Süddeutsche Zeitung

Eiskunstlauf:Schlusspirouette

Die WM-Dritte Alysa Liu war ihrer Zeit immer einen Sprung voraus. Nun beendet sie im Alter von 16 Jahren ihre Eiskunstlaufkarriere.

Von Barbara Klimke, München

Auch diesmal hat sie keinen langen Anlauf genommen. Mit Schwung, wie in ihren temperamentvollen Programmen auf dem Eis gewohnt, kam Alysa Liu sofort zur Sache: "Heyyyyy", so begann sie ihre dringende Mitteilung bei Instagram: "Ich melde mich, um meinen Rückzug vom Eiskunstlauf zu verkünden." Elf Jahre Hochleistungssport lägen hinter ihr, "elf irre Jahre", und ihre Ziele habe sie jetzt endlich erreicht. Deshalb sei die Zeit gekommen, die Karriere zu beenden und sich anderen Dingen im Leben zuzuwenden, schreibt Alysa Liu. Sie ist 16 Jahre alt.

Erst drei Wochen ist es her, dass Alysa Liu aus San Francisco Weltmeisterschaftsdritte in Montpellier wurde. Ihre erste Eis-Saison bei den Senioren hat sich nun auch als die letzte erwiesen. An Titeln, Triumphen und mehr Trubel, als es einem Teenager permanent lieb sein kann, hat es dennoch nicht gefehlt. Denn Alysa Liu ist der Eiskunstlaufkonkurrenz in den USA immer einen oder zwei Riesensprünge voraus gewesen.

Dann kam der Wachstumsschub, dazu eine Knöchelverletzung - und Liu musste plötzlich kämpfen

Als sie 13 Jahre war, gewann sie ihre erste US-Meisterschaft, das internationale Alterslimit galt beim nationalen Wettbewerb nicht. Sie war die erste Juniorin im Land, die einen Dreifach-Axel auf einer Kufe landete, und die erste Amerikanerin überhaupt, die dem faszinierten Publikum einen Vierfach-Lutz vorführte. Derartige Wunderdinge hatte die Welt bis dahin nur bei den russischen Eiskindern gesehen. Im Winter 2020/21, als sie wider Erwarten nur Vierte der US-Meisterschaften wurde, hatte sie einen Wachstumsschub hinter sich, dazu kam eine Knöchelverletzung. Nicht selten geht die Sprungsicherheit verloren, wenn ein jugendlicher Körper, der gerade die Schwerkraft zu überwinden gelernt hat, sich weiterentwickelt. Um sich in den USA für die Olympischen Winterspiele in Peking zu qualifizieren, hat Alysa Liu, deren Vater 1989 aus China emigrierte, im vergangenen Jahr mächtig kämpfen müssen.

Zweimal wechselte sie die Trainer; im Spätsommer hat sie einige Woche in einem internationalen Eislaufzentrum in Südtirol verbracht, im November zog sie zwischenzeitlich aus dem gewohnten Umfeld in Kalifornien nach Colorado um. Sie nahm die Hilfe einer Mentaltrainerin in Anspruch, denn auch die Pandemie machte ihr schwer zu schaffen. "Ich hatte meine Motivation verloren", gab sie bei der Weltmeisterschaft, mit der Bronzemedaille um den Hals, ganz offen zu: Sie sei zu selten aufs Eis gegangen, habe das Training schleifen lassen. Erst vor Olympia, wo sie Siebte wurde, kam die Freude zurück.

Aber nun ist Schluss. "Ich habe so viele Freunde getroffen und sooo viele schöne Erinnerungen, die für den Rest des Lebens bleiben werden", schrieb sie und klang bei ihrem Fazit kein bisschen melancholisch: "Ich bin froh, dass ich schlittschuhgelaufen bin." Jetzt will sie sich an einer Universität einschreiben. Das klingt in diesem Alter nach einem guten Plan.

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