Süddeutsche Zeitung

Eisschnelllauf:Einsam an der Spitze

Bei den deutschen Meisterschaften in Inzell holt sich Claudia Pechstein ihre Titel Nummer 38 und Nummer 39 - auch weil sich die nationale Konkurrenz ihr nicht stellt. Das löst kurz eine Regel-Debatte aus.

Von Barbara Klimke

Ihre Schlittschuhe mit Goldverzierung hat Claudia Pechstein am Samstag mit zufriedener Entschlossenheit in der Sporttasche verstaut. Daneben war noch Platz für einen weiteren kleinen Goldpokal. Würde sie, rein theoretisch, auf die Idee verfallen, jemals mit sämtlichen Pokal zu verreisen, die ihr im Laufe der Zeit bei deutschen Meisterschaften ausgehändigt wurden, müsste sie wohl einen Container mitbringen: Am Freitag eroberte sie sich in Inzell den Titel über 3000 Meter, das war Trophäe Nummer 38. Am Samstag kam jene für die 5000 Meter dazu. Trophäe 39.

Die 39. Trophäe ist ein besonderes Exponat in der glänzenden Privatsammlung von Claudia Pechstein. Denn beim Rennen um diesen Siegerpreis hatte sie rein gar nichts zu verlieren. Nur zwei Athletinnen nahmen Aufstellung an der Startlinie, nur zwei Athletinnen jagten einander mit langen Schritten übers Eis, und als Claudia Pechstein, inzwischen 47 Jahre alt, mit fast zehn Sekunden Rückstand in 7:00,51 Minuten das Ziel überquerte, war sie trotzdem zum 39. Mal deutschen Meisterin geworden. Martina Sablikova, 32, die dreimalige Olympiasiegerin aus Tschechien, lief zwar wesentlich schneller, aber aus Pechsteins Sicht, außer Konkurrenz. Denn die Deutsche Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) hatte den Wettkampf diesmal zu einer offenen internationalen deutschen Meisterschaft auslobt.

Erstmals versammelte sich also nicht nur die deutsche Kufenszene zu Saisonbeginn in Inzell, auch Athleten aus anderen Ländern waren geladen: aus der Schweiz, aus Finnland und Neuseeland; und Belgier sowie Österreicher trugen bei dieser Gelegenheit ihrerseits ihre nationalen Titelkämpfe auf dem schnellen Eis in Oberbayern aus. Der erweiterte Kreis sollte zur "Attraktivität der Meisterschaften" beitragen, erklärte DESG-Sportdirektor Matthias Kulik. Der erwünschte Nebeneffekt war eine gefüllte Halle an den drei Wettkampftagen und, alles in allem, bei rund 130 Aktiven mehr Gedränge auf und neben der Bahn. In den vergangenen Jahren waren stets nur circa 40 Athleten eingetroffen, und die Stimmung im weiten Rund unter dem Hallendach, das wie eine große, weiße Wolke in der Landschaft schwebt, blieb eher gedämpft. Eisschnelllauf ist hierzulande, anders als etwa in Holland, kein Massenphänomen.

Vor dem Rennen über 5000 Meter hatte es Regel-Debatten gegeben

Auch das erklärt, weshalb sich die Routiniers Jahr für Jahr auf ihren Spezialstrecken die Pokale schnappen, manche, wie Claudia Pechstein gleich im Zweier- oder Dreierpack. Auf der 3000-Meter-Distanz am Freitag konnte sie ihre Rivalin Roxanne Dufter aus Inzell in 4:05,57 Minuten mit vier Sekunden Vorsprung auf Distanz halten; auch Michelle Uhrig aus Berlin unterbot in 4:10,73 die Verbandsnorm für die kommende Woche in Minsk beginnende Weltcupsaison. "Die Zeit", sagte Pechstein hinterher zufrieden, "stimmt mich froh."

Über die 5000 Meter jedoch hatte es vorher eine Debatte gegeben. Im Detail ging es um die Frage, ob die Anstrengung tatsächlich regelkonform mit Trophäe 39 gekrönt werden könne, obwohl Pechstein in diesem Wettbewerb ja faktisch konkurrenzlos war. Zwei deutsche Konkurrentinnen, Roxanne Dufter und Michelle Uhrig, hatten sich erst an-, dann wieder abgemeldet. Kann eine Eisschnellläuferin also Meisterin werden, auch wenn keiner sonst antritt? Sportdirektor Kulik gab Entwarnung. In weiser Voraussicht hatte das Wettkampfreferat der DESG den entsprechenden Passus der Wettkampfordnung prophylaktisch schon vor den nationalen Meisterschaften unter die Lupe genommen und festgestellt, dass Interpretationsspielraum vorhanden ist: Wenn es drei Meldungen gibt und dann mindestens zwei Athleten am Start stehen, darf es einen Meisterpokal geben. "Mein Ziel war es, konstant zu laufen, und es ist eine ordentliche Zeit herausgesprungen", sagte Pechstein also hinterher. Und fügte hinzu: "Dass sich keine der Konkurrentinnen auf den 5000 Metern gestellt hat, dafür kann ich nichts."

Allerdings hatte die beiden anderen Läuferinnen nicht etwa der Mut vor einer Konfrontation mit der Rekordmeisterin verlassen: Vielmehr, so erklärte Bundestrainer Erik Bouwman, hatten Dufter und Uhrig schon tags zuvor die Verbandsnorm erfüllt, und weil der Weltcup schon in einer Woche beginnt, wollten sie lieber Kräfte sparen.

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Quelle:
SZ vom 10.11.2019
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