Namensgeber des Stadions, einem Sturm zum Opfer fiel, da war das eine große Nachricht und Teil des Witzes, dass im Saarland auch dann berichtet wird, wenn ein Baum umfällt.
Aber in diesem Ort fernab der großen Verkehrsrouten hat sich, von der Bundesrepublik weitgehend unbemerkt, ein Fußballtrio gefunden, das sicher dachte, noch ein bisschen länger im Stillen arbeiten zu dürfen. Präsident und Kopf des Vereins ist Dominik Holzer, Sohn von Frank Holzer, der wiederum früher Stürmer beim 1. FC Saarbrücken war, Pharmazie studierte, das Unternehmen Ursapharm übernahm und seit 1990 Elversberg aufbaut. Seit 2011 ist Dominik Holzer Präsident und Frank Holzer Aufsichtsratsvorsitzender. Wer hier Parallelen zum 1. FC Heidenheim sieht, liegt nicht falsch. Beim schwäbischen Verein sind Holzer und Holzer allerdings eine Person: Holger Sanwald. 2018 kam der Sportdirektor Nils-Ole Book ins Saarland, und seine erste Amtshandlung war es, Trainer Horst Steffen zu verpflichten, seitdem arbeiten die beiden zusammen.
Noch fahren sie in Elversberg die Strategie, einfach so zu tun, als würde das mit der Bundesliga schon nicht passieren
Holzer, Book und Steffen fahren eine Strategie, die langfristig und kurzfristig zugleich ist. Es gibt ein Fundament aus Achsenspielern, in der Regel gescoutet im Südwesten, die über mehrere Jahre bleiben. Dazu kommen Profis mit besonderen Fähigkeiten, die sich Elversberg nicht leisten kann, sondern ausleihen muss, und das gelingt dem Klub vor allem in der jüngeren Vergangenheit mit einer erstaunlichen Trefferquote. In der dritten Liga holten sie sich einen großen, technisch starken Spieler aus Bremen, mittlerweile steht Nick Woltemade beim VfB Stuttgart unter Vertrag und kurz vor einer Nominierung in die Nationalmannschaft. Vergangenes Jahr sicherten Jannik Rochelt (jetzt Hannover) und Paul Wanner (bald wieder FC Bayern) den ungefährdeten Ligaverbleib, dieses Jahr sind die beiden Spektakelspieler Muhammed Damar und besonders Fisnik Asllani Topscorer der Liga. Beide sind aus Hoffenheim ausgeliehen.
Möglich ist das wegen der kurzen Wege, ein in vielen Provinzstandorten etabliertes Erfolgskonzept. Holzer, Book und Steffen vertrauen einander, können schnell handeln, wenn es notwendig ist. Damar und drei weitere Schlüsselspieler kamen etwa erst nach Saisonbeginn zur Mannschaft. Obwohl Elversberg natürlich von Ursapharm als Sponsor unterstützt wird, ist der Etat mit knapp zehn Millionen Euro einer der niedrigsten der Liga. Das Stadion wird gerade umgebaut, im Falle eines Aufstiegs soll an der Kaiserlinde gespielt werden, allerdings müssten sich die Spieler vorerst weiter in Containern umziehen. Wie gesagt: Es geht alles ein bisschen zu schnell.
Auf die Frage, was er denn nun beim Aufstieg zu tun gedenke, hat Bürgermeister Huf übrigens nicht geantwortet. Wenn er jetzt Feierpläne verriete, würde „die SVE mich fragen, ob ich noch ganz kloor bin“. Ein sehr saarländischer Ausdruck für „noch ganz bei Sinnen“. Noch fahren sie in Elversberg die Strategie, einfach so zu tun, als würde das mit der Bundesliga schon nicht passieren.