Süddeutsche Zeitung

Eisschnelllauf:Daheim ins Ziel gekommen

Die WM vor der Haustür ist für die Inzeller Eisschnellläuferin Gabriele Hirschbichler der große Abschluss einer nicht immer großen Karriere. Bald wechselt sie vom Eisoval in die Metzgerei.

Von Joachim Mölter

Gabriele Hirschbichler verließ den Innenraum der Inzeller Eis-Arena am Freitagabend mit einem zufriedenen, fast seligen Lächeln, wie man es nicht erwartet von einer Leistungssportlerin, die gerade 24. und damit Letzte geworden ist. "Vom Platz her ist das nicht berauschend", gab die Eisschnellläuferin nach ihrem 500-Meter-Rennen bei den Einzelstrecken-Weltmeisterschaften zu, "aber man darf nicht vergessen, dass hier nur die 24 Besten der Welt am Start sind." Und man darf auch nicht vergessen, dass die kürzeste Strecke im Eisschnelllauf längst nicht mehr Hirschbichlers Domäne ist, mit 35 Jahren lässt die Schnelligkeit halt nach, in 38,88 Sekunden war sie mehr als eine halbe Sekunde hinter ihrer einstigen Bestzeit zurück. Mittlerweile liegt ihre Stärke eher auf den 1000 oder den 1500 Metern, den Distanzen, die sie bei diesen Titelkämpfen am Samstag und Sonntag auch noch bestreiten wird.

Das Ergebnis ist Gabriele Hirschbichler dabei nicht ganz egal; sie möchte gern Saisonbestzeiten laufen. Aber im Grunde ist ihr das Erlebnis wichtiger.

Gabriele Hirschbichler ist in Inzell daheim, ihr Vater betreibt in dem Ort eine Metzgerei und einen Gasthof; der mittlerweile 63-Jährige war einst selbst als Eisschnellläufer aktiv, bis in die Nationalmannschaft hat er es gebracht. "Eine WM zu Hause ist einfach ganz was Besonderes", sagt seine Tochter nun, "das kommt für mich gleich nach Olympia." Schon vor dem Start ihres Rennens hatte sie viele bekannte Gesichter im Publikum entdeckt, und nachdem sie es beendet hatte, glitt sie noch zwei Runden winkend ums Oval. "Es ist einfach superschön, wenn man daheim ins Ziel kommt", sagt sie. In ihrem Fall gilt das auch im übertragenen Sinn.

Der Verband nahm sie aus der Förderung - doch Hirschbichler lief ohne Geld sogar schneller

Gabriele Hirschbichlers Rücktritt vom Leistungssport ist nah. "Ich laufe auf jeden Fall noch in Heerenveen, da ist die Sprint-WM, aber das war's dann", sagt sie. Danach wird die gelernte Metzgerin im Betrieb ihres Vaters einsteigen, so wie ihr jüngerer Bruder Hubert, 27, der seine eigene Eisschnelllauf-Karriere nach der verpassten Olympia-Teilnahme bereits im vergangenen Sommer beendet hat. "Ich habe weitergemacht, weil ich die WM in Inzell noch mitlaufen wollte", sagt Gabriele Hirschbichler. In ihrem Heimatort hat ihre internationale Karriere ja auch begonnen, im Dezember 2005, bei einem Weltcup. Damals drehten die Eisschnellläufer ihre Runden noch unter freiem Himmel, im ehrwürdigen Ludwig-Schwabl-Stadion.

Gabriele Hirschbichler hat später den Umzug in die Halle mitgemacht, sie war bei den ersten Titelkämpfen in der damals gerade erst fertig gestellten Max-Aicher-Arena dabei. "Die WM 2011 war auch schon ein spezieller Moment für mich", erinnert sie sich, und das liegt sicher auch nicht am Ergebnis: Über 1000 Meter, ihrem einzigen Start, wurde sie seinerzeit Zwanzigste.

Wenn es nach den reinen Resultaten ginge, hätte Hirschbichler schon vor langer Zeit aufhören müssen. Von der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) ist sie bereits 2012 "aus der Sportförderung rausgenommen worden", wie sie es formuliert: Sie musste ihren Platz in der Sportförderkompanie der Bundeswehr räumen. "Das war schon hart", sagt sie heute, "aber im Nachhinein war es das Beste, was mir in meiner Karriere passiert ist." Als damals 28-Jährige schloss sie sich einer Juniorengruppe an, die von Danny Leger, 39, trainiert wurde, einem ehemaligen Eisschnellläufer aus Erfurt, der vor 15 Jahren nach Inzell eingewandert war. Ironischerweise lief sie ohne Verbandsförderung schneller als mit. "Das macht mich stolz", sagt sie, "es ist ja nicht selbstverständlich, dass man sich mit über 30 immer noch Jahr für Jahr verbessert."

2014 qualifizierte sie sich jedenfalls zum ersten Mal für Olympia, bei den Winterspielen 2018 wurde sie dann sogar Sechste. Nach ihrem Rauswurf durch die DESG feierte sie außerdem zwei vierte Plätze bei den Weltmeisterschaften 2016 und 2017, einen dritten Rang bei der EM 2018, zwei zweite Plätze im Weltcup 2016 und 2017. Und ironischerweise gelangen ihr all diese Erfolge in der Teamverfolgung, jenem Wettbewerb, in dem die DESG am Freitagabend gar nicht vertreten war, weil die 46 Jahre alte Claudia Pechstein ihre Teilnahme abgesagt hatte und der Verband keine Ersatzläuferin nominiert hatte. Für Hirschbichler war die Teamverfolgung aber kein Thema mehr. "Ich habe im vorigen Frühjahr beschlossen, dass ich mich daraus zurückziehe. Ich wollte mich auf die kürzeren Strecken fokussieren", erklärte sie am Freitagabend: "Das Training ist deswegen komplett anders ausgefallen, ich wäre körperlich gar nicht mehr in der Lage, mehrere Runden zu laufen."

Auch wenn Gabriele Hirschbichler nie einen großen internationalen Titel gewonnen hat, hinterlässt sie eine Lücke. Zumindest in Inzell, wo das Eisschnelllaufen ja immer auch Familiensache ist. Früher sorgten die Friesinger-Geschwister Anni, Agnes und Jan für Aufsehen, vor allem durch die Olympiasiege der Erstgenannten in den Jahren 2002, 2006 und 2010. Künftig müssen Roxane und Joel Dufter den DEC Inzell auf internationaler Bühne vertreten.

Im Hause Hirschbichler haben jetzt die Metzgerei und der Gasthof Vorrang. Für den Eisschnelllauf sind noch kein Nachfolger in Sicht.

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Quelle:
SZ vom 09.02.2019
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