Süddeutsche Zeitung

Eisschnelllauf:Öfter mal nach Stavanger

Der Eissprinter Joel Dufter hat sich im Olympiawinter einem norwegischen Privatteam angeschlossen - ein radikaler Kurswechsel.

Von Barbara Klimke, Inzell

Das Konzept der kurzen Wege hat Joel Dufter lange überzeugt. Auf dem Eis ist er ein Sprinter, ein Spezialist für Rennen, die nie länger als 1000 Meter betragen. Auch zu seiner Trainingsgruppe hatte er es als Inzeller jahrelang nicht weit: Einmal durch den Ort, die B 306 entlang, dann nach links abbiegen zum schneeweißen Wellendach der Max-Aicher-Arena, das berühmt ist weit über den Chiemgau hinaus.

Mittlerweile ist die Anreise ein wenig zeitraubender geworden. Wenn Dufter die Teamkollegen treffen will, erfordert das nun mitunter die Inanspruchnahme eines Verkehrsflugzeugs. Beispielweise Oslo, Luftlinie 1300 Kilometer. Oder Stavanger, Luftlinie 1200 Kilometer. Dufter, der Kurzstreckenspezialist, erlebt ganz neue Perspektiven, und er hat Gefallen an derlei Langdistanzen gefunden. "Ich bin sehr zufrieden", sagt er. "Ich bereue nichts."

Im Frühjahr hat sich der Eisschnellläufer Joel Dufter, 26, Dritter der EM im Sprint 2021, einem norwegischen Privatteam angeschlossen. Seitdem trainierte er abgekoppelt vom deutschen Verband DESG. Seine Antrittsschnelligkeit wurde durch den Wechsel offensichtlich nicht gebremst: Bei den nationalen Einzelstreckenmeisterschaften am Wochenende, ausgetragen in Inzell, flitzte er sowohl im 500-Meter-Wettbewerb als über die 1000 Meter als Schnellster über die Bahn. "Zweimal deutscher Meister: Ich kann mich nicht beklagen", sagte er lächelnd, als er, noch etwas außer Puste, auf einem Bänkchen im Innenraum seiner Heimathalle saß. Und nach der Umstellung würden nun auch seine Zeiten langsam besser.

Dufter trainiert nun bei Jeremy Wotherspoon, dem mehrmaligen Weltrekordler

Der neue Bundestrainer für Sprint in der DESG, Peter Mueller, 66, dessen Verpflichtung die DESG im April bekannt gegeben hatte, kam vorbei und gratulierte. Aber Dufters Bezugspersonen auf dem Eis sind andere geworden: Der Kanadier Jeremy Wotherspoon, 45, mehrmaliger Weltrekordler und einer der erfolgreichsten Eissprinter in der Geschichte dieser Disziplin, orchestriert als Coach das norwegische Team; und mit Olympiasieger Havard Lorentzen aus Bergen, 29, läuft Dufter nun gewissermaßen im Duett.

Zwölf Wochen hat er seit Mai, als das Reisen nach den Corona-Restriktionen wieder möglich war, mit den Skandinaviern verbracht; zwischendurch trainierte er allein in Inzell oder sie zogen sie gemeinsam zum Beispiel in Heerenveen in Holland ihre Bahnen. Die Aufnahme sei herzlich gewesen, "wie in einer kleinen Familie"; und vor allem die bedächtige Art Wotherspoons ist es, die Dufter imponiert: Als Trainer sei der frühere Weltrekordler "ein total ruhiger, verständnisvoller Mensch", erzählt er schmunzelnd: "Man glaubt gar nicht, dass der früher so schnell war, so gemächlich, wie der unterwegs ist."

Wotherspoon war es, der Dufter Ende Februar anrief, in jenen Tagen, als dem damals besten deutschen Sprinter das Eis unter den Kufen wegzuschmelzen schien. Der Verband DESG hatte den Vertrag mit dem früheren Sprint-Bundestrainer Danny Leger über das Jahresende hinaus nicht verlängert. Eine Strategieentscheidung des DESG-Präsidenten Matthias Große, der in der Personalpolitik rigoros auf einen Neuanfang setzte. Besonders hart traf die abrupte Trennung damals Dufter, weil er jenen Betreuer verlor, der in Inzell zehn Jahre lang auch sein Heimtrainer war. Als ein Athleten-Quartett um Dufter in ungewohnt offener Weise die Entscheidungen kritisierte, kam es zu Verwerfungen im Verband. Dann folgte Wotherspoons Angebots - und Dufter hat nach eigenem Bekunden "ohne Zögern zugesagt".

Der Wechsel führte jedoch dazu, dass er die Sportfördergruppe der Bundeswehr im September verlassen musste. "Nicht freiwillig", wie er betont. Zwar gibt es Verbände, etwa jenen der Eiskunstläufer, die keinen Widerspruch darin erkennen, dass bei der Bundeswehr angestellte Paarläufer im Olympiawinter im Ausland trainieren. Die DESG hat eine andere Sicht, wie Sportdirektorin Nadine Seidenglanz erläutert. "Uns ist es natürlich wichtig, dass jeder den Weg innerhalb des Verbandes geht", sagte sie am Samstag. "Wir haben eine sehr luxuriöse Situation in Deutschland mit der Unterstützung unserer Sportler in der Bundeswehr - aber dann muss man auch in einem deutschen System bleiben. Man vertritt ja Deutschland bei den Wettkämpfen." Der Verband habe im engen Austausch mit der Bundeswehr gestanden. Das Verhältnis zu Joel Dufter bezeichnet Seidenglanz als entspannt. Zwar sei es bedauerlich, dass er nicht zur Sprintermannschaft gehört, "aber wenn er das so entscheidet, muss man das hinnehmen". Sie ständen regelmäßig im Kontakt.

Finanzielle Unterstützung braucht Dufter natürlich für seine Reisen zum norwegischen Privatteam, für Hotels, die Zeit im Kraftraum oder das Eis in Heerenveen. Er sei sehr glücklich und dankbar, sagt er, dass er auch mit Hilfe seines Vaters eine Reihe von Sponsoren gefunden hat. Und da er Mitglied des Bundeskaders ist, werden die Kosten für internationale Maßnahmen, etwa für Weltcup-Reisen, weiter vom Verband getragen. "Früher habe ich einfach die Tasche gepackt", sagt Dufter. Heute weiß er, was es kostet, ein Leben auf der Langdistanz zu führen. Mutig? "Ja, aber ich bereue es nicht."

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