Eiskunstlauf-WM:Reise auf scharfen Kufen

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Bei den Weltmeisterschaften in Japan schraubt sich die Elite zu neuen Höchstleistungen. Die deutschen Athleten rutschen ins Mittelmaß - der Verband fordert Reformen.

Von Barbara Klimke, Saitama/München

Kaum war die Kürmusik verklungen, prasselten die gelben Bärchen aufs Eis. Dutzende, mehr als hundert womöglich, als hätten sich über Yuzuru Hanyu in Saitama die Schleusen seines persönlichen Plüschtierhimmels geöffnet. Wenig später saß er auf einem Bänkchen, Schweißtropfen im Gesicht, Bilder von Kirschblüten hinter sich, und umklammerte sein Maskottchen Pu der Bär (Winnie-the-Pooh), während die Blumenkinder ausschwärmten, um die Kuscheltiere aufzuklauben, mit denen das japanische Publikum seinem Eisprinzen huldigte. Mit 300,97 Punkten wurde Hanyu bedacht, mehr als jeder andere, seit im Sommer die Wertungsrichtlinien überarbeitet worden waren. Doch es reichte nicht. "Um die Wahrheit zu sagen", führte Hanyu später in seiner aufrichtigen, schüchternen Art aus: "Das ist wie der Tod für mich."

Elizabet Tursinbajewa zeigt einen Vierfach-Salchow, normalerweise ein Männersprung

Der vermeintliche Killer in diesem Eislauf-Drama in der Super Arena von Saitama kam nicht mit dem Dolch, sondern auf scharfen Kufen. Nathan Chen, 19 Jahre alt und damit fünf Jahre jünger als der Doppel-Olympiasieger, brachte drei unterschiedliche Vierfachsprünge aufs Eis (Lutz, Flip, Toeloop), einen weiteren in der Kombination, dazu fünf Dreifache - jeder einzelne war sauber auf einem Bein gelandet, faszinierend und makellos. 323,42 Punkte verliehen die Preisrichter, das war Rekord für den alten und neuen Weltmeister. Job erledigt!, sagte der Perfektionist aus den USA, der für den WM-Ausflug diesmal seine Semesterferien an der Yale University nutzte.

Allerdings hat Chen, ebenfalls ein höflicher Mensch, darauf hingewiesen, dass er sich nicht allein mit Trainer Rafael Arutyunyan zu immer neuen Höchstleistungen schraubt. Sondern im Fernduell mit dem Rivalen Hanyu, der in Kanada bei Brian Orser trainiert. Hanyu, ein Magier auf dem Eis, der technische Kapriolen mit betörenden Choreografien verzaubert, hält die Urheberrechte für den Vierfach-Rittberger (2016); Chen war der Erste, der vier verschiedene Vierfache landete (2017). Jedes Mal, wenn Hanyu das Eis betrete, sagte Chen nun anerkennend, "macht er etwas Staunenswertes, Unglaubliches"; es sei "eine Ehre" gegen ihn zu laufen. Dass Hanyu letztlich unterlag, war wohl einem Fehler beim Salchow in der Kurzkür geschuldet.

Denn für die WM im eigenen Land hatte Hanyu, der einen Teil der Saison aus Verletzungsgründen verpasst hatte, ein weiteres Kunststück einstudiert: einen Vierfach-Toeloop, an den er, Hokuspokus, den schweren Dreifach-Axel hexte. Es ist davon auszugehen, dass der Rest der Elite auch dieses Element demnächst kopieren könnte, zu den Kandidaten zählen unter anderem Vincent Zhou (USA), der - mit gehörigem Abstand - Drittplatzierte der WM oder Shoma Uno (Japan) und Jin Boyang (China), die sich dahinter einreihten.

Dass in naher Zukunft ein Solist der Deutschen Eislauf-Union (DEU) mit den Besten um die Wette springen könnte, ist nach derzeitiger Lage eher unwahrscheinlich. Denn das faszinierende Künstler-Duell auf Kufen erlebte der deutsche Meister Paul Fentz aus Berlin nur auf der Tribüne. Für das Kürfinale der besten 24 Läufer hatte sich Fentz, 26, nicht qualifiziert: Er hat bislang nur einen Vierfachsprung, den Toeloop, im Programm und diesen nicht sauber auf die Kante bringen können. Für Fentz spricht, dass er sich zuletzt lange mit einer Entzündung im Fuß quälte. Dagegen steht, was DEU-Sportdirektor Udo Dönsdorf schon zu WM-Beginn konstatierte: Ohne die Paarlauf-Olympiasieger Savchenko/Massot, die sich bis auf weiteres von Wettkämpfen zurückgezogen haben, sind die deutschen Eiskunstläufer Mittelmaß.

Die internationale Konkurrenz sei "einfach zu stark" geworden. Es hat laut Dönsdorf "einen technischen und künstlerischen Leistungsanstieg" gegeben: "Wir sehen ja, wohin die Reise geht." Die hochklassige Frauen-Konkurrenz dominierten die 16 Jahre alte Olympiasiegerin Alina Sagitowa, die nun erstmals Weltmeisterin wurde, und ihre russische Kollegin Jewgenjia Medwedjewa, 19, die Olympia-Zweite. Mitten zwischen diese beide hüpfte Elizabet Tursinbajewa aus Kasachstan - mit einem Vierfach-Salchow, normalerweise ein Männersprung. Die Deutsche Nicole Schott kam in diesem Umfeld auf Platz 16.

Allgemein beklagte Dönsdorf, dass es in Deutschland zu wenige Spitzenläufer gibt: "Wir haben die nationale Dichte nicht." Deshalb kämen die Besten relativ leicht ohne große Konkurrenz zu Startplätzen bei internationalen Championaten. "Und da sieht man dann: Es reicht nicht."

Um einen Umschwung einzuleiten, müssten die Strukturen im Verband professionalisiert werden; das heißt konkret: mehr hauptberufliche Stellen. Außerdem, so der Sportdirektor, seien die Trainer gefordert: "Wir brauchen neue Hinweise, wie man den Weg schaffen will." Und schließlich müsse, ganz individuell, die Athletik besser werden, damit die DEU-Läufer auch gesundheitlich belastbarer sind.

Noch mehr Arbeit also. Das hat sich auch Yuzuru Hanyu vorgenommen: Er will künftig jede Verletzung vermeiden, wie er sagt: "Und versuchen, stärker zu werden."

© SZ vom 25.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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