Süddeutsche Zeitung

Eiskunstlauf-Olympiasiegerin:Die Ärmel passen nicht mehr

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Von Barbara Klimke, München

Sieben Zentimeter Unterschied: Ein enormes Stück hat Alina Sagitowa laut Maßband binnen weniger Monate an Länge zugelegt. Denn auch ein Olympiasieg verhindert das Wachstum nicht, jedenfalls nicht, wenn eine Eiskunstläuferin bei ihrer Goldkür erst 15 Jahre alt ist. Sie habe sich an ihren "neuen Körper" erst gewöhnen müssen, erzählte Sagitowa zu Beginn des Winters, besonders beim ersten großen Schub unmittelbar nach den wunderbaren Tagen von Pyeongchang.

Denn sieben Zentimeter Unterschied bedeuten für eine Kufenkünstlerin nicht nur, dass die Ärmel des Paillettenkleidchens nicht mehr passen. Die Beine werden länger, die Schlittschuhe größer und schwerer, und es vergehen ein paar Millisekunden mehr, ehe die längeren Arme geschlossen sind und der Körper bei den Luftrotationen um die eigene Achse spindelt. Auch was nach großer Anmut aussieht, folgt schlichten physikalischen Gesetzen. Und diese führten dazu, dass die russische Olympiasiegerin Alina Sagitowa ihr Sprungrepertoire neu lernen musste.

Selbstverständlich hat sie auch das gemeistert, sie hat in ihrer noch jungen Karriere ganz anderen Widrigkeiten getrotzt, Arm- und Beinbrüchen etwa bei Trainingsstürzen auf spiegelglattem Untergrund schon im Kindesalter. Und dennoch kann die Biomechanik möglicherweise helfen zu erklären, warum sich Alina Sagitowa, inzwischen 16 Jahre alt, beim Finale der Grand-Prix-Serie in Vancouver am Wochenende einer Besseren hat geschlagen geben müssen. Den ersten Saisonhöhepunkt des nacholympischen Winters entschied die Japanerin Rika Kihira für sich, ebenfalls 16 Jahre alt, weil sie in der Kür sogar noch spektakulärer sprang.

Die russischen Eiskinder werden kaum einzuholen sein

Rika Kihira, voriges Jahr noch Juniorin, setzte einen Dreifach-Axel auf das Eis - das ist der mit Abstand schwerste Sprung, weil dabei nach vorn abgehoben wird und er deshalb, genau genommen, dreieinhalb Umdrehungen erfordert. Beim ersten Versuch touchierte sie bei der Landung mit den Händen das Eis; dann wiederholte sie das Kunststück und hängte noch einen zweifachen Toeloop an. Kihira hält das Patent bei den Frauen auf diese Kombination: Vor einem Jahr beim Junioren-Grand-Prix hatte sie die Verbindung von Dreifach-Axel und Dreifach-Toeloop zur Uraufführung gebracht. Spätestens jetzt dürfte diese Kombi-Nummer endgültig im Wettbewerb der Erwachsenen angekommen sein.

Denn tatsächlich ist die Evolution der Sprünge kaum aufzuhalten, wie Viola Striegler, die Bundestrainerin vom Stützpunkt Berlin, bestätigt: "Die Mädchen haben tüchtig nachgelegt." Dreifache Axel, sagt sie, beherrschen heute viele Läuferinnen, "auch die Vierfachen wird man bald häufiger sehen". Wie zum Beweis hat in Vancouver beim dort ebenfalls ausgetragenen Junioren-Finale die erst 14 Jahre alte Alexandra Trussowa einen vierfachen Lutz und vierfachen Toeloop hingezaubert; sie wurde Zweite, weil Alena Kostornaia, 15, aus derselben Moskauer Eislaufschule ihre Dreifachen sauberer landete.

Die russischen Eiskinder, die die ersten fünf von sechs Plätzen unter sich ausmachten, werden kaum einzuholen sein, glaubt Viola Striegler, weil, anders als hierzulande, das Schulsystem dem Training untergeordnet ist: "Wir können da nur versuchen mitzuhalten." Allerdings, sagt sie, hätten auch die besten deutschen Juniorinnen inzwischen "die Palette der Dreifachen" im Programm. Das Dumme ist, dass man sie nach jedem Wachstumsschub meist neu lernen muss.

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Quelle:
SZ vom 11.12.2018
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