El Clásico Madrid gegen Barcelona:Mourinho, Held seiner selbst

Es ist erst gut ein Jahr her, dass José Mourinho die größte Demütigung seiner Karriere hinnehmen musste. Der FC Barcelona siegte gegen Real Madrid mit 5:0. Diese Niederlage hat ihn für immer verändert, sagen seine Spieler. Jetzt muss Reals Trainer die Schmach tilgen. Denn im Clásico stehen nicht nur drei Punkte auf dem Spiel. Sondern auch das Modell Mourinho.

Javier Cáceres, Madrid

War das wirklich José Mourinho, der da sprach? Der gleiche Mann, der Milliarden Stürme zusammengebraut hat; auf dass sie sich über ihm selbst entluden und den Fokus der Öffentlichkeit von seiner Mannschaft weglenkten? Mittwochabend, in Amsterdam, stand der portugiesische Trainer von Real Madrid mit betont gelangweiltem Blick vor einem TV-Reporter und machte nicht die leiseste Anstrengung, die Gesichtsmuskeln anzuspannen, als er gebeten wurde, zu sagen, was ihm so zum Besuch des FC Barcelona einfalle, der am Samstag anstehe (22 Uhr/live in laola.tv). "Für Euch mag das was Besonderes sein", sagte er. "Aber für uns ist das bloß ein weiteres Spiel. Ein normales Spiel, nach dem das Leben weitergehen wird."

coach Jose Mourinho

Einer der talentiertesten Fußball-Analysten der Welt: José Mourinho.

(Foto: AP)

Es dürfte nicht ganz einfach sein, in der Zitatensammlung Mourinhos eine größere Lüge zu finden. In Wahrheit ist das genaue Gegenteil der Fall.

Seit Mitte 2010 ist Mourinho bei Real Madrid, und er hat es in dieser Zeit geschafft, sich den Klub untertan zu machen wie kein Trainer zuvor. Den wortgewandten Generalmanager Jorge Valdano, der ihn damals mit salbungsvollen Worten im überfüllten Pressesaal des Estadio Santiago Bernabéu als neuen Coach präsentierte, hat er längst weggemobbt. Präsident Florentino Pérez, ein milliardenschwerer Bauunternehmer und unter anderem Chef des deutschen Hochtief-Konzerns, ist Mourinho so ausgeliefert, dass er ihm sogar die Deutungshoheit über die Klub-Philosophie überlassen hat.

Seine Macht über Spielertransfers ist vollkommen, der Kader ist mit Kickern aus dem Portfolio seines Agenten Jorge Mendes gefüllt. Den größten Teil der Medien Madrids hat er domestiziert, Verbände, Schiedsrichter und Gegner attackiert - und die Anhänger Reals überwiegend auf seine Seite gebracht. Aber: Er leitet noch immer den teuersten Kader, den der Profifußball je gesehen hat. Er ist mit mehr als zehn Millionen Euro noch immer der bestbezahlte Coach der Welt. Und das bedeutet, dass er die Pflicht hat, zu liefern. Die Pflicht, Barça zu besiegen. "Für ihn mag das ein Spiel unter vielen sein", ätzt also Míchel, eine Real-Legende der 80er Jahre. "Für uns madridistas ist es das nicht." Zumal Real diesmal aus einer Position der Stärke kommt; 15 Siege hintereinander hat der Klub geschafft und damit einen Rekord aus den 1960er Jahren pulverisiert.

Wahrscheinlich schuldet Mourinho den Sieg aber niemandem mehr als sich selbst. Es ist erst gut ein Jahr her, dass Mourinho die größte Demütigung seiner Profikarriere hinnehmen musste. Barça siegte im Camp Nou gegen Real mit 5:0 und spielte wie nie zuvor und kaum je danach. Mourinho versteckte sich die ganze zweite Halbzeit über unter dem schützenden Dach der Reservebank vor der Häme der Barça-Fans. Wer die Geschichte Mourinhos kennt, der kann erahnen, wie sehr es in ihm bebte. Die Geschichte Mourinhos ist auch die Geschichte von Demütigungen, die er durch noch mehr Besessenheit, noch größere Angriffslust, eine größere Härtung seines expansiven Ichs metabolisierte. "Diese Niederlage hat ihn für immer verändert", sagt ein Spieler aus der Real-Mannschaft.

Wer nach den Wurzeln von Mourinhos herrischer Überheblichkeit sucht, findet sie in seiner Jugend. José Mário dos Santos Félix Mourinho, wie er mit vollem Namen hießt, wurde in Setúbal geboren, 50 Minuten von Lissabon entfernt - in einer Familie, die sich fürchtete, als die Nelkenrevolution 1974 die jahrzehntelange Salazar-Diktatur stürzte und Demokratie übers Land brachte.

Völlig übersteigertes Familiengefühl

Sein Onkel, dem Mourinho den zweiten Vornamen verdankt, war ein Sardinenbüchsen-Fabrikant, der dank seiner festen Bande zum autoritären Regime zu Geld gekommen war - und nach der Revolution materiell enteignet wurde. Die Überzeugung, zur einzigen Schicht des Landes zu gehören, die fähig (und berechtigt) ist, Portugal zu führen, nahm man ihnen nie. Daher stammt wohl das Freund-Feind-Denken, das man immer auch in Mourinhos Mannschaften wiederfindet - ein völlig übersteigertes Familiengefühl.

Mourinhos Teams waren und sind immer auch ein undurchdringliches, bis zur Blindheit loyales Wir, das sich selbst genug ist, von echten oder bloß konstruierten Feinden umgeben ist, gegen jeden noch so mächtigen Mainstream ankämpft, weil es sich selbst genug ist. Mourinho ist nicht nur der Held seiner Anhänger, sondern vor allem: der Held seiner selbst. Immer schon gewesen. Wenn er über seine Jugend im roten, proletarisch-rebellischen Setúbal erzählt, klingt das, als würde er sich selbst einen Orden verleihen wollen: "In Setúbal rechts zu sein, ist so, als wäre man in Lissabon Porto-Fan."

Von seinem Vater, einem früheren Torwart und späteren Trainer, erbte er die Passion für den Fußball, Laufen lernte er im nur 200 Meter vom Elternhaus entfernten Estádio Bonfim, der Heimstatt des Erstligisten Vitória Setúbal. Er selbst versuchte sich als Profi. Doch als ihn der Vater erstmals in der ersten Liga bei Río Ave FC einsetzen wollte, wusste der Präsident das zunächst zu verhindern: "Der ist zu schlecht."

Josip Guardiola, Trainer beim FC Barcelona, erinnert periodisch an diese Schmach, voller Subtilität hat er noch vor jedem Duell zwischen Real und Barcelona eingestreut, wie oft er den Klassiker als Spieler erlebt habe. Womöglich gibt es wirklich Dinge, die Mourinho fremd sind: Mag er nach der Brüskierung durch einen Vorsitzenden von Río Ave auch zu einem der talentiertesten Fußball-Analysten der Welt geworden sein - weil seine Antwort die fast obsessive Beschäftigung mit den theoretischen Aspekten des Sports war.

So wurde Mourinho erst eine Art Scout für den Vater, der die Gegner sezierte; später wurde er diplomierter Sportlehrer, der sein Examen an der Technischen Uni Lissabon mit Auszeichnung bestand; dann wurde er erstmals Fußballcoach, der seinen internationalen Trainerschein beim Schotten Andy Roxburgh machte. Mit seinen Englisch-Kenntnissen wurde er zum perfekten Übersetzer des (2003 verstorbenen) Bobby Robson, als der Brite 1992 den Trainerjob bei Sporting Lissabon übernahm - hier konnte er die Grundlage für seine atemberaubende Trainerkarriere legen.

Denn Mourinho sollte Robson später zum FC Porto begleiten - und zum FC Barcelona, wo er einen Hungerlohn ertrug und auch, dass man ihm fälschlicherweise andichtete, Robsons Liebhaber zu sein. Als Robson 1997 entlassen wurde, blieb Mourinho in der katalanischen Hauptstadt - als Mitglied im Trainerstab von Louis van Gaal, der den Portugiesen so schätzte, dass er ihm erlaubte, bei den Spielen um den Katalonien-Pokal die Elf zu coachen. Doch als Mourinho im Jahr 2000 sah, dass er in Barcelona nicht zum Zuge kommen würde, packte er einen Koffer in sein schwarzes Volvo-Cabriolet und fuhr nach Portugal.

Es dauerte nicht lange, ehe er bei Benfica Lissabon den heutigen Bayern-Trainer Jupp Heynckes beerbte und, nach einer kurzen Etappe bei Uniao Leiria, seine wirkliche Karriere startete: beim FC Porto, dem FC Chelsea und bei Inter Mailand. Es waren immer Klubs, die sich nach langen Jahren der Dürre nach Erfolgen verzehrten, die Mourinho garantierte. Und die es hinnahmen, dass er Weltverschwörungen anprangerte, für die es keine Beweise gab, sich wie ein größenwahnsinniger Schurke gerierte, ihnen ergebenste Treue abverlangte und sie doch wieder verließ. Nach einer Reihe von nie wiederholten Erfolgen.

"Eine komplett eigene Syntax entwickelt"

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Mit Schattenmann: Real-Trainer Mourinho bei einer seiner zahlreichen Begegnungen mit Barca-Coach Guardiola (hinten).

(Foto: AFP)

Seine schrillen Auftritte versperrten oft genug den Blick auf seine Methoden, die für Portugal den Hauch des Kontra-Kulturellen trugen. Er nutzte nicht nur sport-, sondern auch neurowissenschaftliche Erkenntnisse. Von einem portugiesischen Neurobiologen lernte er, dass Emotionen rationaler sind, als man allgemeine annimmt, dass Entscheidungsprozesse von affektiv-emotiven Optionen abhängen, und dass es deshalb von Nutzen ist, die Emotionen seiner Spieler zu lenken und, ja: zu manipulieren. Bei den Spielen gegen den FC Barcelona der letzten Saison trieb er es so sehr auf die Spitze, dass Barças Spielmacher Xavi seinem Freund Iker Casillas Monate später zurief: "Ich erkenne dich nicht wieder."

Mourinhos Trainingseinheiten sind hauptsächlich Simulationen von Spielsituationen, es gibt (wie bei Barcelona) kaum Übungen ohne Ball. "Ein Kern mannschaftlicher Haltungen und Bewegungen" wird dabei trainiert, denn Mourinho will "keine Schachfiguren (wie einst der ukrainische Gottvater des Systemfußballs, Valeri Lobanowski), sondern Athleten, die sich der Prinzipien (des Fußballs) bewusst und überzeugt sind, die Bewegungen zu kontrollieren", schreibt sein Biograph Sandro Modeo.

Modeo nimmt Mourinho auch gegen den Vorwurf in Schutz, viel zu defensiv spielen zu lassen. Mourinho habe vielmehr "eine komplett eigene Syntax entwickelt", in der man eine Vielzahl von Aromen aus fünfzig Jahren Fußballgeschichte herausschmecken kann: vom 4-2-4, mit dem Bela Guttmann in den 1960ern in aller Welt triumphierte, über niederländischen und britischen Direktfußball bis hin zu uruguayisch-italienischen Konterkulturen. Wie ein Orchesterdirigent kontrolliere er am Spielfeldrand die Tempi. Das Resultat seien Mannschaften, die dem "Polymorphismus" frönten.

Für diesen Samstag, so scheint es, hat Mourinho die gleiche defensive Variante vorbereitet, mit der er im Sommer das Pokalfinale gewann. Weder Mesut Özil noch der Brasilianer Kaká dürften in der Startelf einen Platz haben, dafür aber Sami Khedira, als Bestandteil eines dreiköpfigen defensiven Mittelfelds vor der Vierer-Abwehr. Eigentlich verschmäht die spanische Fußballkultur ausschließlich ergebnisorientierte Strategien, die Mourinho "intelligent" nennt und die bedingen, dass man dem Gegner Ball und Initiative überlässt. Und auch den spanischen Nationalspielern bei Real Madrid sollen sie nicht geheuer sein: Sie wurden ja mit dem Gegenentwurf Weltmeister.

So stehen am Samstag eben nicht nur drei Punkte auf dem Spiel. Sondern auch das Modell Mourinho.

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