Süddeutsche Zeitung

Eisschnelllauf:Perpetuum mobile auf dem Eis

Claudia Pechstein gewinnt in Inzell ihren 41. deutschen Meistertitel. Die 49-Jährige ist in Deutschland weiterhin nahezu konkurrenzlos auf den langen Strecken - und peilt ihre achten Olympischen Winterspiele an.

Von Barbara Klimke

Weiter, immer weiter. Nach der letzten Runde und einer kurzen Verschnaufpause auf einer Bank am Rande des Ovals setzte sich Claudia Pechstein am Samstag noch einmal in Trab. Lockeres Auslaufen stand an, diesmal ohne Kufen an den Füßen und in Begleitung zweier Kolleginnen. Das war womöglich schon der größte Unterschied zur letzten Auflage der Einzelstreckenmeisterschaft in Inzell, 2019, vor der Pandemie, an selber Stätte: Damals war Pechstein als Einzige über die 5000-Meter-Distanz unter dem weißen Wellendach der Eishalle angetreten. Nun hatten sich immerhin fünf Herausforderinnen angemeldet, aber das Resultat lautete so wie immer in den letzten Jahren. Platz eins für Pechstein.

Zum neunten Mal nacheinander hat sie die Strecke am Samstag national dominiert. Es war ihr 41. deutscher Meistertitel. Nummer 40 hatte sie am Tag zuvor eingesammelt, im Wettbewerb über 3000 Meter; weitere Meriten verhinderte ein Sturz im Massenstartrennen am Sonntag, das sie immerhin noch als Dritte beendete.

Pechstein ist 49 Jahre alt, eine Ausnahmeerscheinung weltweit mit ihrem Alleinstellungsmerkmal als Perpetuum mobile des Eisschnelllaufs; und da sie auch weiterhin keine Ermüdungserscheinungen beim Kreiseln auf Schlittschuhen erkennen lässt, war mit einer Erweiterung ihrer umfangreichen Titelkollektion auch in diesem Winter fast zu rechnen. Verblüfft aber hat die Kürze der Zeit, in der sie am Samstag die fünf Kilometer flitzte, 7:06,67 Minuten. Die zweitplatzierte Michelle Uhrig aus Berlin, 24 Jahre jünger als Pechstein und gerade von Knieoperationen genesen, brauchte 7:22,26 Minuten; Victoria Stirnemann, 19, aus Erfurt noch zwei Sekunden länger.

Der große Abstand zu den Konkurrentinnen stimmt Pechstein "negativ, was den Nachwuchs angeht"

"Irgendwie toll", fand Pechstein ihren 41. Titel, als sie sich später exklusiv vom Pressesprecher des nationalen Verbandes DESG vor einer Videokamera interviewen ließ. Auch die neue Sportdirektorin des Verbandes DESG, Nadine Seidenglanz, bekundete beeindruckt: "Ganz großartig, ich habe tiefen Respekt vor ihrer Leistung. Und sie ist natürlich auch ein Vorbild für die Jüngeren." Dass diese Jüngeren mit einer 49-Jährigen nicht mitzuhalten vermögen, gibt der fünfmaligen Olympiasiegerin Pechstein allerdings doch zu denken, wie sie im Video erkennen ließ: "Der Abstand zu den jungen Hühnern ist wieder schon extrem", sagte sie. Das stimme sie "negativ, was den Nachwuchs angeht".

Pechstein sieht die Konkurrentinnen im Kader tatsächlich als Küken. Und sie macht sie offenbar auch keine Illusionen darüber, dass man eine fast Fünfzigjährige in einer Eisschnelllaufnation wie den Niederlanden längst ausgemustert hätte: "In Holland wäre ich schon seit 15 Jahren Rentner, glaube ich", hatte sie am Vortag gesagt. Sie hat den "jungen Hühnern" jedoch auch gratuliert, weil sie sich "stellten", wie sie sagte; weil sie antraten zu den 5000 Metern, der Qual der Langdistanz, die sie seit Jahren dominiert: "Wir brauchen Nachwuchs auch auf den langen Kanten."

Der Generationenwechsel, den der Verband unter dem neuen Präsidium von Matthias Große, dem Lebensgefährten Pechsteins anstrebt, ist jedoch noch lange nicht vollzogen: Auch über die 10 000-Meter-Distanz setzte sich am Samstag Patrick Beckert, 31, aus Erfurt, der dreimalige WM-Dritte, durch - mit einem persönlichen Meisterschaftsrekord so früh in der Saison (12:54,43 Minuten). Beckert hatte auch die 5000 Meter gewonnen. Joel Dufter , 26, aus Inzell und Lea Sophie Scholz, 22, aus Berlin gewannen die 1000 Meter.

"Eine Wachablösung hat noch nicht stattgefunden, das stimmt", räumte Sportdirektorin Seidenglanz ein. Aber die Abstände auf den Kurzstrecken, sagte sie, würden kürzer. Sie glaubt an einen "Aufwärtstrend" der DESG: "Das sieht man auch an der Teilnehmerzahl, etwa bei den Männern im Sprint oder den Frauen über 5000 Meter. Wir haben jetzt ein breiteres Feld - aber es liegt noch viel Arbeit vor uns."

Und so präpariert sich Claudia Pechstein schon für die nächsten Aufgaben. Sie strebt die Olympischen Winterspiele in Peking an, es wären bereits ihre achten. Weiter, immer weiter. Die Qualifikation für die ersten beiden Weltcup-Wettbewerbe des Winters hat sie durch Meistertitel Nummer 40 und 41 jedenfalls schon geschafft.

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